Zustand der Jade
Apr 091990
 

Kleiner Bahnhof

Jade-Gutachten: Zustand der Jade ist kritisch

(hk) Während jeder gefällige Pups in Wilhelmshaven mit großem Brimborium, WZ-Sonderseite, Pressekonferenzen, Broschüren des städtischen Presseamtes usw. unters Volk gebracht wird, erlebte die vor dreieinhalb Jahren in Auftrag gegebene „Ökologische Potential- und Belastungsanalyse für den Jadebusen“ nur einen vergleichsweise kleinen Tusch.

Dabei kommt Wilhelmshaven in der Studie gar nicht so schlecht davon. „Wilhelmshaven hat das Ökosystem Jade nicht wesentlich negativ beeinflussen können“, so Prof. Höppner von der die Studie erstellenden ARSU (Arbeitsgruppe für regionale Struktur und Umweltforschung) bei der Vorstellung der Studie im Rathaus. „Der Stellenwert der Stadt“, so Höppner weiter, „sei einigermaßen umweltverträglich.“
gw91_heulerBei solchen Aussagen hätte die Studie doch zumindest ein bisserl „Zeichen setzen“ verdient. Oder hatten die für den Trommelwirbel zuständigen Herren sich etwa die Mühe gemacht, die Studie durchzuarbeiten? Wurde da dann doch der ein oder andere Punkt entdeckt, der Wilhelmshavens neuem Image als Industrie-, Marine-, Forschungs-, Natur-, Freizeit- und Hafenzentrum (à la Miami) entgegensteht?
Die von der ARSU durchgeführten Bewertungen des Zustandes der Jade haben wir auf dem untenstehenden Schaubild zusammengefaßt. Die Methodik und die Charakterisierung der einzelnen bewerteten „Akzeptoren“ ist dem Text unter dem Schaubild zu entnehmen.
Die Untersuchung kommt zu dem Schluß, daß die Grundlagen für das Leben im Jadebusen (substantielle Akzeptoren) insgesamt als kritisch zu beurteilen sind. Das heißt: Die Belastung des Jadebusens mit Nährstoffen und Schwermetallen ist so hoch, die Funktionalität des Sediments so gestört, daß in allen Rathäusern rund um den Jadebusen die Alarmglocken schrillen müßten!
Dieser alarmierenden Belastung steht ein günstigerer (durchschnittlicher) Wert für den biologischen Zustand gegenüber; das Landschaftsbild, die Einzigartigkeit des Wattengebietes und die Vielfältigkeit des Naturraumes werden sogar mit „sehr gut“ beurteilt.

Die Autoren erklären dieses „Paradoxon“ damit, daß „biologische Systeme der Veränderung ihrer Existenzbedingungen mit einer (eventuell langen) Zeitverzögerung folgen (…), die das Auftreten erkennbarer ökologischer Schäden auf der Ebene der mittleren (biologischen) und erst recht auf der oberen (Naturraum usw.) Akzeptorenebene verzögern.“

In ihrer Gesamtbetrachtung gehen die ARSU-Gutachter u.a. nochmals abschließend auf diesen Zusammenhang ein:
„Es ist geschildert worden, dass hausgemachte Frachten einen markanten Anteil an der Belastung des Ökosystems Jade/Jadebusen haben und daß dennoch die Gesamtfracht durch Rücknahme dieses Anteils nicht wirkungsvoll verändert werden kann. (…) Wenn die Belastungen weiter zunehmen, werden die Akkumulations- und Pufferfunktionen erschöpft. Bis zur Erschöpfung wird der Zustand des Systems immer besser sein als der seiner Bedingungen. Zum Zeitpunkt der Erschöpfung wird das System umkippen. Nur durch Rücknahme der Belastung oder wenigstens das Verhindern weiterer Steigerung kann die Verschlechterung des Zustands verlangsamt oder vermieden und die Gefahr des Umkippens hinausgeschoben oder gebannt werden. (…)
Bei weiter andauernder oder gar sich verstärkender Belastung bei den substantiellen Akzeptoren muß dagegen mit einem plötzlichen unstetigen Entwicklungsverlauf der biologischen Funktion („Umkippen“) gerechnet werden. Dabei würde der Wert 0 der Bewertungsskala in kurzer Zeit und ohne Verweilen auf Zwischenwerten erreicht.“

Damit keine Unklarheiten auftreten: Die Bewertungen und Empfehlungen gelten für den gesamten Jaderaum und nicht speziell für Wilhelmshaven.
Die von der Industrie- und Handelskammer aufgestellte Behauptung, daß das Gutachten „Risiken für die gewerblich-industrielle Zukunft Wilhelmshavens“ birgt, wies Prof. Höppner mit dem Hinweis auf die Möglichkeiten Wilhelmshavens als „Die Großstadt im Nationalpark“ zurück. Er beschrieb die mögliche Pilotfunktion, die Wilhelmshaven im Rahmen “besonders umweltschonender Produktion und Landnutzung“ übernehmen könne.

 

gw91_nährstoffe

Erläuterungen zum Schaubild:
Akzeptoren: Um das komplexe System des Jadebusens (Gesamtakzeptor ) untersuchen und bewerten zu können, wurde es in einzelne Bereiche und Areale – Akzeptoren – zerteilt, die auf der senkrechten Achse aufgeführt sind. Diese Akzeptoren werden vom Menschen auf unterschiedlichste Art und Weise beeinflußt (Schadstoffeinleitungen, Fischerei usw.). Die Bewertung der Akzeptoren (waagerechte Achse) gibt an, wie diese Einflüsse auf den jeweiligen Akzeptor wirken. Die ARSU hat die Akzeptoren in drei Gruppen zusammengefaßt:

Substantielle Akzeptoren
Nährstoffe: Über Siele, Direkteinleitungen, Wasseraustausch, Atmosphäre in die Jade gelangende Stoffe (Stickstoff und Phosphat), Düngung; Sauerstoffzehrung;
Schadstoffe: Schwermetalle wie Quecksilber, Blei, Cadmium, Zinn, Kupfer.
Sedimentchemismus: Funktionalität des sauerstoffhaltigen (aeroben) Wattsediments Indikator für die biologische Aktivität des Sediments
Nutzung: Bewertung der Auswirkungen von Tourismus, Schiffsverkehr, Fliegerei, Sportboot- und Surfbetrieb, industrielle Einleitungen usw.

Biologische Akzeptoren
Benthos: Bewertung der pflanzlichen und tierischen Besiedlungsdichte und Artenvielfalt auf und im Meeresboden (Sediment) Biomasse
Avifauna: Bewertung der Bedingungen für die Vogelwelt
Salzwiesen: Bewertung des Zustandes, der Artenvielfalt und der Nutzungen der Salzwiesen

Integrative Akzeptoren
Landschaftsbild: Bewertung der landschaftprägenden Elemente, der Bebauung im Küstenbereich usw.
Naturräumliche Diversität: Vielfältigkeit des Naturraumes
Einzigartigkeit: Vergleich des Jadebusens mit anderen Wattenmeergebieten

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