Wilhelmshavener Tafel
Nov 302005
 

„Gehen Sie doch zur Tafel!“

Hartz IV hat der „Wilhelmshavener Tafel e.V.“ erwartungsgemäß mehr Zulauf gebracht

(noa) Am 8. November konnte die Monatsversammlung der Arbeitsloseninitiative Herrn Henry Pries, den Vorsitzenden der „Wilhelmshavener Tafel e.V.“, begrüßen. Einiges von dem, was er berichtete, ist den regelmäßigen Gegenwind-LeserInnen bekannt, denn wir haben diesen Verein vor etwa einem Jahr vorgestellt (vgl. „Beachtliche Entwicklung“ in GW 203).

Warum machen die das?

10 bis 15 % aller frischen Lebensmittel werden noch vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums vernichtet, weil sie nicht gekauft werden – denn mittlerweile stehen im Kühlregal schon „noch frischere“ Waren. Wer kennt das nicht: Vorne steht die Milch, die noch mindestens drei Tage hat, dahinter die, deren Mindesthaltbarkeitsdatum ihr noch zwei Tage mehr verheißt – und wir nehmen die von hinten, obwohl wir den Pudding schon heute Nachmittag kochen wollen.
Henry Pries entstammt einer Generation, für die das Wegwerfen von Lebensmitteln eigentlich unvorstellbar ist. Das ist eines der Motive, die ihn bewogen haben, sich bei der „Tafel“ zu engagieren.
Das hier beschriebene Verbraucherverhalten kann er nicht ändern (wenn er, ausgestattet mit einem Besorgungszettel, im Auftrag seiner Frau in den Supermarkt geht, verhält er selber sich genauso – er würde sonst zu Hause Ärger kriegen). Aber diese nicht mehr verkäuflichen, durchaus aber noch guten Lebensmittel vor der Vernichtung bewahren, das kann er wohl. Und dabei kann er vielen Leuten, bei denen das Geld sehr knapp ist, immer wieder zu einer ausreichenden Mahlzeit verhelfen.

Wie geht das?

Das Prinzip der „Tafel“ ist ganz einfach. Sie holt aus den Lebensmittelgeschäften die nicht mehr verkäuflichen Lebensmittel ab und verteilt sie an Bedürftige. Alles, was damit zusammenhängt, ist nicht so einfach. Bei der Wilhelmshavener Tafel sind 35 ehrenamtliche Helfer in ihrer Freizeit damit beschäftigt, diese Umverteilung zu organisieren. Die Lebensmittel werden aus den Märkten abgeholt und zum Textilhof gebracht, wo schon Freiwillige warten, um sie zu begutachten und angemessen zu lagern. Hier wird gründlich aussortiert, denn Lebensmittel, die erkennbar nicht mehr gut sind, dürfen auch „für umsonst“ nicht abgegeben werden. Die Bestimmungen des Lebensmittelrechts gelten auch hier, und Herr Pries ist mittlerweile zum Spezialisten in diesem Fach geworden. An zwei Ausgabetagen wöchentlich (Dienstag Vormittag und Freitag Nachmittag) „wird der Laden geöffnet“: Wieder andere Ehrenamtliche sorgen dafür, dass die Menschen, die da Schlange stehen, nicht umsonst gekommen sind und nicht ewig stehen müssen. Und dann ist immer noch nicht Schluss, denn die Sachen, die man wirklich nicht mehr essen sollte, müssen weg, genau wie jeden Menge Verpackungsmaterial. Außerdem müssen die Räumlichkeiten stets sauber sein; geputzt wird also auch regelmäßig.

Es wird knapper

80 bis 100 t Waren – das sind fünf Güterwaggons – bewegen die ehrenamtlichen Kräfte der Wilhelmshavener Tafel pro Jahr. Diese Menge ist in den letzten Jahren einigermaßen konstant geblieben.
Hat Hartz IV sich bei der Wilhelmshavener Tafel bemerkbar gemacht? Dies war eine der Fragen, die Herrn Pries in die Einladung geschrieben worden waren. Ja, allerdings. Kamen bis Ende 2004 an jedem Ausgabetag etwa 100 bis 120 Menschen zum Textilhof, um sich Lebensmittel abzuholen, waren es ab April/Mai 2005 schon 120 bis 130, und mittlerweile sind es 150 bis 160 Personen jeden Dienstag und Freitag, die für eine Tüte Lebensmittel anstehen. In den Nebenstellen Sande, Schortens, Friedeburg, Wittmund und Esens sind es zusammen auch noch mal gut 300. Mehr dürfen es eigentlich nicht werden, denn, wie gesagt, die verfügbare Menge Güter ist nicht mitgewachsen.
Von den „Neuen“ haben einige, als sie sich erstmalig meldeten, gesagt, dass sie den Tipp, zur Tafel zu gehen, von ihrem Fallmanager beim Job-Center bekommen haben. Die Verwalter des Elends scheinen durchaus zu wissen, was sie da machen müssen…
Insofern war Herr Pries auch ein wenig zurückhaltend, denn sein Auftritt bei der ALI sollte nicht dazu dienen, alle einzuladen, regelmäßig zu kommen und jeden Menge abzuholen. „Würden tatsächlich alle kommen, die bedürftig sind, dann würde es nicht reichen“, sagte er. Bedürftig sein, das ist keine subjektive Einschätzung, sondern ein Begriff, der auch im Amtsdeutsch vorkommt. Wer Arbeitslosengeld II, Sozialgeld oder eine kleine Rente bezieht, ist bestimmt bedürftig; die allein erziehende Mutter, die einen Teilzeitjob hat, mit dem sie gerade so viel verdient, wie sie auch ohne ihren Job bekommen würde, darf aber auch nachfragen. Und diese Leute bekommen dann einen Berechtigungsausweis der Tafel. 600 Menschen haben einen solchen Ausweis, und eingedenk der Tatsache, dass einige von ihnen Familie haben, kann man davon ausgehen, dass wohl 1200 Menschen ihren Speiseplan mit Hilfe der „Tafel“ regelmäßig anreichern.

Wer hilft?

Die Versammlungsteilnehmer waren sehr interessiert an den Ausführungen von Herrn Pries und fragten ihm Löcher in den Bauch. „Wie finanziert sich die Tafel? – Sie haben doch sicher jede Menge Kosten.“ Nun, einen Teil ihrer tatsächlich nicht unbeträchtlichen Kosten – Miete, Energie, Benzin, Entsorgungskosten – decken die Mitgliedsbeiträge. 180 Menschen entrichten monatlich 3 Euro. Das würde aber längst nicht reichen, und zum Glück gibt es immer mal wieder Spenden von Institutionen und Einzelpersonen. Außerdem zahlen diejenigen, die sich hier mit Nahrungsmitteln eindecken, pro Abholung einen Euro.
Und dann gibt es die fünf „1 Euro-Jobs“, die in Wirklichkeit 1,50 Euro-Jobs sind, von denen auch ein bisschen Geld beim Verein bleibt.
„Wie hilft die Stadt? Können Sie wenigstens kostenlos entsorgen?“ Tja, die Stadt ist der Tafel mit Sicherheit sehr dankbar, doch diese Dankbarkeit findet leider nicht einmal in kostenloser Müllabfuhr ihren Niederschlag – viele Versammlungsteilnehmer meinten, das wäre doch wohl das Mindeste. Als eine Art „Reparaturbetrieb des Staates“ bezeichnete einer die „Tafel“.
„Was für eine Motivation haben die vielen Ehrenamtlichen?“ Diese Frage stellt sich wahrscheinlich nicht nur bei der Tafel, sondern bei jeder Art ehrenamtlichen Engagements. Herr Pries wusste zu berichten, dass unter denen, die hier z.T. schon seit Jahren einen Teil ihrer Freizeit einem guten Zweck zur Verfügung stellen, Freundschaften entstanden sind. Sie kommen (und bleiben dabei) nicht nur, weil sie etwas Nützliches tun wollen, sondern weil sie es zusammen tun wollen.

Danke!
„Erntedank liegt nicht lange zurück. Die Wilhelmshavener Tafel e.V. möchte den Märkten, bei denen wir regelmäßig Lebensmittel und andere Waren abholen dürfen, deswegen einmal ausdrücklich danken“, sagte uns Herr Pries, als wir ihn bei der ALI-Versammlung trafen. Das geben wir gerne weiter. Also: Vielen Dank an
♦ Schlachterei Bruns in Steinhausen,
♦ Bäckerei Siemens in Rüstersiel und
♦ Bäckerei Rohlfs in Sande,
♦ an die Combi-Märkte in der Sven-Hedin-Straße, in der Gökerstraße und in der Nordseepassage,
♦ an den extra-Markt im Mühlenweg,
♦ an die Lidl-Märkte in der Freiligrathstraße, in der Posener Straße und in der Güterstraße,
♦ an Marktkauf in der Flutstraße,
♦ an Mios im Krabbenweg,
♦ an die Neukauf-Märkte in der Zedeliusstraße und Am Wiesenhof,
♦ an die Netto-Märkte in der Weserstraße und der Ernst-Barlach-Straße,
♦ an Naturata in der Gökerstraße,
♦ an die Plus-Märkte in der Kopperhörner Straße, in der Bismarckstraße 54 und in der Bismarckstraße 249, in der Peterstraße/Ecke Banter Weg, in der Posener Straße, in der Freiligrathstraße, in der Gökerstraße und in der Börsenstraße,
♦ an die Rossmann-Filialen Marktstraße, Posener Straße und Nordseepassage,
♦ an den Getränkemarkt Zisch in der Gökerstraße und
♦ an die NWO (Nord-West-Ölleitung) für die Fahrzeugspende!

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