Wattenmeerhaus
Feb 101998
 

Watt wurmt dat Volk?

Gegenwind-Umfrage zum Wattenmeerhaus

(red) Knapp ein halbes Jahr nach seiner Eröffnung steckt das Wattenmeerhaus in einer großen Krise. Der Trägerverein hat den Leiter Willm Prasse Knall auf Fall entlassen und ringt um neue Konzepte. Der GEGENWIND will die Zukunft der Einrichtung unterstützen und befragte dazu Einheimische und Gäste.

Vorab: Wir erdreisten uns nicht, unsere Umfrage als empirisch unantastbar vorzustellen. Im Sommer wäre der Stichprobenumfang erheblich größer geraten, und insbesondere Touristen sind zur Weihnachtszeit knapp; wir haben uns jedenfalls bemüht, sowohl vor der Haustür (Südstrand) als auch anderswo (z. B. in der Nordseepassage und im Umland) Meinungen einzufangen. Diese Meinungen können konstruktive Anstöße für den erfolgreichen Strukturwandel des Wattenmeerhauses geben. Deshalb möchten wir die Ergebnisse kundtun, behalten uns jedoch vor, die Umfrage im Sommer mit größerem Stichprobenumfang zu wiederholen.

Bekanntheitsgrad
19 Fragen zum Haus und seinem Umfeld sollten unsere Interviewpartner beantworten. Die Eingangsfrage lautete: Kennen Sie das Wattenmeerhaus (WMH)? Wenn nicht, erübrigte sich der Fragebogen, aber als Aussage zum Außenmarketing des Hauses wurde diese Gruppe notiert: es waren 20 von 70 angesprochenen Personen.
Die Anschlussfrage (an die anderen 50): Waren Sie schon mal dort? Wenn nicht, konnte trotzdem oder gerade (unbefangen) ein Teil der Fragen zu Erwartungshaltungen beantwortet werden.
50 Personen kannten das WMH, 30 davon waren schon ein- oder mehrmals da gewesen. Bislang scheint Mundpropaganda die beste Werbung zu sein: 2/3 der Befragten, die schon dort gewesen waren (im folgenden „Besucher“ genannt) waren auf Empfehlung von Freunden oder Bekannten dort gewesen. Jene, die vom Haus gehört haben, ohne bisher dort gewesen zu sein (im folgenden „Interessierte“), haben zum größten Teil aus der Zeitung davon erfahren. Werbung bzw. Hinweisschilder der Stadt spielen bei beiden Gruppen eine nachgeordnete Rolle.

WattenmeerhausEindrücke
Die Besucher konnten sich nun äußern, wie sie das Angebot empfunden hatten (Mehrfachaussagen möglich), wie sie das Haus besucht hatten: allein, zu zweit, als Gruppe/ Familie, mit oder ohne Führung, und wie sich das Haus mit oder ohne Führung erschließen lässt. Daraus abgeleitet wurde die Frage nach weiteren Besuchen bzw. Empfehlungen an Dritte gestellt.
8 Besucher sahen ihre Erwartungen erfüllt, 18 angenehm überrascht und nur 2 enttäuscht. 1/3 empfand das Angebot als „lehrreich“, 80% als „interessant“. Nur 2 Personen bewerteten es als ausgesprochen „kindgerecht“, 11 als „erwachsenengerecht“, mehr als die Hälfte empfand das Angebot als „für alle geeignet“.
40% waren mit Familie dort, 40 % allein oder zu zweit, 1/3 hatte einen Gruppenbesuch hinter sich. Von denen, die das Haus ohne Führung besichtigt hatten (90%), konnten 2/3 „mit der Darstellung was anfangen“.
3/4 der Besucher würden das Haus nochmals besuchen und über 80% es auch weiterempfehlen bzw. mit Freunden/Bekannten nochmals dorthin gehen.

Eintrittspreise
Wir fragten, ob der Eintrittspreis als gerechtfertigt empfunden wird bzw. was die Besucher zu zahlen bereit wären. Hinzu kamen deren Vorstellungen über die derzeitige Finanzierung.
Derzeit zahlen Erwachsene 8 DM (bei Ermäßigung 5), Familien 18 DM, Gruppen ab 10 Personen DM 6 pro Person (Zuschlag für Führungen je 2 DM). Für die Jahreskarte zahlen Erwachsene 60 DM.
Über die Hälfte der Besucher empfand den Eintrittspreis als nicht gerechtfertigt. Die persönliche Zahlungsbereitschaft (Erwachsene) lag zwischen 0 DM („Besuch sollte kostenlos sein“) und 10 DM – für die deutliche Mehrheit (Mittelwert) lag die Schmerz- grenze beim „Heiermann“ (5 DM).
Wer finanziert das Wattenmeerhaus (Mehrfachnennungen)? 60% sehen die Stadt in der Pflicht, je etwa die Hälfte das Land bzw. die Umweltverbände, nur 3 Befragte sehen auch den Bund in der Verantwortung, 1/3 sagten „alle gemeinsam“. 20% waren der Ansicht, das Haus trage sich (auch) durch Einnahmen.

„Was fanden Sie im Wattenmeerhaus besonders positiv?“

„Einige gute Ideen und Objekte; die Dachterrasse; Brief des ertrunkenen Seemannes; Vogelwärterhütte; Krabbenkutter (besonders für Kinder); knappe, informative Texte; es ist ausführlich; Computer; großzügige Räumlichkeit; Lernen durch Anfassen und Entdecken; vieles ist so aufgebaut, dass es neugierig macht; klare Darstellung der Objekte“

Tatsächlich sind im Trägerverein Bund, Land, Stadt und der Umweltverband WWF engagiert – also alle gemeinsam, ergänzt durch Sponsoren/Stiftungen. Entscheidend ist jedoch auf Dauer der Finanzierungsanteil durch Einnahmen – deswegen verursacht es dem Verein solche Bauchschmerzen, dass statt der kalkulierten 150.000 Besucher im ersten Jahr nur 50.000 kamen.

Erwartungen und Bewertungen
Die Befragten konnten äußern, ob und wie aktuelle/ brisante Umweltthemen im WMH dargestellt werden sollen, ob sie andere Nationalpark-Informationseinrichtungen kennen und wie sie diese ggf. im Vergleich zum WMH bewerten. Sie konnten darlegen, was sie im WMH besonders positiv oder negativ fanden und – ganz wichtig – Änderungs- und Verbesserungsvorschläge äußern.
Die deutliche Mehrheit aller Befragten (80%) erwartet eine klare und fachbezogene Stellungnahme des WMH zu aktuellen Themen (wie z. B. geplanter Ausbau der Kaiserbalje mitten im Nationalpark) – was bedeuten würde, neben der Dauerausstellung zeitnah und kurzfristig eine Zusatzausstellung, Diskussionsveranstaltungen o. ä. zu organisieren. (Diese Erwartung wird durch die Beobachtung untermauert, dass die stets aktuellen bzw. brisanten Ausstellungen von „Greenpeace“ in der Regel sehr gut besucht sind). Nur 3 Personen sprechen sich für neutrale Haltung aus (wie im bisherigen Konzept – „der Besucher soll sich eine eigene Meinung bilden“) bzw. 2 für „gar nicht äußern“.
Über die Hälfte aller Befragten haben schon andere Nationalpark- oder sonstige Umweltinformationseinrichtungen besucht. Von 16 Personen, die das WMH und andere Einrichtungen kennen, bewerteten 6 letztere schlechter, 7 gleich bzw. besser als das WMH.

Umfeld
Uns interessierte auch, ob benachbarte Angebote wie „Der Pottwal von Baltrum“ oder das U-Boot besucht worden waren. 1/3 aller Befragten hatte den Wal und 1/5 das Boot besucht; von den WMH-Besuchern waren allerdings über die Hälfte schon beim Wal, aber weniger als 1/5 beim Boot gewesen. (Das spricht für ein „Kombi“ -Ticket für Naturinteressierte, das auch das Seewasseraquarium einschließt.) Eine Person vermutete bzw. vermißte den Wal übrigens im WMH – Platz wäre eigentlich genug für diesen Besuchermagneten (diese Sonderausstellung im Nachbargebäude ist übrigens aus unserer Sicht absolut empfehlenswert – didaktisch wie gestalterisch überaus gelungen).

„Was fanden Sie im WMH besonders negativ?“

„Zu viele Schubladen, zumal der Unterhaltungsaufwand hoch sein dürfte; die Wärme im Haus/ die Hitze; leere Räume; kostenpflichtig; Lärm; fehlende Betextung; daß noch nicht alles fertig ist; unkonkrete Art der Eingangshalle (ist man jetzt hier richtig? kostet es etwas?); zu dunkel; mehrere Dinge funktionierten nicht; leere Wände; Licht im Kutter war defekt, Computer war ständig besetzt; zuviel Verpackung, für Interessenten zu wenig gute Infos“

 

Last not least notierten wir demografische Angaben wie Geschlecht, Herkunft und Alter der Befragten. Über die Hälfte aller Befragten (d. h. Personen, die Lust hatten, mitzumachen) sind zwischen 31 und 45 Jahren alt, 1/3 zwischen 46 und 60 Jahren und 8 Personen bis 30 Jahre (nur 3 der Teens und Twens waren auch schon dort gewesen). 3/5 waren männlich, 2/5 weiblich (bei den Besuchern waren die Männer mit 2/3 noch dominanter). Die Mehrzahl aller Befragten kam aus Wilhelmshaven, der Rest aus der näheren Umgebung (bis Oldenburg). Somit haben wir in diesem Durchgang keinen Touristen erwischt bzw. nur die Gruppe, die potentiell als Mehrfach- oder Dauergast (Jahreskarte) in Frage kommt und somit ein wechselndes Angebot erforderlich macht.

Gesamtbewertung
Es sei nochmals betont, daß diese Umfrage nicht „empirisch“ ist, sondern nur ein paar aktuelle Meinungen einfängt – von Menschen, die zumindest so am WMH interessiert sind, daß sie im Trubel der Jahreswende 5 Minuten Zeit erübrigen, um uns oder besser das WMH durch konstruktive Kritik zu unterstützen.

„Haben Sie Verbesserungsvorschläge?“

„Mehr auf Einzelbesucher ausrichten, mehr interaktive Vermittlung von Problembewusstsein – auch für Erwachsene! Mehr Spaß, weniger Zeigefinger! Weniger Museumscharakter!; mehr ‚zumAnfassen‘, mehr Gruppenangebote/Führungen draußen; mehr Veranstaltungen auch kultureller Art; umweltpolitische Stellungnahme, Provokation, Einmischung; stärker alle Sinne ansprechen, z. B. durch einen großen Spülsaum zum Anfassen; Riechsäckchen, stärkerer Bezug zu dem, was man auch draußen sieht; Wartung der technischen Geräte; Schutzbedürftigkeit spannend vermitteln; kontinuierliche Filme, Diashows; mehr Erklärungen, mehr Text, mehr Exponate; mehr Werbung, wechselnde Ausstellungen“

 

Im Juni 1997 (GEGENWINDNr. 141 – „Torpedos zu Schweinswalen“) berichteten wir über die Eröffnung des WMH und die Begleitumstände – nicht ohne unseren Glückwünschen wohlgemeinte Kritik beizufügen. Einiges davon hat sich durch den öffentlichen Eklat, die Konsequenzen des Trägervereins und in unserer Befragung bestätigt: die Fragwürdigkeit bzw. mangelnde Akzeptanz der Eintrittspreise, die hausgemachte Ausgrenzung aus der produktiven Gemeinschaft der anderen Nationalpark-Häuser und -Zentren sowie die etwas zu schicke, kalte, museale Aufmachung.
Ausschlaggebend als wirkliche Hilfestellung für ein verändertes, besucherorientiertes Konzept ist weniger der rein statistische Teil als die Meinungen, Empfindungen und Anregungen unserer Befragten. Ein großer Teil scheint durchaus empfänglich für das bisherige Konzept, das hohe

Erwartungen an die Besucher stellt. Der didaktische Ansatz „Haus für Entdecker ist ja auch nicht schlecht, die Umsetzung ist allerdings sehr intellektuell orientiert (bei einer Wiederholung sollten wir auch Ausbildung und Berufsrichtung erfragen). Wer mit dem typisch deutschen „Benimm dich! Mach nix kaputt!“ aufgewachsen ist, wird sich schwer tun, die schick und aufwendig konstruierten Schränke und Kästchen zu öffnen. Umgekehrt führt die Trotzreaktion zu Diebstählen beweglicher Exponate. (Fehlende Teile und die mehrfach bemängelten technischen Ausfälle bewirken weitere Frustreaktionen). Beides – ängstliche Distanz oder Zerstörungswut – zeugen von einer mangelhaften Identifikation mit dem Haus, dem Angebot: Das Wohlfühlgefühl, die Gemütlichkeit mag sich nicht – wie in anderen Einrichtungen – einstellen. Mögen die andernorts angeboten Grabbel-, Fühl- und Riechsäckchen auch vereinzelt als „hausbacken“ empfunden werden – sie werden jedenfalls benutzt, angefaßt. Und mögen die ausgestopften Vögel und Seehunde in den Dioramen (dreidimensional gestaltete Landschaftsausschnitte) anderer Einrichtungen auch unter streichelnden Kinderhänden leiden – sie sind den Kindern näher als jene Präparate im Wattermeerhaus, die isoliert vom naturgetreuen Umfeld und Besuchern unter Plexiglas eingesperrt sind. Dabei gibt es hier sogar echten „Matsch“ im Gezeitenmodell – aber sorgsam hoch außer Reichweite kleiner Hände angebracht. In US-amerikanischen Aquarien z. B. darf man sogar – unter liebevoll erklärender Aufsicht des Personals – Seesterne, Seegurken und Krebse streicheln, die danach gar nicht mehr so „igitt!“ sind. Wenn das die „Disneyland“-Ängste des wissenschaftlichen Beirates des WMH sind, ist irgendwas falsch – entweder der Beirat oder die (kleinen und großen) Besucher.

Sonstige Anmerkungen

„kein weiterer Besuch, da zu teuer!; Eintrittspreis unter 5 DM für Erwachsene, 10 für Familien; derzeitiger Eintrittspreis wirkt abschreckend; man weiß erst hinterher daß Eintrittspreis gerechtfertigt ist, wirkt abschreckend; andere Häuser sind weniger professionell, dafür lebensnäher; nochmaliger Besuch nur ohne Kinder, wäre gut, wenn Möglichkeit der Betreuung bestünde“.

 Was wirklich echt und zum Anfassen ist im Wattenmeerhaus, kommt an – der Kutter, das Vogelwärterhaus oder die Briefe des ertrunkenen Seemannes. Ob es den Entdeckergeist fördert, einen Schrank zu öffnen, um darin einen Tierfilm zu gucken … ? Das gibt’s auch zu Hause in der Glotze. „Beobachten Sie Wattwürmer und Schlickkrebse … im lebenden (?) Watt, ohne daß Sie im Schlick versinken“, so die WMH-Werbung im Internet. Das klingt verlockend für die zahlungskräftige Schickeria im weißen Trenchcoat oder Pumps, doch diese Minderheit kann das WMH allein nicht tragen. Wer sich zu fein ist für „Otto Normalverbraucher“, ob aus der Region, ob als Tourist – wer die Menschen nicht da abholt, wo sie jetzt stehen und sie liebevoll an der Hand nimmt und hinaus ins Watt führt, hat irgendwas nicht kapiert. Wie lassen sich Natur, Gezeiten am besten begreifen? Die letzten Worte des ertrunkenen Wattläufers (im WMH) können allenfalls Interesse wecken – eine Wattwanderung können sie nicht ersetzen. Soll heißen: was in der Befragung nicht thematisiert wurde aber entscheidend fehlt, sind regelmäßige Angebote wirklicher Naturerfahrung. Keine vergleichbare Einrichtung liegt so nah am Wasser wie das Wilhelmshavener Nationalpark-Zentrum – und zumindest in der Saison sollten, ergänzend zum „Trockentraining“ im Haus, Touren an oder in das Watt regelmäßig angeboten werden. Wenn der (distanzierte) Panoramablick von der Dachterrasse oder die Cafeteria als „highlights“ empfunden bzw. angepriesen werden, sollte das zu denken geben.

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