Wohnraum für alle
Sep 271994
 

Goldgrube Wohnraum

Arbeitskreis „Wohnraum für alle“ informiert Politik und Verwaltung über skandalöse Wohnraumsituation in Wilhelmshaven

(ub) Eine nicht alltägliche Stadtrundfahrt veranstaltetet der Arbeitskreis Wohnraum für alle mit Kommunalpolitikern, Bundestagskandidaten und Vertretern der Stadtverwaltung. Ziel dieser Stadtrundfahrt war es, aufzuzeigen, wo in dieser Stadt mit Wohnraum spekuliert wird, Mietwucher betrieben wird, und wohnungslose Menschen unter unwürdigsten Bedingungen leben müssen. In einer anschließenden Podiumsdiskussion sollten Wege und Möglichkeiten diskutiert werden, die kommunale Wohnraumsituation zu verbessern.

Der Arbeitskreis „Wohnraum für alle“ veranstaltete diese wohnungspolitische Stadtrundfahrt im Rahmen der bundesweiten Aktion gegen Wohnungsnot, Obdachlosigkeit und soziale Ausgrenzung. Hautnah sollte den hiesigen Kommunalpolitikern, Bundestagskandidaten und verantwortlichen Vertretern der Stadtverwaltung aufgezeigt werden, unter welch miserablen Wohnverhältnissen ein Teil der Wilhelmshavener Bevölkerung zu leiden hat. Die KandidatInnen der Parteien zur Bundestagswahl waren – wen wundert es so kurz vor der Wahl? -fast vollständig versammelt. Die eingeladenen Ratsmitglieder glänzten überwiegend durch Abwesenheit. Denjenigen, die sich auch an einem Samstagabend zu dieser wohnungspolitischen Stadtrundfahrt aufraffen konnten, wurde ein eindrucksvolles Bild über die skandalösen Zustände auf dem Wilhelmshavener Wohnungsmarkt vermittelt.

Weserstraße 121

Das Haus in der Weserstraße 121 ist ein Paradebeispiel dafür, wie finanzkräftige Immobilienfirmen Kapital schlagen aus der Umwandlung von Mietwohnraum in Eigentumswohnungen (siehe auch GEGENWIND Nr: 122). Die Hamburger Immobilienfirma AGV Atlantis hat dieses Haus 1991 aufgekauft. Die 21 Wohnungen wurden flugs in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die dort lebenden Mieter bekamen drastische Mieterhöhungen von zum Teil über 30 %. Die Wohnungen wurden im südwestdeutschen Raum zu überzogenen Preisen an Kapitalanleger verscherbelt. Die neuen Eigentümer wurden über den wahren baulichen Zustand des Hauses und der Wohnungen getäuscht. Erst nach dem Kauf wurden die neuen Eigentümer durch die verzweifelten Mieter darüber informiert, in was für eine Bruchbude sie sich eingekauft hatten. Jetzt streiten sich die neuen Eigentümer der Wohnungen mit der AGV Atlantis vor Gericht, wer für die Renovierung und Reparaturen zuständig ist. Derweil läuft das Regenwasser durch alle Etagen. Ratten, Mäuse und Kakerlaken in den Wohnungen selbst gehören zum Alltag der hier wohnenden Mieter.

Rheinstraße 126

Weiter ging die Stadtrundfahrt in die Rheinstraße. Der Bus hielt vor dem Haus Nr. 126. Eines der vielen Mehrfamilienhäuser, die durch die Hände der stadtbekannten Neonazis Heger und Bahr gegangen sind. Der jetzige Eigentümer ist eine Hausverwaltungsfirma mit Sitz in Rheine. Die Wohnungen in diesem völlig verwahrlosten Haus wurden in den letzten Jahren hauptsächlich an Obdachlose vermietet. Die horrenden Mieten zahlte das Sozialamt. Die Baufirma Lückens – ein Name, der immer wieder dort auftaucht, wo Heger und Bahr sich als Hausaufkäufer betätigen – renoviert hier zur Zeit nach bekanntem Muster. Das heißt, die Wohnungen werden systematisch entmietet, indem sich unbefugt Zutritt verschafft wird und die Wohnungen zunächst unbewohnbar gemacht werden. Die Wohnungen werden aufgebrochen, die persönliche Habe der Mieter auf bereitgestellte Container geworfen. Dort, wo noch Menschen in den Wohnungen leben, werden Decken aufgerissen, Rohre verlegt und neue Wände gezogen.

Ölhafendamm 37
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Ölhafendamm 37 – im Hausflur – Foto Dilling

Heger und Bahr haben dieses Haus 1991 nach Süddeutschland verkauft. Die Wohnungen wurden auch hier systematisch entmietet. Das Haus verfiel zunächst zusehends und wurde zeitweilig von wohnungslosen Menschen in Beschlag genommen. Anfang dieses Jahres wurde bekannt, daß das Haus einen neuen Besitzer hat. Herr Roy Edward aus Zetel, mehrfacher Hauseigentümer in Wilhelmshaven, vermietet dieses baufällige Haus u.a. an kurdische Großfamilien und kassiert horrende Mieten von der Stadt Wilhelmshaven.

Kasinostraße Nr. 10 und 12
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Die Häuser der Stadtwerke in der Kasinostraße – Foto: Dilling

In den 18 Wohnungen dieser Häuser, die sich im Besitz der Wilhelmshavener Stadtwerke befinden, wohnen fast ausschließlich Ausländer sowie Personen und Familien, die andernorts zwangsgeräumt wurden. Auch hier herrschen katastrophale Wohnverhältnisse. Die Wände sind feucht und verlieren ihren Putz, die Eingangsbereiche sind baufällig, überall treten Kakerlaken und anderes Getier auf. Die Wohnungen haben weder WC noch Dusche – um sich und die Kinder baden zu können, geht man zu Verwandten oder Bekannten.

Theilenstraße 10
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Theilenstr. 10: Zwölf Quadratmeter „Wohn“raum für 460,- DM – Foto: Dilling

Eigentümer dieses Haus ist wiederum schon erwähnter Roy Edward aus Zetel. Das Haus geriet im Oktober 93 in die Schlagzeilen der Presse, als die WZ über Vermietungen am Rande der Legalität, so der Pressesprecher der Stadt, Michael Konken, berichtete. Eine kurdische Familie hatte sich mit Hilfe des Ausländerbeirats an die Presse gewandt, um die menschenunwürdigen Wohnverhältnisse in diesem Haus anzuprangern. 870,- Miete incl. Nebenkosten für ein 58 Quadratmeter großes Loch wurde seinerzeit vom Sozialamt an Herrn Edward überwiesen. Diese von Edward selbst als Notunterkunft deklarierte Behausung wird jetzt von einer siebenköpfigen kurdischen Familie bewohnt. Geändert hat sich der bauliche Zustand nicht, wohl aber die Miete, sie beträgt mittlerweile 1.650,- DM!

Gökerstraße 109

Seit 1992 kassiert die Familie Czech bei der Stadt ab für die Bereitstellung von Wohnraum in der ehemaligen Kaserne an Asylbewerber und Flüchtlinge. Der GEGENWIND berichtete erstmals im Januar 1993 über die katastrophalen Zustände in diesem Haus. Geändert hat sich fast nichts an den Wohnverhältnissen. Durch die Änderung des Art. 16 GG ist jedoch der Zustrom von Asylbewerbern auch in Wilhelmshaven drastisch zurückgegangen. Herr und Frau Czech mögen indes auf das lukrative Geschäft mit der Stadt nicht verzichten und stellen ihr Gebäude seit zwei Monaten für die Unterbringung von wohnungslosen Menschen zur Verfügung.

 

Auf dem Podium
bei der anschließenden Diskussionsveranstaltung war man sich nach den beklemmenden Informationen dieser Stadtrundfahrt erst einmal einig. Das, was wir heute gesehen haben, kann man nicht als Wohnraum bezeichnen, so Bernhard Rech (CDU). Gabriele Iwersen (SPD): Das sind menschenunwürdige Rattenlöcher. Reinhold Künrich.(PDS): Hier werden öffentliche Gelder Ganoven und Kriminellen zugewiesen. Unterkünfte wie die von Czech mit Steuergeldern zu bezahlen, ist ein Akt von Verwaltungskriminalität.

Die Gemeinsamkeit der Podiumsteilnehmer endete abrupt, als Manfred K1öpper – Moderator der Diskussion – die Frage nach notwendigen politischen Veränderungen stellte.
In schönster Wahlkampfmanier tauschten die BundestagskandidatInnen Auszüge aus ihren jeweiligen Programmen aus. Iwersen (SPD): Die gesamte Wohnungsbaupolitik muß sich ändern.
Künrich (PDS): Öffentliche Gelder dürfen nicht länger zugunsten des privaten Kapitals ausgegeben werden. Nicht das Wohnen, sondern die Kapitalbesitzer werden subventioniert. Die Grundlage von Haus- und Bodenspekulation muß beseitigt werden. Dies wollte der Vertreter der FDP, Ingo Liermann, so nicht im Raume stehen lassen und konterte: Wohin es führt, wenn der Wohnungsbau ausschließlich in staatlicher Hand liegt, haben wir doch am Beispiel der DDR gesehen!
Anliegen des Arbeitskreises Wohnraum für alle war es, mit dieser Veranstaltung nicht nur auf oben genannte Missstände hinzuweisen, sondern endlich auch die kommunalen Politiker und Verantwortlichen der Stadtverwaltung zu einem gemeinsamen Handeln zu bewegen. Ob trotz aller Wahlkampfphrasen ein erster Schritt in diese Richtung getan werden konnte, bleibt abzuwarten.

 

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