WIWA vor dem Aus?
Mai 131998
 

Wohnen will gelernt sein

Trotz anerkannter Notwendigkeit droht dem Wohnprojekt WIWA das Aus

(hk) Die soziale und berufliche Integration junger Menschen scheitert in vielen Fällen an einer ungelösten Wohnproblematik. Eine gesicherte Wohnsituation ist oftmals die Grundvoraussetzung dafür, dass diese Integration stattfinden kann. Dies war und ist der Ausgangspunkt des Modellprojektes WIWA, dessen Ziel es ist, mit diesen jungen Menschen eine Lebensperspektive zu entwickeln.

WIWAWIWA1 KopieHinter dem Kürzel WIWA verbirgt sich das Projekt ‚Wohnen für junge Menschen in Wilhelmshaven, Arbeits- und Koordinationsstelle‘. Der GEGENWIND sprach mit Jutta Brünlow (WIWA) und Edgar Schäfer (RAN und ehemaliger Mitarbeiter von WIWA) über die Arbeitsweise des Projektes und über die Möglichkeiten, das Projekt auch noch für die nächsten Jahre finanziert zu bekommen.

Gegenwind: Wie steht es um WIWA?
Edgar Schäfer: WIWA hat sich zu einem wichtigen Bestandteil der Jugendsozialarbeit in Wilhelmshaven entwickelt. Es ist allerdings für den Träger BKA e.V. (Beratung, Kommunikation und Arbeit) nicht abzusehen, ob das Projekt über 1998 hinaus noch finanzierbar ist.
Jutta Brünlow: WIWA ist als Modellprojekt zu 100% aus Bundesmitteln finanziert worden. Wir haben das Glück, dass durch die gute Kooperation mit der Wohnungsbaugesellschaft Jade das Projekt noch für dieses Jahr gesichert ist. Es geht jetzt darum, die Finanzierung der WIWA auf mehrere Beine zu stellen. Hierzu werden derzeit verschiedene Verhandlungen, u.a. mit der Stadt Wilhelmshaven geführt.

Wozu brauchen wir ein Wohnprojekt wie WIWA? Wohnraum gibt es in Wilhelmshaven doch mehr als genug.
Jutta Brünlow: Dies hat mehrere Gründe. Zum einen erhalten die Jugendlichen auf den Wohnraum keinen Zugriff, weil sich die Vermieter weigern, an sie zu vermieten, zum anderen ist für viele Jugendliche selbst günstiger Wohnraum unerschwinglich. Dies sind äußere Bedingungen. Die Jugendlichen sind vielfach auch nicht in der Lage, selbstständig zu wohnen. Es geht in diesem Projekt auch darum, die Ursachen für die Probleme der jungen Leuten zu bekämpfen. Und da bietet WIWA in Zusammenarbeit mit BKA e.V. und RAN gute Voraussetzungen, diese Probleme koordiniert anzugehen. Das beinhaltet einerseits die sozialpädagogische Beratung und Begleitung zur Erlangung von Wohnraum und auf der anderen Seite die Beratung und Hilfestellung bei der Suche nach Arbeit und wirtschaftlicher Absicherung, sowie die berufliche Qualifizierung in den Maßnahmen von BKA e.V.

Aus eurem Projektbericht geht hervor, dass ihr Probleme mit dem Jugendamt habt.
Edgar Schäfer: Die Unterstützung durch das Jugendamt geht so ziemlich durch alle Etagen bis zum Amtsleiter. Probleme tauchen dann auf, wenn es um das Geld geht. Das Jugendamt ist ja nicht nur Ansprechpartner für uns, sondern oftmals auch ‚Auftraggeber‘. Viele Jugendliche werden durch das Jugendamt an uns vermittelt. WIWA wird da schon als kompetenter Kooperationspartner anerkannt.

Was passiert, wenn es WIWA nicht mehr gibt?
Jutta Brünlow: Wir sprechen jetzt von den akut von Wohnungslosigkeit betroffenen, die zwangsgeräumt wurden, ihr Elternhaus verlassen haben oder aus anderen Gründen wohnungslos sind. Für diese jungen Leute gibt es dann keine Möglichkeiten mehr, kurzfristig ein ‚Dach über den Kopf‘ zu bekommen. Es gäbe dann nur noch die Möglichkeit, ohne das Zwischenschalten einer Stelle wie WIWA, sie in die Obdachlosenunterkünfte einzuweisen. Die Jugendlichen, die zu uns kommen, sind in der Regel zu alt für eine Vermittlung in eine Notpflegefamilie.

Woher weiß ein Jugendlicher mit den entsprechenden Problemen, dass es WIWA gibt?
Jutta Brünlow: Das hat sich schnell herumgesprochen, so daß wir es hauptsächlich mit ‚Selbstmeldern‘ zu tun haben, andere werden über das Jugend- und Sozialamt sowie verschiedene Institutionen der Jugendhilfe an uns vermittelt.

Welche Art der Unterstützung bietet ihr den Jugendlichen und jungen Erwachsenen an?
Jutta Brünlow: Wir hören dem jungen Menschen zu, um Problemlagen und besondere Schwierigkeiten in Erfahrung zu bringen. Hierauf bauen wir unser Beratungsangebot auf. Es werden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt und erarbeitet, einen adäquaten Wohnraum zu beschaffen, der aus eigener Kraft dauerhaft erhalten werden kann. Die jungen Menschen erhalten solange Beratung und Begleitung , wie es erforderlich ist. Nicht nur bei der Wohnraumbeschaffung und –finanzierung, sondern auch bei der Arbeits- suche oder der Lösung von Konflikten im Elternhaus – z.B. im Elternhaus – wird Hilfe angeboten. Bis vor kurzem hatten wir eine ‚Krisenwohnung‘ angemietet, die wir konzeptionell als Clearingstelle genutzt haben. Diese Wohnung gewährte jungen Erwachsenen in Krisensituationen für einen begrenzten Zeitraum Obdach und sicherte zunächst einmal bis zur Klärung der Notsituation das Leben in einem geschützten Rahmen. Diese Wohnung musste jetzt leider aufgegeben werden, da hierfür keine Regelfinanzierung gewährt worden ist.

Welche Rolle spielt die Jade Wohnungsbaugesellschaft bei WIWA?
Jutta Brünlow: Die Jade legt sehr viel Wert auf unser Projekt, sie hat sich allen Problemen gestellt und war an den konzeptionellen Überlegungen maßgeblich beteiligt. Die WoBau Jade ist der wichtigste Kooperationspartner von WIWA, und die meisten Wohnungen können über die WoBau akquiriert werden. WIWA steht der WoBau Jade als ständiger Ansprechpartner für junge Erstmieter in allen Angelegenheiten und Problemen ‚rund ums Wohnen‘ zur Verfügung. Das Gleiche gilt für alle Fälle, in denen eine Zwangsräumung unmittelbar droht und durch die Beratung von WIWA unter Umständen abgewendet werden kann. WIWA stellt bei Bedarf auch die Nachbetreuung in Form einer sozialpädagogischen Wohnbegleitung sicher. Diese gute Zusammenarbeit hilft der Jade und den jungen Menschen. So wird aus betriebswirtschaftlichem Denken und sozialpädagogischer Intervention eine Perspektive für den jungen Menschen entwickelt.

Was bedeutet „sozialpädagogische Wohnbegleitung“?
Jutta Brünlow: Viele junge Menschen, die zu uns kommen, hatten nie die Möglichkeit, die einfachsten Regeln des Zusammenlebens zu erlernen. So müssen sie die Respektierung von Hausgemeinschaften erlernen und regelmäßige Verpflichtungen wahrnehmen. Zu- dem müssen sie nun ihren eigenen Haushalt mit dem Einkauf, der Finanzplanung und dem Tagesablauf organisieren. Hier leisten wir im Rahmen unserer Möglichkeiten Hilfestellung. Viele der von uns betreuten Menschen arbeiten in Maßnahmen von BKA e.V. Hier werden Arbeiten und Wohnen in einen engen Zusammenhang gebracht, da handwerkliche Grundtechniken, die auch für die Wohnungseinrichtung und –renovierung nützlich sind, geübt werden. RAN spielt in diesem Zusammenhang insofern eine wichtige Rolle, die Jugendlichen in Ausbildung bzw. Arbeit zu vermitteln.

Habt ihr für die Arbeit ausreichendes Fachpersonal?
Jutta Brünlow: Nein. Wir benötigen für die Arbeit mehr Personal, denn der Bedarf ist mit der derzeitigen personellen Ausstattung nicht zu decken. Dies hat auf der einen Seite zur Folge, dass bei sehr hohem individuellen Betreuungsaufwand andere Träger der Jugendsozialarbeit in die Arbeit einbezogen werden, auf der anderen Seite müssen wir Hilfe suchende Jugendliche bisweilen an das Jugendamt zurückverweisen.

Seit 1994 existiert WIWA. Welche Erfahrungen habt ihr mit den jungen Menschen gemacht?
Jutta Brünlow: Die jungen Leute, die WIWA aufsuchen, kommen fast alle aus problematischen Verhältnissen, die geprägt sind von materieller Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Drogenproblemen und Ehekonflikten.
Edgar Schäfer: Die Selbstständigkeit der Jugendlichen nimmt erschreckend ab. Gleich- zeitig nimmt die gewollte Vereinzelung zu. Es besteht kein Interesse, eine Wohngemeinschaft zu gründen oder sich für eine Übergangszeit eine Wohnung mit jemandem zu teilen. Die meisten gestalten ihre Freizeit völlig für sich allein, z.B. vor dem Computer, vorm Fernseher, im Bett. Freundeskreise zur gegenseitigen Unterstützung gibt es kaum.
Jutta Brünlow: Viele junge Leute werden von ihren Eltern überhaupt nicht mehr an ein soziales Verhalten herangeführt. Bei der Arbeit – insbesondere mit Minderjährigen – nehmen wir regelmäßig Kontakt zu den Eltern auf. Diese sind häufig nicht bereit, an der Problembewältigung mitzuwirken, und haben an dem Leben ihrer Kinder kein Interesse mehr. Die Einstellung: „Sie sollen doch sehen, wie sie klarkommen“ nimmt stetig zu.

Die Arbeit von WIWA wird immer wichtiger, ist aber gleichzeitig im Fortbestand gefährdet. Was muss geschehen, damit das WIWA- Projekt mittel- bzw. langfristig gesichert ist?
Jutta Brünlow: Wir wünschen uns, dass die Verhandlungen mit der Stadt positiv ausgehen, dass wir von der Stadt eine Regelfinanzierung oder einen Globalzuschuss bekommen. Das könnte unser weiteres Bestehen sichern. Desweiteren hoffen wir, dass die Zusammenarbeit mit der Jade sich fortsetzt.

Gibt es denn in Bezug auf die Jade bei euch Bedenken?
Jutta Brünlow: Es bestehen grundsätzlich keine Bedenken bei der WoBau Jade, WIWA auch weiterhin finanziell zu unterstützen. Es ist aber bekannt, dass sich bei der WoBau Jade noch in diesem Jahr strukturelle Veränderungen ergeben werden. Welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die Zusammenarbeit und die Projektförderung haben werden, ist allerdings nicht absehbar.

Wir danken euch für das Gespräch.

 

BKA, RAN und WIWA

Der Verein Beratung, Kommunikation und Arbeit e.V. (BKA) wurde 1984 mit den Arbeitsschwerpunkten gegründet, als freier Träger im Bereich der arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit Beschäftigungs- und Qualifikationsmaßnahmen für arbeitslose Jugendliche, sowie zusätzliche Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zu schaffen. Dafür wurden Jugendwerkstätten und weitere Arbeitsbereiche für Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte aufgebaut.

Seit 1992 ist dem Träger die Regionale Arbeitsstelle zur beruflichen Eingliederung junger Menschen in Niedersachsen (RAN) als Beratungs- und Koordinationsstelle angeschlossen, mit der WIWA in einem Gemeinschaftsbüro zusammenarbeitet.

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