Wilhelmshavener Projekt-Gesellschaft
Apr 272001
 

„Mauscheln und vernebeln“

WPG-Skandal und verfehlte Kommunalpolitik im Lokalfunk

(iz) Seit langem beschäftigt sich der GEGENWIND mit den krankhaften Auswüchsen lokaler Kommunalpolitik. Dazu zählt aktuell der Skandal um die WPG-Pleite, die mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft in Oldenburg beschäftigt – und „Radio Jade“, dessen Redakteure wie wir Bewegung in das „sozialdemokratische Wesen wie vor 100 Jahren“ (Birgit Puvogel) bringen wollen. Die Auftaktsendung einer angekündigten Reihe kritischer Beiträge ist es wert, schwarz auf weiß in dieser Zeitung verewigt zu werden.

„Radio Jade ist neben dem GEGENWIND das einzige unabhängige Medium in der Region“ stellte Rüdiger Schaarschmidt in der einstündigen „Direkt extra“-Sondersendung am 12. April fest. Die kritische Offensive des Senders erfolgt in dem Bewusstsein, dass Medien, die hier vor Ort etwas Positives bewirken wollen, für die unheilige Allianz aus Tageszeitung, der rot-grünen Mehrheitsfraktion des Rates und der Verwaltungsspitze als „Miesmacher“ gelten, die der Stadt „schaden“ und „mundtot gemacht“ werden sollen. Die Unabhängigkeit begreift Radio Jade nun als Verpflichtung für „veritas vincet“ – die Wahrheit wird siegen. Mündige BürgerInnen sollen nicht länger für dumm verkauft werden. „Transparenz ist ein Fremdwort für die herrschende Politik“, die, so Schaarschmidt in seiner Rahmenmoderation, möglicherweise bei der Kommunalwahl am 9. September die Quittung dafür erhalten wird.
Launig, emotional, sarkastisch, doch immer am roten Faden der Fakten orientiert begannen Michael Diers und Birgit Puvogel mit der Aufarbeitung der Skandale um Expo und WPG. Vieles davon war bereits aus dem GEGENWIND bekannt (umfangreiche Analyse s. Nr. 167 v. April 2001); wochenlange Recherchen der KollegInnen vom Lokalfunk haben mittlerweile noch weitere unappetitliche Details aus dem dort zitierten „Dreckigen Sumpf“ ans Tageslicht befördert. Erfrischend waren für frustrierte Wilhelmshavener HörerInnen vor allem die Zitate und Kommentare der Redakteure, die wir nebenstehend (Kasten) auszugsweise abdrucken.
Es kam alles so plötzlich
Wie der GEGENWIND fragt sich auch Radio Jade, wie aus 17 Mio DM WPG-Schulden (Verlautbarung im November 2000), die der Expo zuzuordnen sind, bis März dieses Jahres 34 Mio werden konnten. Fragwürdigen Aufschluss gibt ein Zitat aus einem NDR-Interview mit Kulturdezernent Jens Graul, nach dessen Aussage man seit 1998 so sehr mit der Expo-Vorbereitung beschäftigt war, „dass keine Zeit blieb, die Rechenschaftsberichte durchzugucken“. Rüdiger Kramp und Jürgen Groenewold sollen nun als ehemalige Geschäftsführer die Köpfe hinhalten. Michael Diers fragt berechtigterweise, wo die Vorgesetzten sind, die an den beiden vorbei maßgebliche Entscheidungen gefällt haben. Um die Verantwortung lokalisieren zu können, sollen zukünftig Einzelmaßnahmen der WPG vom Verwaltungsausschuss abgesegnet werden – auf Intervention der Kommunalaufsicht (Bezirksregierung), die ihrem Sorgenkind Wilhelmshaven schon oft genug die Ohren lang ziehen musste und den Verantwortlichen aus aktuellem Anlass auch mit strafrechtlichen Konsequenzen droht. Die Aufsichtsbehörde legte dem Rat auch nahe, das fragwürdige Sanierungskonzept für die städtische Gesellschaft, das die Steuerzahler weitere 10 Jahre belasten wird, nur zur Kenntnis zu nehmen. Dass das Konzept wider besseres Wissen doch verabschiedet wurde, deutet Diers so, dass gewisse Mandatsträger sich vor genaueren Recherchen vor allem innerhalb „einer gewissen Partei“ fürchten.
Unterm Strich sind auch Kramp und Groenewold fein raus. Diers` Feststellung, sie seien nach der Expo „in den Ruhedienst gestellt“ worden, ist vordergründig ein sprachlicher Ausrutscher. Vor dem Hintergrund, dass sie weitere zweieinhalb Jahre Bezüge erhalten – allein Kramp, wird vermutet, 450.000 DM –, trifft Diers den Nagel auf den Kopf.
Blankes Entsetzen
Während besagter Ratssitzung am 21.3., in der auch die WPG-Schulden diskutiert wurden, erfasste Birgit Puvogel das gleiche „blanke Entsetzen“, das jeden außenstehenden Beobachter dieser Zusammenkünfte befällt und sich in unserer Rubrik „Ratssplitter“ regelmäßig widerspiegelt. In der sogenannten Bürgerfragestunde hatte ein aufgeweckter Jadestädter den Teilskandal um die „Botel GmbH“ anhand von 30 Fragen aufgedröselt. (Die städtische Beteiligung an diesem Gastronomiebetrieb hat den Steuerzahlern allein über 1,1, Mio DM Schulden beschert). Die angesprochenen Ratsmitglieder kommentierten die Anfrage durch Gähnen, Kopfschütteln oder Flucht aus dem Ratssaal, unter dem Vorwand anderweitiger Termine – kurz gnadenlose Arroganz. „Das hat was mit Strukturen zu tun, einer bestimmten Denke der letzten 30 Jahre“, resümiert Puvogel spürbar fassungslos. Auch Diers erkennt, dass die Verantwortlichen nur an sich und ihre Pfründe denken – mit dem Ergebnis, dass Nachrücker fehlen, um die Zukunft aller BürgerInnen dieser Stadt zu sichern.
Zum Abschluss der Sendung rief Radio Jade die HörerInnen auf, dieses unabhängige Medium für eine kritische Auseinandersetzung mit einer bürgerfeindlichen Kommunalpolitik aktiv und konstruktiv zu nutzen. Dem können wir uns – ergänzt durch ein entsprechendes Angebot an unsere LeserInnen – nur anschließen.


Zitate

„Besser, es entsteht ein Skandal, als dass die Wahrheit unterdrückt wird.“ (Schaarschmidt / Heiner Geißler)
„Öffentliche Auseinandersetzung gibt es kaum in der grünen Stadt am Meer.“ (Schaarschmidt)
„Die Lokalzeitung versucht mit allen Mitteln, die Richtung der Politik zu bestimmen, und die meisten Politiker laufen ihr hinterher.“ (Schaarschmidt)
„Die Schulden der WPG seien kein Wahlkampfthema, erklären WZ und SPD unsisono. So wird versucht, BürgerInnen für unmündig zu erklären.“ (Schaarschmidt)
„Die Nicht-Aufarbeitung von Skandalen hat Methode in 30 Jahren SPD – bis auf einen Betriebsunfall.“ (Diers)
„Als Journalistin und Stadtplanerin bin ich tief besorgt. Mit vernetztem Denken und sozialer Kompetenz wären die Wohnstadt West und andere Dinge nicht passiert.“ (Puvogel)
„Da erhält ein Mr. Nishen aus Berlin 3 Mio DM – für nichts.“ (Diers zu dubiosen Planungsaufträgen der WPG)
„Ach, wir sind schon zu Ende? Ich habe ja noch 30 Jahre (SPD-)History vorzutragen.“ (Puvogel)
„Würde ich einem mittelalten Bürger in der Fußgängerzone das Wort ‚Sonnemann’ zurufen, müsste ich mir 2 Stunden Hasstiraden anhören.“ (Puvogel)
„Das muss man erst mal bringen.“ (Diers zu einem WZ-Beitrag über Expo und WGP, wonach allen Beteiligten, jedoch ausdrücklich nicht dem leitenden WPG-Mitarbeiter Jürgen Groenewold gedankt wurde.)
„Lassen wir das noch 20 Jahre so weiterlaufen, dann ist das Ding komplett gegen die Wand gefahren. Daran habe ich, die ich noch 30, 40 Jahre hier leben will, überhaupt kein Interesse.“ (Puvogel)
„Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.“ (Schaarschmidt zu der Tatsache, dass weder der Programmhinweis noch eine ergänzende Pressemitteilung zu dieser Sendung in der WZ abgedruckt wurden; Anm. d. GEGENWIND-Redaktion: Eine Woche später druckte die WZ den Programmhinweis – an dem Abend lief auf dem Sendeplatz ein Bericht über das IGS-Musical …)
„Mauscheln und Vernebeln“ (Schaarschmidt zur Politik lokaler Meinungsmacher)

 

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