Ultragift
Apr 271994
 

Dioxin auf der Hausmülldeponie

ICI-Chemiker: Ungiftiges Ultragift

(hk) Seit der Produktionsaufnahme verseucht die ICI die Umwelt. Seit 1982 belieferte die ICI die Wilhelmshavener Hausmülldeponie, die Sondermulldeponien in Ochtrup und Hoheneggelsen mit dioxinverseuchten Abfallen aus der Kläranlage. Einen Zusammenhang zwischen der PVC-Produktion und der Entstehung des Ultragiftes Dioxin wiesen die ICI-Manager immer als Panikmache der Umweltschützer zurück.

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Foto: Tunnat

Auch jetzt noch versuchen die ICI-Leute abzuwiegeln. Es handele sich, so ein Sprecher der ICI gegenüber der Bürgerinitiative Umweltschutz, um ein Dioxinmuster, welches als nichttoxisch bzw. wenig toxisch anzusehen ist. Im Metallschlamm, der auf den Sondermülldeponien entsorgt wird, fanden sich pro Kilo 400.000 Nanogramm Dioxin. Das ist die höchste bisher in Deutschland gemessene Dioxinkonzentration. Erdboden, der mit mehr als 100 Nanogramm pro Kilo verseucht ist, muß nach einem von Bund und Ländern vereinbarten Richtwert saniert werden. Die Dioxinbelastung der auf der Hausmülldeponie abgelagerten Klärschlämme beträgt das 20fache der zulässigen Obergrenze für Siedlungsabfall. In der Sendung „Hallo Niedersachsen“ des NDR wies die Firmenleitung jeden Vorwurf von sich.

Man habe sich in der Vergangenheit vorbildlich um die Verringerung von Schadstoffen in Luft und Abwasser bemüht -von Dioxin im Klärschlamm habe sie nichts wissen können.“ Kommentar der NDR-Moderatorin: „Das verwundert. Spätestens seit den achtziger Jahren ist der internationalen Fachwelt bekannt, daß bei der PVC-Herstellung große Mengen Dioxin anfallen. Sind die ICI-Chemiker nicht qualifiziert genug?“ Bei der PVC-Produktion wird auch in Zukunft Dioxin anfallen, auch wenn neue Filter und Katalysatoren verwendet werden. Der einzige Weg aus dieser schleichenden Vergiftung ist der Ausstieg aus der PVC-Produktion!

 

Kommentar:

Behördliche Ignoranz führt zur Umweltvergiftung

Mehr als 260 BürgerInnen aus dem Umfeld der Bürgerinitiative Umweltschutz Wilhelmshaven (BUW), der Deutsche Bund für Vogelschutz (DBV) und die ehemaligen Ratsmitglieder der Bürgerschaft, Werner Delor und Dr. Ludwig Kahl, haben im April 1980 im Genehmigungsverfahren für den Bau der Mülldeponie Nord die Ablagerung von Schlämmen aus der Kläranlage der ICI abgelehnt, weil „die Lagerung des biologischen Schlammes problematisch sei“ (DBV), weil es sich bei den „ICI-Sonderabfällen des Chlorverfahrens ( … ) um giftige und giftverdächtige Stoffe handele“ (Dr. Kahl), weil die Ablagerung produktionsspezifischer Abfälle aus der „Industrie nicht zulässig sei“ (Werner Delor), „weil es sich hier durchweg um Abfalle handele, die mit Umweltgiften durchsetzt seien, welche schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben“ (BUW).
Die Bezirksregierung Weser-Ems wies die Einwendungen als unbegründet zurück und begründete diese Zurückweisung mit den für die damalige Zeit üblichen Satz-Konstruktionen: „Im übrigen bemerke ich dazu, daß die Ablagerung hochgiftiger Abfälle auf dieser Deponie ausgeschlossen ist“, „daß der Synergismus für diese Deponie keine besondere. Bedeutung haben könne, da die Stoffe, die hier zur Ablagerung kommen, nicht sonderlich problematisch seien“, „biologischer Schlamm ist ebenfalls unbedenklich“. „Die Bedenken, dass auf dieser Deponie Abfälle zur Ablagerung kommen, die schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben würden, ist unbegründet. Denn es kommen nur solche Abfalle auf diese Deponie ( … ), deren Unbedenklichkeit ( … ) festgestellt worden ist und durch regelmäßige Kontrollen überwacht wird. “
Abschließend ordnet die Bezirksregierung dann die sofortige Vollziehung an, weil der Bau der Mülldeponie im „öffentlichen Interesse“ liegt. Und dieses öffentliche Interesse wird wie folgt begründet: „Veranlassung zum Bau und Betrieb dieser Abfallbeseitigungsanlage ist die Ansiedlung der Fa. ICI“ , „deren Planungsabsicht in einem Zeitraum von 10 Jahren rund 2.000 Arbeitsplätze umfaßt“, „werden in 10 Jahren also im ungünstigsten Falle etwa 4.000 Arbeitnehmer – davon werden rd. 15 – 20.000 Einwohner des Raumes Wilhelmshaven abhängig sein – Beschäftigung finden.“ Mit Rechtsmitteln gegen den Bau der Deponie vorzugehen, würde „eine schwere Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit“ bedeuten. Von solchen Beamten wurden um 1980 herum unzählige Verfahren durchgepeitscht, Einwendungen abgeschmettert und (unter anderem) die Ablagerung von Umweltgiften auf Hausmülldeponien behördlich abgesichert.
Nicht verschwiegen werden soll, daß die Bezirksregierung für die Schlämme aus der ICI-Kläranlage angeordnet hat, daß diese vierteljährlich einer“ Vollanalyse“ unterzogen werden müssen. Weiter heißt es in der Auflage: „Sollten diese Kontrollen der Abfallstoffe zu dem Ergebnis führen, daß sie nach dem wissenschaftlichen Stand der Erkenntnis hinsichtlich ihrer Ablagerung bedenklich sind, ist deren Ablagerung ausgeschlossen.“
Zur Zeit der Planfeststellung für die Mülldeponie war Dioxin auch den Umweltschützern schon bekannt. Doch es war damals noch ein etwas exotisches Gift, verbunden mit dem Namen Seveso und seltsamen Buchstaben und Zahlenkombinationen. Der zwingende Zusammenhang von Chlor und Dioxin wurde erst Mitte der 80er Jahre publik und „Stand der Erkenntnis“. Trotzdem dauerte es noch einmal fast 10 Jahre, bis die Behörden ihren Hintern hochbekamen und bei der ICI entsprechende Untersuchungen anstellten. Mehr als ein Jahrzehnt lang hat die Genehmigungsbehörde sich auf ihren Backen ausgeruht und die Erkenntnisse von 1980 für ein Bibelwort gehalten. Da mußten sich erst die Leute von Greenpeace ans Tor der ICI anketten, sich vom Werkschutz verprügeln oder von der Betriebsfeuerwehr im Abwasser versenken lassen, damit die Aufsichtsbehörden aktiv werden. Hätte Umweltministerin Griefahn die Bezirksregierung nicht angewiesen, entsprechende Untersuchungen in die Wege zu leiten, würden die Beamten der Bezirksregierung noch heute die Erkenntnisse der IG Farben als Glaubensbekenntnis mit sich herumtragen.

Hannes Klöpper

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