Wahlkampf bei der ALI - die Zweite
Die zweite Runde der OB-Kandidaten-Vorstellung bei der Arbeitsloseninitiative war lebhafter als die erste
(noa) „Im Juli wird sich zeigen, ob einer der übrigen OB-Kandidaten mehr Begeisterung wecken kann“, so endete unser Beitrag über die Vorstellung von fünf Oberbürgermeisterkandidaten in der ALI-Versammlung im Juni (GW 259). Die restlichen fünf waren für den 12 Juli eingeladen. Dr. Michael von Teichman (FDP) hatte abgesagt, weil die Veranstaltung in seiner Kernarbeitszeit lag. Natürlich weiß er, dass man für so eine Gelegenheit freinehmen kann, doch für ihn wäre das Werben bei Erwerbslosen vertane Zeit, weiß er doch, dass jeder weiß, dass er sich in keiner Funktion für deren Belange einsetzen wird.
Nils Böhme kandidiert als Einzelbewerber. Er betonte, dass ein Oberbürgermeister neutral sein soll, und bedauerte, dass die im Rat vertretenen Parteien keinen gemeinsamen Kandidaten gefunden haben. „Zwischen Rat und Verwaltung herrscht kein vertrauensvolles Verhältnis“, findet er und will es ändern, und bezüglich der bisherigen Entwicklung Wilhelmshavens stellt er fest: „Man fängt etwas an und hört wieder auf“, was seiner Meinung nach am Fehlen verbindlicher Ziele liegt. Die finanzielle Knappheit Wilhelmshavens dient, so Böhme, als Totschlagargument, wobei doch auch mit wenig Geld viel Gutes bewirkt werden könne, und außerdem: Geld ist da, es wird nur falsch ausgegeben.
Stefan Becker gilt ebenfalls als Einzelbewerber, weil seine „Wilhelmshavener Bürgervereinigung“ keine Partei ist. Er weiß sicher, dass er siegen wird; er hat viele Wilhelmshavener gefragt (nein, -noa- hat sich nicht verhört: Am nächsten Tag konnte sie es auch in der WZ lesen), und wenn er Oberbürgermeister ist, wird die Stadt einen „Schwung nach oben“ erleben. Die Haushaltslage ist noch schlimmer als desaströs, findet Becker, und er räsonierte: „Wenn man Millionen für sechs Rohrdommeln ausgeben kann …“
Für die Piratenpartei tritt Rainer Büscher an, der es als falsch bezeichnete, dass an Kindern und Jugendlichen gespart wird, deshalb Lernmittelfreiheit und einen Mittagstisch für jedes Kind forderte, das Freizeitangebot Wilhelmshavens zu gering und zu teuer findet und Handlungsbedarf im kulturellen Bereich sieht. – vor allem aber. „Es ist grauenhaft, was das Job-Center macht“. Da kann er mitreden, war er doch zum Zeitpunkt dieser Versammlung selber arbeitslos, und noch einen Punkt versuchte er bei diesem Publikum zu erzielen: Er will als OB die Selbsthilfegruppen und die ALI besser anhören.
Frank-Uwe Walpurgis, der für die Freien Wähler antritt, weiß aus seiner Funktion als Verwaltungsangestellter bei der Stadt, dass der Umgangston im Rathaus und beim Arbeitsamt schlecht ist, und er findet, dass die Klüngelei und Postenschacherei nicht weitergehen darf, meint, dass Geld verkleht wird durch Posten und Verträge und möchte dem Fraktionszwang den gesunden Menschenverstand entgegensetzen. „Wilhelmshaven hat Potenzial, es muss nur genutzt werden“, sagte er, und auf Prestigeprojekte (die Pflasterung der Marktstraße nannte er als Beispiel) will er verzichten.
Worauf keiner der Kandidaten vorbereitet war: Ein etwas betagterer Zuhörer schimpfte: „Was hier passiert mit den älteren Leuten, ist eine Schweinerei!“ Er nannte exemplarisch die Mieterhöhungen bei der WOBAU Jade (die ja mal städtisch war, aber verscherbelt wurde und seither von einer Heuschrecke an die nächste weitergegeben wird). Er wies darauf hin, dass 40 % hier über 60 Jahre alt seien, von den Kandidaten aber hierzu keine Stellungsnahme gekommen war. – Stimmt: Die OB-Kandidaten (auch beim vorigen Mal) äußerten sich über Kinder und Jugendliche, nicht aber über die Menschen höheren Alters, und von denen haben wir in Wilhelmshaven noch mehr als andere Kommunen in Deutschland.
Stefan Becker griff den Gedanken auf und erklärte, dass der OB an der Rentenhöhe und an der Inflation nichts machen kann. Seine Wilhelmshavener Bürgervereinigung will jedoch aus der ehemaligen Kaserne Ebkeriege ein Mehrgenerationendorf machen. Und dann brachte er den Knaller: Die Hartz IV-Berechtigten „sind ja nicht alles Leute, die nicht arbeiten wollen“, gab er zu bedenken, um gleich darauf von Stellen zu berichten, die mangels Arbeitsbereitschaft von Erwerbslosen nicht besetzt werden konnten. Wow!
Eine interessante Wende in der Diskussion brachte der Beitrag eines Zugezogenen, der früher häufig zu Besuch in Wilhelmshaven war. Er mokierte sich über die Schönfärberei, die in Wilhelmshaven immer stattfindet, erinnerte sich daran, dass früher immer gesagt wurde, wenn die Autobahn erst fertig sei, dann werde alles besser, und er fragte: „Habt ihr die letzten Jahre total verpooft?“ (Jetzt ist es der JWP, nach dessen Fertigstellung alles besser wird.) Ein Gast verwies auf den demografischen Faktor und forderte Konzepte des Schrumpfens ein, Böhme bestätigte, dass Wilhelmshaven die 70.000er-Marke 2025 passieren wird, und Becker wollte dagegen wetten: Er als Kämpfer wird sich dem demografischen Wandel nicht ergeben!
Lebhafter als in der Juni-Versammlung war es, und der Unterhaltungswert war deutlich höher.
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