Weltnaturerbe Wattenmeer
Aug 012009
 

Schwierige Erbschaft

Weltnaturerbe Wattenmeer: Rundum-Schutz oder Konjunkturpaket?

(hk/noa) Ende Juni wurde das deutsch-niederländische Wattenmeer von der UNESCO als Weltnaturerbe anerkannt. Während Politik, Medien und Touristiker diese höchstmögliche Anerkennung eines geschützten Lebensraumes feiern, melden kritische Naturschutzverbände Bedenken an, ob die „Erbschaft“ wirklich verdient ist und angemessen gepflegt wird.

b246021Seit der Anerkennung als Weltnaturerbe am 26. Juni steht das Wattenmeer auf einem Podest mit dem Grand Canyon, den Galapagos-Inseln, dem Kilimandscharo oder dem Great Barrier Reef, um einige Welterbestätten zu nennen, zu denen die meisten ein Bild vor Augen haben. Guckt man in Ostfriesland über den Deich oder von Butjadingen Richtung Wilhelmshaven, fällt es eher schwer, das mit den Vorgenannten unter einen Hut zu kriegen. Kaum ein Blickwinkel, bei dem einem nicht menschliche Einflüsse ins Auge fallen: Campingplätze, künstliche Sandstrände, Windräder, Deichbaustellen, Fährhäfen, Industrieschlote … Nur die eigentlichen Wattflächen entziehen sich der dauerhaften Verunstaltung, weil die Flut viele Spuren wieder wegbügelt, die Heerscharen von Wattwanderern bis hin zu Baggern für Windpark-Kabeltrassen hinterlassen.

Schadensbegrenzung
Touristiker erhoffen sich, dass das neue Siegel noch mehr Gäste an die Nordseeküste und damit Geld in die Kassen spült. Gleichzeitig verkaufen sie die Auszeichnung als Anerkennung der jahrelangen Bemühungen um den Schutz des Wattenmeeres. Aber wem gebührt diese Anerkennung? Ist es nicht eher den haupt- und ehrenamtlichen Naturschützern zu verdanken, die sich seit Jahrzehnten um Schadensbegrenzung bemühen? Obwohl sie kaum einen Eingriff verhindern, aber durch zähen Kampf wenigstens vermindern können? Ohne sie sähe die Landschaft vor unserer Haustür wohl noch weniger nach Nationalpark oder Welterbe aus. Jede Tourismusgemeinde möchte weiter expandieren – hier ein Golfplatz, da eine Fläche für Kitesurfer, dort ein Fahrrinnenausbau, damit die Fähren nicht mehr tideabhängig sind. Durch das Welterbe treten auch keine zusätzlichen Schutzbestimmungen in Kraft, Grundlage bleiben die Nationalparkgesetze mit allen ihren Schlupflöchern für wirtschaftliche Nutzungen und Baumaßnahmen. „Everything goes“ – Nationalpark und Welterbe als Werbeträger gern, aber bitte ohne dass irgendwelche Einschränkungen damit verbunden sind.

Was bedeutet „Welterbe“? Welterbestätten – unterschieden werden Weltnaturerbe und Weltkulturerbe – „sind Zeugnisse vergangener Kulturen und einzigartige Naturlandschaften, deren Untergang ein unersetzlicher Verlust für die gesamte Menschheit wäre. Sie zu schützen liegt nicht allein in der Verantwortung eines einzelnen Staates, sondern ist Aufgabe der Völkergemeinschaft.“ 1972 beschloss die UNESCO das internationale  „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“. 186 Staaten haben die Konvention inzwischen unterzeichnet. Derzeit gibt es weltweit 689 Kulturdenkmäler und 176 Naturdenkmäler, weitere 25 Denkmäler sind sowohl Kultur- als auch Naturerbe. Von den 33 Welterbestätten in Deutschland sind nur zwei – die Grube Messel und jetzt auch das Wattenmeer – Weltnaturerbe.

Flickenteppich
In Deutschland findet das Weltnaturerbe vorläufig nur im niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Wattenmeer statt. Kurz bevor der Antrag letztes Jahr bei der UNESCO eingereicht wurde, war Hamburg kurzfristig ausgeschert, aus Sorge, dass die geplante Elbvertiefung im Welterbe nicht mehr realisiert werden könnte. Das ist wenigstens ein ehrliches Bekenntnis dazu, dass die wirtschaftliche Nutzung für Hamburg Vorrang vor Naturschutz hat. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden problematische Flächen auf der Welterbekarte einfach mit einer roten Grenzlinie ausgespart – als würden sich z. B. die möglichen Folgen eines Unfalls auf existierenden oder geplanten Ölplattformen innerhalb dieser Grenzen halten und nicht das ganze Wattenmeer verseuchen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Selbst die großen Naturschutzverbände stimmten in den Jubelchor ein, in der Hoffnung, dass der Welterbetitel den Schutz doch ein wenig zementiert. Eine deutliche Warnung, dass man nicht beliebig so weitermachen kann wie bisher, war das Beispiel Dresdener Elbetal: Trotz Mahnungen der UNESCO wurde dort mit dem Bau einer vierspurigen Elbbrücke begonnen, mit dem Ergebnis, dass der b246022Welterbetitel jetzt futsch ist.

Brot und Spiele
Es gibt auch kritische Stimmen. „Die Presse überschlug sich im Jubel der Superlative, nur weil ein räumlich völlig entrücktes Gremium in Sevilla ein neues Etikett auf dieses Großschutzgebiet geklebt hatte, das viele der Kommissionsmitglieder noch nie gesehen haben“, schreibt der unabhängige Naturschutzverband Wattenrat auf seiner Homepage. „Der Wattenrat meint, es gibt nichts zu feiern, dieses Prädikat dient nur der Tourismusindustrie und dem Marketing für noch mehr Touristen in einer ohnehin überlaufenen Naturlandschaft, 30 Millionen Übernachtungen zählt alleine Niedersachsens Küste“. Es folgt eine chronologische Aufarbeitung der – für den Naturschutz nachteiligen – Entwicklung im Wattenmeer, bis hin zu den jüngsten Erfahrungen mit kritischen Stellungnahmen: „Die Agenturen dpa, ddp, EPD, Arte-TV und der Norddeutsche Rundfunk nahmen unsere Kritik auf. Nur an der Küste, am Ort des Geschehens, hatten wir Mühe, uns zu artikulieren. Kritische Leserbriefe oder Pressemitteilungen wurden erst gar nicht veröffentlicht, schließlich ist die Tourismusindustrie als Anzeigenkunde König.“

Erbe verpflichtet „Mit der Benennung von Kultur- und Naturstätten für die Welterbeliste der UNESCO verpflichten sich die betreffenden Staaten zu fortdauernden Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen. Die anderen Unterzeichnerstaaten verpflichten sich dazu, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum Schutz dieser Stätten des Menschheitserbes beizutragen.“ Dieser Verpflichtung sind sich viele Staaten offenbar nicht bewusst – oder sie lassen es darauf ankommen, wie großzügig die UNESCO sich zeigt: 31 Welterbestätten sind aktuell gefährdet, oftmals durch Raubbau und intensive Nutzung, und stehen deshalb auf der „Roten Liste“ des gefährdeten Welterbes. Und die UNESCO meint es ernst: Trotz aller Mahnungen des Welterbekomitees wurde im Weltkulturerbe Dresdner Elbetal mit dem Bau einer vierspurigen Brücke begonnen, die den Wert der Landschaft zerstörte. Auf seiner Sitzung Ende Juni in Sevilla entschied das Komitee deshalb, den Welterbestatus abzuerkennen.

„Welterbe als Fun-Park?“, fragte Thomas Schumacher in der WATERKANT vom Juni 2009. Um „einen Knoten in die Fanfaren zur Huldigung des Welterbes zu knüpfen“, zählt er all den Freizeitspaß in der Natur auf – Drachensurfen, Speedbootfahren, Inselhopping per Flugzeug, Leichtflugzeug fliegen, Hundewandern. Die Crux ist: Es gibt kein Aufsichtspersonal, um aufpassen, dass all das wirklich nur im zugelassenen Rahmen passiert. Gerade mal fünf Ranger, allesamt ohne hoheitliche Befugnisse, sind punktuell im zweitgrößten deutschen Nationalpark unterwegs. Zutreffend stellt Schumacher Ursachen und Symptome in den großen gesellschaftlichen Zusammenhang: „Wenn also den Menschen vor allem in Krisenzeiten (‚Brot und Spiele’ als Herrschaftsinstrument …) immer neue, immer skurrilere Funsport- und Freizeitspaß-Techniken eingeredet und verkauft werden, dann sollen sie nicht durch Naturschutz an deren Ausübung gehindert werden.“

Wo fehlt’s? „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, ihre nationalen Welterbestätten durch gesetzliche, technische und finanzielle Maßnahmen zu erhalten“, heißt es in der Konvention. Gesetzlich sind die Welterbestätten meist durch nationales Recht geschützt, z. B. als Nationalparke, was aber nicht bedeutet, dass dort null Nutzung stattfindet. Finanziell sieht es eher mau aus. So wird in Niedersachsen wohl kaum ein einziger Ranger zusätzlich eingestellt, um die Schutzvorschriften zu überwachen und Besucher zu informieren.

„Oscar für Landschaften“
Zwischen den Zeilen findet sich auch im ZDF-Beitrag „Bin mal kurz … im Weltnaturerbe“ (Ausstrahlung 4.7., download in der ZDF-Mediathek, s. u.) manch kritischer Seitenhieb. Dass der Matsch das reinste Naturwunder ist, sei jetzt sei auch „amtlich“ – „was für den einzelnen Wurm nicht viel zu bedeuten hat“. Die Welterbe-Definition klingt nach „Klaus“ aus dem Satiremagazin „Extra drei“: „Weltnaturerbe – das ist so was wie ein Oscar für Landschaften“. Wink mit dem Zaunpfahl: „Jetzt passt also schön drauf auf und macht es nicht kaputt – also keine Brücken reinbauen und so, sonst wird man schnell wieder enterbt.“ Zu Wort kommen auch Watt- und Bootsführer („im Ganzen eine Superwerbegeschichte“), die von den Geheimnissen des Watts erzählen und von den Gefahren für Wattwanderer. Der Hintergrundsprecher findet Seenebel eher faszinierend und hat das letzte Wort: „Überhaupt wollen wir hier mal nicht so tun, als sei das Watt für den Menschen gefährlich – das verhält sich nämlich, Naturerbe hin oder her – immer noch eher umgekehrt“.

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