Wochenende an der Jade
Aug 101992
 

Mehr Pop als Popcorn

Wochenende an der Jade bot in diesem Jahr kulturelle Qualitäten

(iz/noa) Strandfeste, Citymärkte, Altstadtfeste – leidgeprüfte Festbesucher sind es gewohnt, daß außer einem dicken Kopf, einem leeren Portemonnaie und Langeweile meist wenige Erinnerungen bleiben. Doch diesmal gelang es den Veranstaltern des „Wochenendes an der Jade“, das kilometerlange Einerlei von Chinapfannen, Gyrosständen und immer wieder Bierbuden zugunsten eines sagenhaften – und dazu kostenlosen – kulturellen Angebotes in den Hintergrund treten zu lassen.

An erster Stelle müssen hierfür die Musikerinitiative (LAG Rock Wilhelmshaven) und das Pumpwerk-Team lobend erwähnt werden. Andreas Koût, der für die MusikerInnen nicht nur vorbereitend verantwortlich zeichnet, sondern während der Veranstaltung ständig präsent und aktiv war, bewies damit, daß er sich als Vorsitzender des Kulturausschusses nicht nur durch markige Worte während der Ausschusssitzungen hervorhebt, sondern ständig mitten in den Dingen drinsteckt, von denen er redet.
Während sonst den KünstlerInnen winzige Rummelwagen mit schlechter Akustik und Beleuchtung zugemutet wurden, konnten sie diesmal eine angemessene Bühnentechnik beanspruchen. Weiterhin standen für die Koordination erstmals Funkgeräte zur Verfügung, so daß die Beteiligten ohne Kilometergeld in ständigem Kontakt standen und entsprechend flexibel auf Unwägbarkeiten reagieren konnten.
Die lokale KünstlerInnenszene, die mit meist überdurchschnittlichem Niveau durchaus eine noch bessere öffentliche Förderung verdient hätte, wurde durch auswärtige KollegInnen so gut ergänzt, daß es dem Publikum manchmal Probleme bereitete, sich für einen Standort zu entscheiden, ohne was zu verpassen. So war es nur gut, Highlights wie die Moskauer Clown- und Artistengruppe „Mimikritschy“ oder die Rock ’n‘ Blues-Comedy-Combo „Prager Holz- und Blech-Ensemble“ (die Unnaer Antwort auf „Supercharge“!) gleich mehrfach auftreten zu lassen.

Ein Fest der Sinne war auch der „Jahrmarkt der Phantasie“ rund ums Pumpwerk. Mit z.T. einfachsten Mitteln, aber großem Aufwand an Arbeit und Einfallsreichtum einschließlich Recycling von Utensilien aus dem Theaterfundus wurde eine bunte Traumwelt geschaffen. Viele BesucherInnen hätten den riesigen Flokati-Eisbären und andere Objekte sicher gern als dauernde Ausstellung dort gesehen (was wohl aufgrund des verbreiteten Vandalismus nicht zu verwirklichen ist).
Der Wermutstropfen in der guten Stimmung waren wieder mal die Anwohner von Bontekai und Südstrand. Sie genießen 360 Tage im -Jahr das Privileg der schönsten Wohnlage in Wilhelmshaven, sind aber nicht bereit, dieses Ambiente für ein verlängertes Wochenende mit anderen zu teilen. Jeder nach 24 Uhr gespielte Akkord wird zum Zankapfel. Hier sind das Ordnungsamt und die Freizeit GmbH um organisatorische Kreativität gefragt (Ausnahmen von Satzungen, Freigetränke für Betroffene o.ä.)
Das gute technische Equipment ist nicht zuletzt zahlreichen Sponsoren zu verdanken, deren Werbe-Logos in dem bunten Trubel kaum störend auffielen. Einzig ein – im Voslapper Groden ansässiger – Betrieb trat am Bontekai über Transparente und T-Shirts des Verkaufspersonals an den Buden dermaßen impertinent auf, daß vielen der Spaß an den dortigen Veranstaltungen vermiest wurde.

Lobenswert: Beim Wochenende an der Jade gab es an den Bierbuden diesmal keine Plastikbecher, sondern Gläser. Das war eine Anordnung der Stadt. Bei Zuwiderhandeln war ein Bußgeld von 60 DM (?) angedroht.
Leider wußten viele Rummelbesucher damit nicht umzugehen. – Allein eine Wirtin büßte 220 Gläser ein. Es wären noch mehr, wenn sie nicht öfters Streifzüge über die nahe Wiese gemacht hätte, wo sie tatsächlich noch einige nicht zerbrochene Gläser fand. An einem anderen Stand gingen 160 Gläser verloren.
Die Anweisung, Gläser auszugeben, war vom Umweltgesichtspunkt aus ein sinnvoller Ansatz. Die Sache war aber nicht richtig geplant. Nach Jahren der Wegwerfkultur benötigen wir offensichtlich ein wenig Erziehung. Wies’n-erfahrene Münchenbesucher berichteten, daß dort ein Pfand auf Gläser erhoben wird.
So ein Pfandverfahren erschien den Wilhelmshavener Gastronomen angesichts der Verhältnisse nicht durchführbar: Die Biertrinker drängen sich schubweise, nämlich in den Auftrittspausen der Bands, an ihren Ständen. Nicht nur auf der Münchner Wies’n, sondern auf vielen großen Volksfesten wird dieses Problem ganz einfach dadurch gelöst, daß alle Rummelbeschicker gemeinsam mehrere Pfandstände einrichten.
Es ist zu hoffen, daß fürs nächste Jahr entsprechende Überlegungen und Planungen angestellt werden. Eine ganze Reihe von Wilhelmshavener Kneipiers überlegt nämlich nach dem Scherbensalat dieses Jahres und angesichts der Preise (1 Glas kostet 1,30 DM, ein Plastikbecher, in großen Mengen gekauft, nur 0,43 DM), im nächsten Jahr nur das Pflichtkontingent an Gläsern und darüber hinaus Pappbecher vorzuhalten.
Es mutet fast an, daß der Mißerfolg umweltfreundlicher Volksfeste seitens der Beschicker bewußt vorprogrammiert ist. Die Gastronomen des diesjährigen Jeverschen Altstadtfestes benutzten erstmals wieder verwendbare Kunststoff-Getränkebecher – und „beklagten“ 40% Verluste. Kein Wunder – trotz der Erfahrungen in Wilhelmshaven wurde kein Pfand erhoben! Die Kommunen sollten hier Format beweisen und sich nicht durch Drohungen, schärfere Umweltauflagen würden für Abwanderung der Marktbeschicker führen, blenden lassen. Wer verzichtet freiwillig auf die Gewinne einer mehrtägigen Sauforgie?

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