WHV Hafenwirtschaft
Mai 152007
 

Rechtsverdreher

Hafenwirtschaft sieht sich als Nabel der Welt

(iz) Angesichts der Tatsache, dass im Umfeld des geplanten Containerhafens weitere Naturschutzgebiete ausgewiesen werden, läuft die Hafenwirtschaft zornentbrannt zu Höchstform auf. Selbstbewusst stellt sie das geltende Planungsrecht in Frage und verdreht die Tatsachen. Erfahrungsgemäß glauben schlecht informierte Bürger- und PolitikerInnen mancherlei Unsinn, wenn er nur oft genug breitgetreten wurde. Nachfolgend unser Versuch, diesen Informationsmüll zu entsorgen.


„Pläne gefährden den Hafen“, titelte die WZ am 7.4. in Bezug auf neue Naturschutzgebiete nördlich des Wattenmeeres. Der Artikel basierte auf Äußerungen der Wilhelmshavener Hafenwirtschafts-Vereinigung e. V. (WHV) und wurde bedauerlicherweise nicht durch neutrale Hintergrund-Informationen ergänzt.
Der Dorn im Auge der WHV ist das geplante Naturschutzgebiet (NSG) „Küstenmeer vor den Ostfriesischen Inseln“. Es grenzt direkt an den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“, bildet ein Band vom Gebiet ‚Borkumriff’ bis zur ‚Mellumplate’ und hat eine Größe von rund 53 500 ha. Östlich von Wangerooge bzw. der Vogelinsel Minsener Oog knickt es nach Süden ab und schließt das Jadefahrwasser bis etwa Höhe Schillig ein. Gleichzeitig in Planung sind die NSG „Borkum Riff“ (etwa 20 km nordwestlich der Insel Mellum) und „Roter Sand“ (etwa 20 km nordwestlich der Insel Mellum).
Die Planung der Schutzgebiete obliegt dem Nds. Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), der nach Auffassung der WHV damit in der 12-Seemeilen-Zone vor „Wilhelmshavens Haustür“ die Entwicklung der Hafenwirtschaft gefährdet.
Mal abgesehen davon, dass die „Haustür“ bzw. der Vorgarten unserer Stadt mit dem gesamten Seegebiet zwischen Ems und Elbe sehr großzügig bemessen ist, kann von Gefährdung nicht die Rede sein. Ein Blick in den Entwurf der Verordnung zum Schutzgebiet erleichtert die Wahrheitsfindung: Im § 4 – Freistellungen – steht: „Die Schifffahrt bleibt von den Regelungen dieser Verordnung unberührt.“ Diese und weitere grundsätzliche Regelungen finden sich in den Texten zu allen drei NSG. Das bedeutet einerseits, dass der Schutz nicht in dem Maß umgesetzt werden kann, wie es aus rein naturschutzfachlicher Sicht nötig wäre. Vor allem aber bedeutet es im Zusammenhang mit unserem Thema dass die Panikattacken der WHV völlig unbegründet sind. Die hat jedoch „kein Verständnis dafür, dass hier wieder einmal ökologische Interessen überproportional berücksichtigt würden.“ Wieder einmal? Überproportional? Zu was? Wo? Wie? Berücksichtigt? Wer sich offenen Auges in deutschen Landschaften umschaut, findet allenfalls Bruchstücke dieses Satzes bestätigt. Streicht man alle unpassenden Silben, bleibt als Ergebnis „kein Verständnis für ökologische Interessen“ stehen.

Gutes Recht – für alle

Die WHV will nun „alles daran setzen, die Planungen zu verhindern“. Zunächst hat der Vorstand „in Absprache mit den großen Unternehmen am tiefen Fahrwasser einen Brief an den NLWKN verfasst und darin seine Bedenken detailliert zum Ausdruck gebracht“. Auch die Industrie- und Handelskammer ist mit im Boot. Nach ihrer Ansicht ist durch die NSG „die Existenz zahlreicher Unternehmen bedroht. … Zudem würde die Ausweisung der Naturschutzgebiete an den jetzt vorgeschlagenen Stellen den Jade-Weser-Port nachhaltig gefährden, denn Nutzungseinschränkungen für die Zufahrten wären vorprogrammiert“. (Jeversches Wochenblatt, 13.4.2007) Besagter Brief der WHV ist nichts Außergewöhnliches, sondern gutes Recht: Alle, die von der Ausweisung des Schutzgebietes betroffen sind, können während der Auslegungsfrist der Entwürfe ihre Anregungen und Bedenken vortragen.
Die WHV ist aber nach eigener Einschätzung unter allen etwas ganz Besonderes. Und das hat nicht nur der NLWKN zu berücksichtigen, sondern auch dessen Auftraggeber, nämlich die Landesregierung in Hannover: „Wir sind erschrocken, mit wie wenig Sensibilität das Umweltministerium unsere Arbeit zur Kenntnis nimmt, mit dem Wilhelmshavener Hafen für wirtschaftlichen Aufschwung in der Region zu sorgen.“ Gut, dass das mal jemand sagt, nachdem das Land Niedersachsen ganz unsensibel und knauserig 500 Millionen Euro in die Suprastruktur des Hafens buttert. Und die Beziehungen von der Jade an die Leine durch Streitereien um die Vermarktung von Hafenflächen im Hinterland ohnehin etwas angeknackst sind.
Aber es kommt noch schlimmer: An der Auswahl der Gebiete waren „nur ‚Ökologen’“ beteiligt, weiß WHV-Vorstand Heiner Holzhausen, der deshalb extra beim Umweltministerium nachgefragt hat. Von wem denn sonst? Es steht außer Frage, dass Fachplanungen, egal aus welchem Ressort, stets von Fachleuten gemacht werden. So sieht es unser Planungsrecht nun mal vor: Zuerst gibt es eine unverwässerte Fachplanung, und erst im zweiten Schritt, im Rahmen der Beteiligungsverfahren für die Umsetzung, kommen dann andere Interessensvertreter zu Wort. So wie jetzt während der Auslegung der NSG-Pläne eben auch die WHV und andere Betroffene ihre Stellungnahmen abgeben durften. Folgt man aber der Logik der WHV, werden Naturschutzgebiete zukünftig von Wirtschaftsvertretern geplant. Würden Ornithologen fordern, dass sie zukünftig die Planung von Häfen oder Gewerbegebieten in die Hand nehmen, gäbe das auf der anderen Seite mindestens Lachsalven, eher aber bitteres Empörung.

Unter Druck

Zu kritisieren wäre allenfalls, dass der NLWKN andere Interessenvertreter nicht schon vor dem offiziellen Beteiligungsverfahren über die Planungen in Kenntnis gesetzt hat. Dieses Versäumnis mag dem von höherer Stelle vorgegebenen Zeitdruck geschuldet sein. Denn, um zum letzten Punkt der WHV-Faktenverdrehung zu kommen: Der NLWKN handelt im Auftrag des Umweltministeriums, und dieses wiederum unter dem Druck der EU, die von allen Mitgliedstaaten die Umsetzung geltender Richtlinien einfordert. Gerade Deutschland hing lange Zeit mit der Meldung von Gebieten für das europäische Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ hinterher. Zu melden sind Vogelschutz- und Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Gebiete. Am Beispiel der Ästuare machte das Umweltministerium deutlich, warum ein lässiger bzw. egoistischer Umgang mit diesen einst gemeinsam beschlossenen Richtlinien nicht angesagt ist: „Niedersachsen und 11 weitere Bundesländer waren mittels einer so genannten ‚mit Gründen versehenen Stellungnahme’ aufgefordert, ihre FFH-Meldungen aufgrund von der EU gesehener Meldedefizite nachzubessern. Daraufhin hatte das Kabinett das Umweltministerium am 20.12.2005 gebeten, entsprechende Nachmeldevorschläge auszuarbeiten. Unser Ziel war es, die FFH-Richtline eins zu eins umzusetzen. Hinsichtlich der Frage der Meldung der Ästuare … von Weser und Ems hat die EU auf ihrem Standpunkt beharrt und die Meldung aller Ästuarflächen gefordert. So standen wir vor der Entscheidung, ob wir einen Prozess mit ungewissem Ausgang vor dem Europäischen Gerichtshof riskieren oder nicht. Nachdem das Kabinett die Risiken abgewogen hat, haben wir uns gezwungen gesehen, auch gegen unsere Auffassung die Flächen nachzumelden“.

Wünsche aus Brüssel

Die Bereiche „Küstenmeer“, „Roter Sand“ und „Borkum Riff“ zählen zu den Vogelschutzgebieten, die an die EU gemeldet werden sollen und nach nationalem Recht zu schützen sind. Dies ist der Grund, warum sie nun als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden. Auszug aus dem Verordnungstext: „Das NSG ist Teil des Europäischen Ökologischen Netzes „Natura 2000“; die Unterschutzstellung dient der Erhaltung des Gebietes als Europäisches Vogelschutzgebiet nach der Richtlinie 79/409/EWG (Vogelschutzrichtlinie) des Rates vom 2.4.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten“. WHV-Präsident John H. Niemann wertet jedoch die hiesigen Hafenpläne höher als geltendes EU-Recht: „Das alles darf nicht durch ökologische Wünsche aus Brüssel gestört werden“. Mit dieser – in seinen Kreisen verbreiteten – Anschauung verkennt er völlig, dass diese „Wünsche“ Rechtsvorschriften sind, die auch von deutschen bzw. niedersächsischen Vertretern im EU-Parlament verabschiedet wurden.

Zu guter Letzt

Möglicherweise kommt unseren LeserInnen dieses Artikels vieles schon bekannt vor. Richtig: Seit im Jahre 2000 bekannt wurde, dass der Voslapper Groden unter die Vogelschutzrichtlinie fällt, gab es den gleichen unsinnigen Aufruhr in der Hafenwirtschaft, unterstützt von Teilen der Politik und der Medien. Ebenso lange währen die Versuche des GEGENWIND und der Umweltverbände, durch fachliche Erläuterungen das Dickicht der einseitigen bis polemischen Darstellungen zu lichten. „Mit der Rohrdommel Schindluder betrieben“ war unlängst ein ausführlicher wie erhellender Artikel in der WZ überschrieben, in dem Wilhelm Kaufmann vom NABU Hintergründe wie Verwirrungen im Zusammenhang mit dem Voslapper Groden darstellte. Mehr als einmal hat auch der GEGENWIND sich bemüht, das EU-Recht für jede/n verständlich zu erläutern. Was die WHV anbetrifft, offenbar vergeblich. Trotzdem, oder gerade darum, nochmals dieser Hinweis: Auch in einem EU-Vogelschutzgebiet können wirtschaftliche Pläne und Projekte realisiert werden, wenn die weiteren Voraussetzungen zur Erfüllung des Schutzzweckes erfüllt sind. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass das Schutzgebiet als solches gemeldet ist. Jeder Versuch, es der EU vorzuenthalten, ist kontraproduktiv. „Unstrittig ist die ökologische Bedeutung des Küstenmeeres für Seevögel wie Sterntaucher, Brandseeschwalben oder Zwergmöwen, daher stehen sie als so genannte faktische Vogelschutzgebiete bereits unter dem Schutz der entsprechenden europäischen Richtlinie“, erklärt Walter Keuffel, Leiter des Geschäftsbereiches Naturschutz im NLWKN gegenüber dem Jeverschen Wochenblatt (13.4.).
Die Hafenlobby schrumpft weiterhin die vielfältigen ökologischen Zusammenhänge, die durch NATURA 2000 geschützt werden, dahingehend zusammen, dass ein einziger Vogel einen ganzen Containerhafen „verhindert“. Beim Voslapper Groden ist es die Rohrdommel, beim Küstenmeer wird vermutlich der Sterntaucher den schwarzen Peter kriegen.
Laut WHV sei nun „das Parlament aufgefordert, gegen die Planung zu stimmen“. Pustekuchen. Wie oben zitierter Pressemitteilung des Ministeriums zu entnehmen ist, hat der Landtag längst im Vorfeld beschlossen, die erforderlichen NATURA 2000-Gebiete nachzumelden und somit auch unter Schutz zu stellen. Die Umsetzung obliegt allein dem NLWKN. Über das „Ob“ ist nicht mehr zu entscheiden, nur über das „Wie“. Es geht allenfalls noch darum, Details wie die Grenzen des NSG oder einzelne Vorschriften der Verordnung zu ändern, um in der Abwägung den Einwendungen der beteiligten Interessenvertreter Rechnung zu tragen.
Ganz zum Schluss noch unser Preisrätsel zum Thema „Naturschutz verhindert wirtschaftliche Entwicklung“: In Spanien boomt die Wirtschaft seit geraumer Zeit derart, dass man schon Bremsen einbauen will. Sogar deutsche „Gastarbeiter“ finden zwischen Pyrenäen und Gibraltar ihr Ein- und Auskommen. Und nun raten Sie mal, welches europäische Land bei der Meldung von NATURA 2000-Gebieten die Nase vorn hat?


Geplantes Naturschutzgebiet „Küstenmeer vor den Ostfriesischen Inseln“

NSG

Das geplante NSG bildet zusammen mit dem den Inseln vorgelagerten Teil des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“ einen Raum von zentraler Bedeutung innerhalb des Küstenmeer-Ökosystems. Es ist wesentliches Rast-, Durchzugs- und Überwinterungsgebiet für Seevögel, insbesondere auch für den Sterntaucher. Zusammen mit dem angrenzenden seewärtigen Teils des Nationalparks bildet das geplante Schutzgebiet in seiner Gesamtheit den Verbreitungsschwerpunkt für diese Art innerhalb des niedersächsischen Küstenmeeres. Auch die Zwergmöwe erreicht hier während der Durchzugszeit ihre höchsten Dichten. Für verschiedene Brutvogelarten der Ostfriesischen Inseln ist das ca. 10 – 20 m tiefe Meeresgebiet als Nahrungsgebiet von sehr großer Bedeutung.
Das NSG wird nach Abschluss des Unterschutzstellungsverfahrens als EU-Vogelschutzgebiet an die Europäische Union gemeldet werden und damit Bestandteil des europaweiten Schutzgebietsnetzes Natura 2000.
Der Verordnungsentwurf lag vom 8.3. bis 10.4. in den Betriebsstellen des Nds. Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) aus. Anregungen oder Bedenken zur Ausweisung dieses Naturschutzgebietes konnten innerhalb dieses Zeitraumes vorgebracht werden.

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