Unterbringung von Flüchtlingen
Aug 021993
 

Keiner zuständig

Menschenunwürdige Zustände in Wilhelmshavener Sammelunterkünften für AsylbewerberInnen

(ub) Die Bürgerinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit (BIGAF) hatte zu einer Veranstaltung in der ‚Perspektive‘ eingeladen, um mit Betroffenen und Verantwortlichen über die unmenschliche, teilweise katastrophale Unterbringung von AsylbewerberInnen in Wilhelmshaven zu diskutieren.

Die Verantwortlichen von Bezirksregierung, Stadt und Diakonie sagten ab. Andreas Czech, Betreiber der Notunterkunft in der Gökerstr. 109, schickte den Gerichtsvollzieher und ließ die Veröffentlichung von Dias, die die unzumutbaren Zustände dort dokumentieren, per Gerichtsbeschluß verbieten.
Seit 1 1/2 Jahren steht die BIGAF in intensivem Kontakt mit AsylbewerberInnen und Flüchtlingen, die es auf ihrer Flucht vor Krieg, Folter und Verfolgung nach Wilhelmshaven verschlagen hat. Zur Zeit sind ca. 200 Frauen, Männer und Kinder in Wilhelmshaven in einer sogenannten Notunterkunft und in Flüchtlingswohnheimen untergebracht. Entsetzt und empört über die Zustände in den Flüchtlingswohnheimen in der Marienstraße, am Banter Deich, der Liebigstraße und insbesondere in der privat betriebenen Notunterkunft in der Gökerstraße 109, ging die BIGAF jetzt mit den gesammelten Erkenntnissen an die Öffentlichkeit. Der GEGENWIND dokumentiert in Auszügen den Bericht der Bürgerinitiative. (Siehe Kasten).

Die Zuständigkeit der Wilhelmshavener Flüchtlingswohnheime obliegt dem Diakonischen Werk, das die Unterbringung der Flüchtlinge mit der Stadt vertraglich geregelt hat. Wesentlicher Vertragsgegenstand sind die durch die niedersächsische Landesregierung in den „Grundsätzen über die Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen in Flüchtlingswohnheimen“ geregelten Mindeststandards für die Unterbringung. Hier sind neben baulichen Vorschriften und sozialpädagogischem Betreuungspotential vor allem auch der dem Flüchtling zur Verfügung zu stehende Wohnraum geregelt. Die BIGAF hat bei ihren Besuchen im Juli d.J. in allen von der Diakonie betriebenen Unterkünften – zum Teil erhebliche – Verstöße gegen die von der niedersächsischen Landesregierung verordneten Mindestnormen festgestellt.
In einem Schreiben der Kreisgeschäftsstelle der Diakonie wird der BIGAF mitgeteilt, man könne der „sehr kurzfristigen Einladung“ zur Diskussionsveranstaltung leider nicht nachkommen. Im übrigen werden die von der BIGAF erhobenen Vorwürfe „zurückgewiesen“, da sie „so nicht den Tatsachen entsprechen“. Auch die Stadt Wilhelmshaven sieht sich außerstande, an der Veranstaltung der BIGAF teilzunehmen, da, so Sozialdezernent Dr. Milger, „die angesprochenen und zu diskutierenden Probleme ausschließlich auf Landes- und Bundesebene verortet sind“.
Offensichtlich scheut man auch hier die Öffentlichkeit, denn in gleichem Schreiben wird der BIGAF stattdessen ein „internes Hintergrundgespräch unter Beteiligung des Diakonischen Werkes“ angeboten. Die Bezirksregierung Weser-Ems, setzt dem Kompetenzgerangel die Krone auf. In einem Schreiben des Regierungspräsidenten wird der BIGAF mitgeteilt, daß für die Unterbringung in den Flüchtlingswohnheimen in der Marienstr., Banter Deich und Liebigstr. die Stadt Wilhelmshaven „für die Vertragstreue und Vertragserfüllung“ zwischen Diakonie und Stadt „verantwortlich zeichnet“. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Von dem Betrieb einer“ Sammelunterkunft Gökerstraße“ haben wir vor ca. 3 Wochen durch Zufall erfahren. Die Stadt Wilhelmshaven ist um Bericht gebeten worden… “ .

Aus verständlichen Gründen war auch Andreas Czech nicht an einer öffentlichen Diskussion interessiert. Bereits im Februar 93 hatte der GEGENWIND über die skandalösen Zustände in der Gökerstr. 109 (siehe Gegenwind Nr. 112) berichtet. Daß sich, obwohl inzwischen einige zehntausende von Mark auf das Konto von Czech durch die Überweisung von DM 20 pro Tag und Flüchtling von der Stadt geflossen sein dürften, an den Zuständen dort nichts geändert hat, beweist eine Serie von Dias, die Rolf Meier, ein Vertreter der BIGAF, bei einem seiner Besuche im Juni d.J. in der Notunterkunft Gökerstraße aufgenommen hatte.
Daß Czech bei Veröffentlichung der Aufnahmen endgültig der hemmungslosen Geschäftemacherei auf Kosten der elementarsten Menschenrechte der dort untergebrachten Flüchtlinge überführt sein dürfte, weiß dieser natürlich auch und schaltete deshalb kurz vor der Veranstaltung das Amtsgericht ein. Per einstweiliger Verfügung wird der BIGAF das Zeigen der Dias untersagt. Czech verweist auf sein Hausrecht und befürchtet, daß die Aufnahmen „zur Verleumdung gegen mich in dieser … Diskussionsrunde“ benutzt werden. (aus dem Gerichtsantrag).

Dem Eilantrag ans Gericht fügt Czech gleich noch eine Kopie des GEGENWINDartikels vom Febr. d. J. bei, um zu dokumentieren, wie sehr „die Gefahr der Verleumdung“ besteht. Die BIGAF will sich jetzt auf gerichtlichem Wege gegen die einstweilige Verfügung zur Wehr setzen. Nach Ansicht ihres Rechtsanwalts besteht ein öffentliches Interesse an der Unterbringungssituation in der Gökerstraße. Im Verbot der Veröffentlichung der Fotos sieht der Rechtsanwalt eine Einschränkung der freien Meinungsäußerung.

Die BIGAF weist darauf hin, dass zur Mitarbeit in der Bürgerinitiative und zur Unterstützung der Flüchtlinge noch Leute gesucht werden.

Die Bürgerinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit (BIGAF) hat dem GEGENWIND eine detaillierte Auflistung der Mißstände in den Flüchtlingswohnheimen und der privat betriebenen Notunterkunft übergeben. Wir dokumentieren hieraus in Auszügen.

Notunterkunft Gökerstraße 109

Das von der BIGAF besuchte Ehepaar ist mit zwei männlichen Personen in einem nur durch Spanplatten abgeteilten 10 qm großen Bereich eines Raumes untergebracht. Sechs weitere Menschen haben in dem restlichen Raum (ca. 25 qm) ihre Bettstelle. Hier wird auf die unverzichtbare Intim- und Privatsphäre des Ehepaares bzw. der anderen Bewohner keine Rücksicht genommen.  Die sanitären Anlagen sind völlig unzureichend. Zwei Duschen, davon eine zur Zeit defekt, müssen sich zeitweilig bis zu 40 Personen teilen. Die Toiletten sind für Männer und Frauen nicht getrennt. Es gibt weder einen Tagesraum, noch einen Kinderspielraum. Im Falle eines nächtlichen Brandes wird die Notunterkunft zur tödlichen Falle. Notausgänge sind nicht vorhanden. Die Fenster lassen sich nicht öffnen. Die Haustür wird ab 23 Uhr verschlossen. Die Bewohner haben keine Schlüssel.

Marienstraße (ca. 20 Personen)

Unzureichende sanitäre Anlagen. Nur zwei Duschen ohne Vorhänge. Kein Waschbecken in der Toilette. Ein Kinderspielraum ist nicht vorhanden.

Banter Deich (ca. 55 Personen)

Lediglich zwei Toiletten. Davon eine defekt. Da diese Unterkunft im August geschlossen wird, ist eine Reparatur nicht mehr beabsichtigt. Es gibt weder einen Tages- noch einen Kinderspielraum. Im Brandfall stehen keine Notausgänge zur Verfügung. Das Prüfdatum des Feuerlöschers ist seit sechs Monaten abgelaufen. Offensichtlich war zum Zeitpunkt der Besichtigung noch nicht einmal für alle unter· gebrachten Personen eine Bettstelle vorhanden!

Liebigstraße (78 Personen)

Auch hier gibt es weder einen Tages- noch einen Kinderspielraum. Es ist offensichtlich, daß nicht für jede Person eine Bettstelle vorhanden ist. Im Treppenaufgang ist ein Wasseranschluß mit Schlauch für den Brandfall. Feuerlöscher zur Bekämpfung von Flüssigkeitsbränden sind nicht vorbanden.
Die in den niedersächsischen „Grundsätzen über die Unterbringung von Flüchtlingen“ festgelegte sozialpädagogische Betreuung findet in allen Unterkünften nur unzureichend statt.

 

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top