Verlässliche Grundschule
Mrz 171999
 

An Kindern wird gespart

Kindergarten- und Grundschulpläne der Landesregierung stoßen auf heftigen Widerstand

(noa) Seit einem halben Jahr ist Niedersachsens ehemaliger Ministerpräsident Bundeskanzler. “Ein Niedersachse muss Kanzler werden”, war vor der Bundestagswahl Text eines Werbeplakates. Da hätte die Landesregierung keine einschneidenden Kürzungen in wichtigen Bereichen laut gedacht. Nach der Bundestagswahl musste sich eine neue Landesregierung bilden, und die legte los.

Die beiden Bereiche, die publizistisch am ausführlichsten begleitet wurden, waren Kindertagesstätten und Grundschulen.

Änderung des Kindertagesstättengesetzes (KiTaG)
Wenige Jahre alt ist das Gesetz über Kindertagesstätten und Kindergärten, das personelle Mindeststandards und Gruppengrößen festlegt. Höchstens 25 Vorschulkinder werden von mindestens zwei Fachkräften betreut und gefördert. Sogenannte Integrationsgruppen, in denen von Behinderung betroffene oder bedrohte Kinder teilnehmen, haben eine Höchstzahl von 18 (davon höchstens vier “Integrationskinder”) und drei erwachsene Bezugspersonen. Die Änderungspläne der Landesregierung enthielten keine Aussagen über diese Standards. Die Aufsicht über die Kindergärten, die nach dem KiTaG dem Landesjugendamt oblag, soll jedoch entfallen. Die gesamte Verantwortung über die Ausstattung dieser Einrichtungen geht an die Kommunen.
“Kindergärten: Eltern-Proteste waren erfolgreich” titelte die “WZ” am 3. März. Die Pläne, für die Vorschuleinrichtungen künftig 85 Millionen DM weniger bereitzustellen, wurden für dieses und das nächste Jahr zurückgenommen. Die großen Demonstrationen von Eltern, Kindern und ErzieherInnen hatten Erfolg.
Nicht zurückgenommen jedoch wurde der Plan, die Verantwortung für Ausstattung und Betrieb der KiTas den Kommunen zu übertragen, und der “WZ”-Kommentar am 3. März schließt mit den Worten: “Die Eltern sind deshalb gut beraten, die Mittelvergabe durch die Kommunalparlamente aufmerksam zu begleiten, um die notorisch klammen Kämmerer vor Versuchungen zu bewahren.” Eine Gemeinde in der näheren Umgebung ist der Versuchung schon vor Inkrafttreten der Neuregelung erlegen. Dort haben zwei Kindergartengruppen schon je 26 Kinder, und die ErzieherInnen der Integrationsgruppe befürchten, dass auch ihre Gruppe vergrößert wird.
Die landesweit arbeitenden Elterninitiativen gegen Kürzungen im Kindertagesstättenbereich halten denn auch an ihrem Plan fest, ein Volksbegehren zu starten.

Grundschulpläne
Ebenso groß ist die Aufmerksamkeit, die die Medien der “Verlässlichen Grundschule” angedeihen lassen, und auch dieses Thema kocht noch.
In der Grundschule der Zukunft sollen die Eltern sich auf die Schulzeiten verlassen können. Täglich von 8 bis 13 Uhr werden die Kinder dort betreut werden. Bislang müssen Eltern immer damit rechnen, dass im Falle der Erkrankung einer Lehrkraft die Kinder früher nach Hause geschickt werden, und damit soll Schluss sein.
Die Eltern von Kindern, die eine Volle Halbtagsschule besuchen, befürchten nun aber eine Verschlechterung der Beschulung für ihre Kleinen.
Am heftigsten (und phantasievollsten) war die Reaktion der Cäciliengrodener Elternschaft. Die Grundschule in Cäci wurde im Januar, nachdem die Grundschulpläne der Kultusministerin bekannt geworden waren, symbolisch eingepackt. Warum die Eltern und Lehrkräfte denken, sie müssen einpacken, machten Schulelternrat und Schulleitung auf einem Rund- schreiben deutlich: Zwar würde die Umwandlung der “Vollen” in eine “Verlässliche” keinen Unterschied für die Schulöffnungszeiten machen. Die Zeit von 8 bis 13 Uhr würde jedoch anders gestaltet werden, als es bislang der Fall ist. In diese Zeit fallen derzeit sechs Unterrichtsstunden, und das werden später nur noch fünf sein. “Betreuung” und Pausen werden Unterricht ersetzen.
Die Mutter eines Cäciliengrodener Zweitklässlers, deren gleichaltrige Nichte eine “normale” Grundschule besucht, stellt zwar fest, dass ihr Sohn keineswegs weiter ist als seine Cousine, diese im Gegenteil sogar schon mehr Themen durchgearbeitet hat, doch keineswegs möchte sie auf die gewohnte Form der Beschulung verzichten. “In unserer Grundschule läuft nicht nur Unterricht, sondern es gibt täglich den Morgen- kreis, und die Klassen machen Spaziergänge und Besichtigungen. Mir ist aber wichtig, dass die Kinder zuverlässig immer von Fachkräften betreut werden.”

Und da scheint der Hase im Pfeffer zu liegen. Die CDU-Opposition im Landtag bezeichnet die “Verlässliche Grundschule” als ein “Billigmodell”, und die Grünen lehnen Betreuung durch pädagogisch nicht qualifiziertes Personal ab. In Cäciliengroden ist die Rede davon, dass interessierte Mütter die Betreuung, mit der ein Schulvormittag beginnen soll, leisten werden; auch von ABM-Kräften und von pensionierten LehrerInnen war in diesem Zusammenhang jüngst die Rede.

Sicht der Eltern..
Bei der Veranstaltung des Wilhelmshavener Schulelternrats am 8. März vermisste Bernd Pauluschke (Bezirksregierung Weser-Ems) “in der Diskussion eine Argumentation aus der Sicht der Eltern.” (“WZ” vom 10.3.99) Bei den bisherigen Aktionen und Demonstrationen sind Eltern, Kinder und Lehrkräfte gemeinsam aufgetreten, doch dass sie alle an einem Strang ziehen, ist nicht unbedingt klar.
Menzel im RegenFür Eltern, die (z.B. wegen ihrer Berufstätigkeit) an zuverlässigen regelmäßigen Schulzeiten interessiert sind, mag es weniger wichtig sein, welche Qualifikation die Personen haben, die ihre Kinder betreuen. Und Kinder im Grundschulalter lernen, wie die oben zitierte Cäciliengrodener Mutter auch festgestellt hat, in sechs Stunden keineswegs doppelt so viel wie in drei – ab einer bestimmten Menge Lernstoff brauchen sie Gelegenheit zum Toben und Spielen. Da ist die “Verlässliche Grundschule”, in der die erste und die letzte Stunde mit Freispiel unter der Aufsicht einer “lebenserfahrenen Mutter” (Pauluschke) verbracht wird, eine zufrieden stellende Lösung.
Sofern die Mutter aus ihrer Lebens- und Erziehungserfahrung nicht gerade den Schluss gezogen hat, dass Anbrüllen oder ein Klaps auf den Po hilfreiche Mittel sind, ist diese Lösung durchaus auch pädagogisch vertretbar.

… und der Lehrkräfte
Lehrer und Lehrerinnen begegnen der “Verlässlichen” mit anderen Bedenken. In den vergangenen Jahren sind ihre Arbeitsbedingungen kontinuierlich verschlechtert worden. Sie haben noch gut in Erinnerung, dass Gerhard Schröder (damals noch Niedersachsens Ministerpräsident) sie als “faule Säcke” bezeichnet hat. Die Landesregierung nach Schröder unternimmt weitere Schritte zur Abwertung dieses Berufes. Niedersachsen hat eine Initiative in den Bundesrat eingebracht, die darauf abzielt, die Lehramtsausbildung zu verkürzen (vgl. “WZ” vom 15.2.99), und der niedersächsische Wissenschaftsminister Oppermann hat einen Vorstoß unternommen, die Lehramtsausbildung von den Universitäten an die Fachhochschulen zu verlagern (vgl. “WZ” vom 13.1999), was eine Verbilligung der SchulpädagogInnen zur Folge hätte.
Jahrelanger Einstellungsstopp hat zur Überalterung der Kollegien geführt. Junge Lehrkräfte sind an allen niedersächsischen Schulen seltene Ausnahmeerscheinungen. Während die LehrerInnen immer älter werden, wird die Arbeit immer stressiger, und krankheitsbedingte Ausfälle sind die Folge. Statt die im Dienst befindlichen PädagogInnen immer weiter zu belasten, müssten dringend zusätzliche eingestellt werden.
In dieser Situation brachte die niedersächsische Kultusministerin nun die “Ver- lässliche Grundschule” aufs Tapet, in der nichtpädagogische Kräfte pädagogische Auf-gaben übernehmen sollen. LehrerInnen sehen schon voraus, dass sie dazu dienen werden, den Notstand zu verschleiern. Wenn die “lebenserfahrenen Mütter” schon da sind, dann werden sie auch zu Krankheitsvertretungen herangezogen werden. Als vor Monaten einer CDU-Schul-Hotline gemeldet wurde, dass ein Schulhausmeister Matheunterricht erteilt habe, erregte das noch Aufmerksamkeit. In den “Verlässlichen Grundschulen” wird es nach einiger Zeit gar nicht mehr auffallen, wenn Fachunterricht von Leuten aller möglicher anderer Qualifikation gegeben wird.
Da nach den Plänen der Kultusministerin Renate Jürgens-Pieper die Veränderung im Grundschulbereich kostenneutral ausfallen soll, steht zu erwarten, dass Mittel (also Personal) von anderen Schulformen abgezogen werden wird, die Unterrichtsversorgung sich also an den weiterführenden und den Sonderschulen verschlechtern wird – eine weitere Spaltungslinie hat sich aufgetan.

Was passiert in Wilhelmshaven?
Egal, welche Empfehlung der Wilhelmshavener Schulausschuss bis zum 29. März, dem Ende der “Dialogphase”, aussprechen wird – bei den hiesigen Grundschulen wird im kommenden Schuljahr alles bleiben, wie es jetzt ist. Landesweit haben schon mehr Kommunen ihren Wunsch nach der “Verlässlichen” angemeldet, als nach den Plänen der Regierung zum 1.8.99 bedient werden sollen. Die 19 “normalen” Grundschulen dieser Stadt werden mindestens im Schuljahr 1999/2000 weiter arbeiten wie bisher; die beiden “Vollen Halbtagsgrundschulen” Allerstraße und Voslapp bleiben vorerst unangetastet; die Ganztagsgrundschule Rüster- siel ist von den Plänen sowieso nicht berührt.
Bislang ist in Wilhelmshaven der Meinungsbildungsprozess noch in vollem Gang. Der “zu neuem Leben erwachte Stadtelternrat” (“WZ vom 10.3.99) ist sehr aktiv, lädt Landespolitiker zu sich und sich zu Parteiveranstaltungen ein und ist entschlossen, auf jeden Fall das Beste zu erreichen, was angesichts der miesen Haushaltslage Wilhelmshavens für die Kinder zu erreichen ist. Bernd Rahlf, der als Vorsitzender den Stadtelternrat im Schulausschuss vertritt, gegenüber dem GEGENWIND: “Wenn hier die Verlässliche Grundschule eingeführt wird, wollen wir auf jeden Fall im Findungsausschuss, der die nichtpädagogischen Betreuungskräfte aussucht, vertreten sein.”
Entschieden ist derzeit noch nichts. Der GEGENWIND wird am Ball bleiben und weiter berichten.

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