Manege frei
Ausnahmsweise: Zirkus (Krone) im Gegenwind
(iz / noa) Alle Jahre wieder erhalten wir ungefragt Infos, die nicht gerade klassische Gegenwind-Themen mit besonderem lokalen Bezug berühren. Dazu gehören Gastspiele der bundesweit tourenden Zirkusunternehmen. Aufwändig gestaltete Pressemappen und Freikarten landen bei uns in der Rundablage. Doch nachdem vor einigen Wochen Zirkus Krone besonders hartnäckig den Kontakt suchte, beschlossen wir, doch mal einen Blick ins Zelt und hinter die Kulissen zu riskieren.
Zumindest ist bemerkenswert, dass diese Form der darstellenden Kunst und des öffentlichen Kulturangebots, sich bis in die heutige Zeit der Super-Events gehalten hat. Dass Kinder immer noch über lebendige Clowns lachen können statt nur über die Zeichentrickscheiße im TV. Dass ein umherziehender Mikrokosmos trotz hoher Unterhaltungskosten seine Belegschaft ernähren kann.
Menagerie als Anachronismus
Als Mitte des 18. Jahrhunderts (in England) der Zirkus aufkam, standen zunächst Pferdedressuren im Mittelpunkt, exotische Tiere kamen erst später hinzu. Und das ist natürlich eine der kritischen Fragen, die wir stellen: Muss es heute noch sein, Elefanten, Tiger, Löwen und andere Wildtiere in Lastwagen durch die Gegend zu karren und in vergleichsweise engen Gehegen zu halten, um sie dann ein paar Minuten am Tag Kunststücke aufführen zu lassen?
Zoologische Gärten im heutigen Sinne entstanden erst Mitte des 19. Jahrhunderts, und einfache BürgerInnen reisten früher in ihrer Freizeit noch nicht so viel durch die Gegend. Es gab damals auch noch kein Fernsehen mit tollen Naturfilmen aus der Serengeti. Da war es natürlich der Brüller, wenn der Wanderzirkus mit Tierschau in die Stadt kam. Und man machte sich noch wenig Gedanken bzw. hatte nicht die heutigen Erkenntnisse darüber, was artgerechte Tierhaltung ist. Heute arbeiten selbst kleinere Tierparks wie der in Jaderberg daran, die Gehege ansprechend zu gestalten. Wobei „artgerecht“ und „Tierhaltung“ immer ein Widerspruch in sich bleiben wird. Aber um Kindern und Erwachsenen wilde Tiere nahe zu bringen, braucht es heute keine wandernde Tierschau mehr, die den Kreaturen nie die Lebensbedingungen bieten kann wie ein Zoo mit fest installierten, großräumig und naturnah gestalteten Gehegen.
Frank Keller, Pressesprecher von Zirkus Krone, war auf solche Fragen vorbereitet. Nicht ohne Grund: Vor gut einem Jahr war das Unternehmen mächtig in die öffentliche Kritik geraten, nachdem es Ärger mit den Behörden gab wegen der unzureichenden Haltung eines Flusspferdes. Auch sollte dem Zirkus untersagt werden, einen Elefanten zu einem Kopfstand zu dressieren. Mit Liebe und Leckerlis, ohne Anwendung von Gewalt, kann man ein Tier schon überreden, ihm natürlich angeborene Bewegungen auf Befehl durchzuführen. So funktioniert auch die von Fredy Knie perfektionierte Hohe Schule der Reitkunst. Nur mit leichten Körperbewegungen, ohne technische Hilfsmittel konnte er ein Pferd animieren, die affektiert wirkenden Gangarten anzuschlagen, die auch in freier Wildbahn zum Imponiergehabe der Tiere gehören. Kopfstand bei Elefanten gehört ganz sicher nicht zu solchen natürlichen Bewegungen.
Das Flusspferd ist mittlerweile in Rente, im Krone-eigenen Tierpark in München, versicherte Keller. Dafür gehört jetzt ein Nashorn zur Menagerie. Vor einiger Zeit versuchte das wehrhafte, aber von Natur aus ängstliche Tier während der Vorstellung aus dem Zelt zu stürmen, was auch für die Zuschauer nicht witzig war.
Auch bei den Löwen sieht Keller keine Probleme. Schließlich würden sie auch in freier Wildbahn die meiste Zeit des Tages vor sich hindösen und nur in Bewegung geraten, um was zu fressen zu besorgen. Doch vielleicht möchten die Löwen gern selbst entscheiden, wo sie dösen, wer wie nahe bei ihnen liegen und wer ihnen dabei zuschauen darf?
Wir meinen: wenn schon Zirkustiere, dann solche, die seit ewig domestiziert sind. Ein Hund ist von Natur aus viel eher bereit bzw. sogar begeistert davon, auf Befehl Kunststücke vorzuführen, als eine Großkatze. Mittlerweile gibt es sogar Dompteure, die mit Hauskatzen arbeiten, und wer eine Katze hat, weiß, dass das wirklich nur freiwillig geht, weil normalerweise Hauskatzen ihre Menschen dressieren und nicht umgekehrt.
Aber würden nicht auch die menschlichen Zirkuskünstler schon reichen? Die artistischen Leistungen stehen denen der olympischen Kunstturner in nichts nach und es ist schon toll, was sie als Ergebnis unermüdlicher Übung präsentieren. Darf natürlich die Frage nicht fehlen, ob die Artisten denn artgerecht gehalten werden. Eigentlich nicht, räumt Keller ein. Es ist schon hartes Brot, aber sie verdingen sich, im Unterschied zu den Tieren, immerhin freiwillig beim Zirkus.
Letzte Frage: Ist Zirkus, wie Keller meint, wirklich für alle erschwinglich? Ein soziales kulturelles Angebot? Im Vergleich zu Rockfestivals oder überkandidelten Musicalproduktionen auf alle Fälle, der Eintritt bewegt sich im unteren zweistelligen Bereich. Für eine/n Hartz-IV-Empfänger/in sind allerdings auch die günstigsten Karten zu 14 Euro noch happig. Lobenswert: Krone verteilt an jedem Spielort ein Kontingent an Freikarten an sozial Bedürftige. In Wilhelmshaven gingen 800 Karten (im Wert von 11.800 Euro) an die Stadt mit der Bitte, diese an sozial benachteiligte Familien weiterzugeben. Die Karten wurden vom Jugendamt an Kindergärten, Schulen, Jugendfreizeitstätten und –hilfeeinrichtungen verteilt.
Nachdem das soweit geklärt war, haben zwei Redaktionsmitglieder die Premierenvorstellung besucht. Beide hatten seit der Kindheit keine Zirkusvorstellung mehr gesehen; im einen Fall war das etwa zehn, im anderen fast fünfzig Jahre her. Da hat man natürlich einen anderen Blick als damals.
Zugegeben, der Blick der beiden Gegenwindler war von vorneherein sehr kritisch. Und so nervten sie vermutlich die in der Nähe sitzenden Zirkusbesucher mit ihren geflüsterten Diskussionen.
Setzen sich Elefanten natürlicherweise gelegentlich mit dem Popo auf ein Podest? Und warum laufen die Stoßzähne des Elefantenbullen nicht spitz zu, sondern sind abgesägt?
Würden Löwinnen solche Kapriolen auch in freier Wildbahn schlagen? Ja, Hauskatzen springen auch gelegentlich in einem Affentempo über Artgenossen hinweg – aber keine Hauskatze würde sich freiwillig in Positur setzen oder sich sogar an etwas hochhangeln, um über sich hinwegspringen zu lassen.
Nachdem die zwei Redaktionsmitglieder Elefantenkühe und Löwinnen bei Kunststücken beobachtet hatten, kamen sie zu dem Schluss, dass die männlichen Exemplare dieser Tierarten wenig begabt sind, was sie dazu brachte, bei den Pferden, die eine wirklich witzige Nummer darboten, nach den Geschlechtsorganen zu schielen. Alles Stuten!!! – Wirklich? Laut Präsentationsmappe waren es Hengste. Na, vielleicht sieht man bei rennenden Hengsten den Schniedel nicht…
Gehören Tiere in den Zirkus? Bei aller Bewunderung für die Leistungen der Tierlehrer (Dompteure sagt man wohl nicht mehr) – den Gegenwindlern hätten die erstaunlichen Darbietungen der menschlichen ArtistInnen durchaus gereicht.
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