Des Kaisers neue Kleider
(iz) Allmählich haben die WilhelmshavenerInnen die Faxen dicke: Seit drei Jahren wird mit großem Bohei der Bau eines Outletcenters auf dem Gelände des ehemaligen C&A-Gebäudes angekündigt. Nach vielen vorangegangenen und nicht gehaltenen Versprechen gab Bauherr Jan D. Leuze im Januar sogar sein „Ehrenwort“, bis Ende März mit dem Bau zu beginnen. Nun haben wir April und kaum jemand kann ihn noch ernst nehmen.
Schon des Öfteren wurden so genannte Investoren von Politik, Verwaltung und teilweise auch Medien mit der Sänfte durch die Stadt getragen und machten sich dann aus dem Staub. Erinnert sei an die Pizzafabrik im interkommunalen Gewerbegebiet Roffhausen, die chinesische Windkraftanlagen-Halle am Hannoverkai, die exklusive Wohnbebauung am Banter See. Die Arbeitszeit hochqualifizierter Angestellter wurde vergeudet. Steuergelder wurden eingesetzt, ob aus der Kasse der Stadt, des Landes, des Bundes oder der EU, um im Interesse des Investors Bäume zu roden, Bunker abzureißen, Straßen zu verlegen. Zurück bleibt stets eine Spur der Verwüstung.
So ist es nicht verwunderlich, wenn BürgerInnen hochtrabenden Ankündigungen dieser Art zunehmend skeptisch gegenüberstehen. Auch beim Outlet gab es von Anfang an Zweifler, die von den bekannten Erklär-Bären einer gewissen Wirtschaftslobby verbal niedergeknüppelt wurden. Wer wird nun Recht behalten?
Es spricht ja nix dagegen, schräge Ideen zu haben – ein Outlet mitten in der City fernab der großen Zubringer ist nicht alltäglich. Der Standort für ein Factory Outlet Center (FOC) wird in der Regel so gewählt, dass ca. drei Millionen Einwohner innerhalb einer PKW-Fahrzeit von einer Stunde wohnen. Entsprechen liegen die Outlets meist „auf der grünen Wiese“, in unmittelbarer Nähe zu Autobahnen oder anderen großen Verkehrsachsen. Die Besucher kommen meist mit dem PKW und nur selten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weshalb ein solches Center hohe Verkehrsströme auslöst. Wilhelmshaven liegt nun mal an einem äußersten Zipfel der Republik, sozusagen in einer Sackgasse, weil direkt am Meer, da erscheint ein FOC in der Innenstadt ambitioniert.
Das Ganze wäre weniger schlimm gewesen, wenn die Träger und Unterstützer des Vorhabens nicht von vornherein so getan hätten, als sei alles schon in trockenen Tüchern. Eine realistische Betrachtung mit kritischer Distanz wäre für alle Beteiligten von Vorteil gewesen. Sich gleich darauf zu stürzen, als gäbe es kein anderes Morgen mehr, konnte nur in einer weiteren Provinzposse enden.
Eine Grundsatzdiskussion zum Thema Nachhaltigkeit in der Stadtplanung – global denken, lokal handeln – ist in Wilhelmshaven erst recht nicht zu erwarten. Ökologische und soziale Langzeitwirkungen der Schnäppchenmentalität – wer will sich damit schon auseinandersetzen?
Das einzige, was bislang am Projekt „Wilhelms Outlet“ überzeugen konnte, war das Marketing mit einem gekonnt gemachten Corporate Design bzw. der dadurch vermittelten Corporate Identity. Des Kaisers Bart wurde im einprägsamen schwarz-weiß-Look durchdekliniert, Wiedererkennungswert: außerordentlich. Ein schicker Laden in der Virchowstraße, eine ansprechende Website, eine liebevoll bespielte Facebookseite. Handwerklich klasse gemacht, von der Zielrichtung her freilich Opium fürs Volk. Die hiermit beauftragte Medienagentur hat es geschafft, die WilhelmshavenerInnen mitzunehmen, ein Wir-Gefühl zu vermitteln. Die Fangemeinde wurde gefragt, welche Marken sie denn gern hätte, und musste auch sonst denn Eindruck gewinnen, passiv und aktiv an der Entstehung des Outlets beteiligt zu sein. Manchmal wurde es allerdings albern, wenn altmodische Attitüden des virtuellen Kaisers überstrapaziert wurden oder irgendein Kostümheini auf den Fotos auftauchte. Und wirkliche Transparenz gibt es bis heute nicht, kritische Medienbeiträge wurden ausgeblendet.
Am 30. September bricht die Facebookseite plötzlich mit diesem letzten Eintrag ab: „Wilhelms Wasserstandsmeldung vom 30.09.2016 – Das Abrissunternehmen „Hirsch“ wird kommende Woche seine Arbeit auf der Baustelle fortsetzen. Geplant ist, zunächst der kompliziert liegenden Keller der ehemaligen C&A Immobilie abzutragen. Im nächsten Schritt soll die Baustelle für den Neubau vorbereitet werden. Dazu zählt das einsetzen sogenannter Verdrängungsbohrpfähle …“
Die Zusammenarbeit mit der Agentur wurde vermutlich beendet und nun ging die Marketingstrategie nach hinten los. Das Opium-verwöhnte Volk begann zu murren und die bis dahin verwendete Bildsprache wurde zum Eigentor: „Des Kaisers neue Kleider“, von den PR-Leuten der KWO im witzigen Sinne gern zitiert, gewann plötzlich eine andere Bedeutung. Wikipedia schreibt zum Hintergrund des Märchens von Hans Christian Andersen (das übrigens genau heute vor 180 Jahren erschien):
Des Kaisers neue Kleider
„Die Erzählung wird gelegentlich als Beispiel angeführt, um Leichtgläubigkeit und die unkritische Akzeptanz angeblicher Autoritäten und Experten zu kritisieren …. Aus Furcht um seine Stellung und seinen Ruf spricht wider besseres Wissen niemand, nicht einmal der treueste Minister des Kaisers, die offensichtliche Wahrheit aus; vor die Entscheidung „Ansehen und Wohlstand oder Wahrheit“ gestellt, entscheidet man sich letzten Endes gegen die Wahrheit und für die materiellen und ökonomischen Vorteile.“ (Wikipedia)
Auch die Redewendung „Um des Kaisers Bart streiten“ erscheint nun in einem besonderen Licht.
Was nun auf dem Freigelände zwischen Ebert-, Virchow- und Rheinstraße passiert, steht in den Sternen. Im Notfall macht man einen weiteren Parkplatz draus, im besseren Fall einen Park mit Bäumen. Doch selbst wenn da noch irgendeine Art von Klamottentempel hinkommt und von den üblichen Verdächtigen wieder schöngeredet wird: Die Peinlichkeit des Ganzen lässt sich aus der Stadtchronik nicht mehr rauswaschen.
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