Von Enten und Gänsen
Jun 262007
 

Nils vs. Knut

Anfang Juni quakte eine Zeitungsente der besonderen Art durch die regionalen Lokalblätter: Eine Nilgans, die inmitten von Jever ihr arttypisches selbstbewusstes Revierverhalten an den Tag legte, wurde kurzerhand zum gefährlichen Monster gestempelt. Man verstieg sich sogar zu fremdenfeindlichen Vergleichen: Als Zugereiste habe sie sich bitteschön anständig zu verhalten, ansonsten drohe die Ausweisung. Witzig gemeint, aber voll daneben.


Mit dem Namen „Nils“ wurde dem unschuldigen Tier weiteres Unrecht getan. „Ramses“ wäre eher angebracht, stammt die Nilgans doch ursprünglich aus Afrika und wurde in Ägypten sogar religiös verehrt: Tote sollten ihre Gestalt annehmen, um zum Himmel aufzufliegen, so die Pyramidentexte. In der Kultur der antiken Griechen wurde die Gans der Liebesgöttin Aphrodite als heiliger Vogel geweiht. Als Symbol der Gattentreue und der ehelichen Liebe wird die Gans auf Grabsteinen abgebildet. Auch in China gilt die Gans als Symbol ehelicher Treue. Nach einer römischen Erzählung soll ein nächtlicher Angriff der Gallier auf das Kapitol durch das laute Schnattern der Heiligen Gänse, die zu Ehren der Göttin Juno auf dem Kapitol gehalten wurden, vereitelt worden sein. In Indien verkörpert die Gans Weisheit und Reinheit, weshalb wichtige indische Gelehrte des Altertums und der Neuzeit oft lobend als „Gans“ (hamsa) oder gar „Großgans“ (mahahamsa) bezeichnet werden.
entenDie Nilgans hat übrigens nicht aus eigenem Antrieb den langen Weg aus ihrer Urheimat nach Deutschland angetreten, sondern ist aus Zuchtbetrieben benachbarter Länder ausgebüxt (wie auch die Pazifische Auster, die durch explosionsartige Ausbreitung im Wattenmeer Fischern wie Miesmuscheln Kopfschmerzen bereitet). Dank ihrer Anpassungsfähigkeit – sie brütet am Boden wie auf Bäumen oder auch in Felsen – konnte die Nilgans in Europa einen ansehnlichen Wildbestand aufbauen. Wie die bei uns heimische Brandgans bzw. –ente ist die Nilgans eine so genannte Halbgans. Das heißt, sie vereint Eigenschaften von Enten und Gänsen.
Wie kommt es nun, dass dieses höchst interessante und zudem unverschämt gut aussehende Tier derart diskreditiert wird? Während die ganze Nation einen langweilig weißen Eisbärenbengel namens Knut im Berliner Zoo total lieb hat? Während, wiederum, dessen brauner und freiwillig zugereister Kollege Bruno in Bayern kurzerhand abgeknallt wird? Wer sich nicht streicheln lässt oder auf Zuruf putzige Kunststücke vorführt, sondern artgerechtes Verhalten zeigt, das den Vorstellungen einer naturfernen Gesellschaft nicht entspricht, hat verspielt.
Eine Leserbriefschreiberin brachte es in der WZ auf den Punkt: In Deutschland unterscheidet man zwischen Kuscheltieren (Knut) und Monstern (Bruno, Nils). Selbige eher zierliche Dame hat das Monster Nils übrigens eigenhändig eingefangen und umgesiedelt, wobei beide Seiten unverletzt blieben. Warten wir ab, was passiert, wenn Knut entdeckt, dass er stärker ist als sein Tierpfleger … Es ist ja in Ordnung, wenn domestizierte Wildtiere dafür herhalten, die Gesellschaft für das Anliegen ihrer frei lebenden Artgenossen zu sensibilisieren. Doch wenn die frei Geborenen, egal ob sie Fell, Federn oder Schuppen tragen, gleichzeitig derart abgewertet werden, dann hat sich Knut vergebens den Kameras ausgesetzt – dann hätte man ihn gleich einschläfern können. Mit Bambi-Tierschutz können wir das dramatische weltweite Artensterben nicht aufhalten. (iz)

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top