Theda
Sep 051998
 

Mein liebn Kuddl!

Haste meine Karte gekricht, vom Eisselmeer? War richtig schön da, isja das Komische anne Niederlande, sieht haargenau so aus wie hier, bloß viel schöner. Aber dafür ist hier bei uns ja alles so richtig schön modern, wo die Stadt ja auch immer fein für sorgt.

Hamse z.B. jetzt zwei alte Häuser abgerissen, über hundert Jahre alt beide, inner Kasinostraße, weilse nicht mehr in unser modernes Stadtbild paßten und kann man viel besser Parkplätze und Abstellflächen von machen, weil die sich doch viel besser in das Ambjente intrigieren. War’n ja auch ganz runtergekommen, die Dinger, hat die Wehzett zu geschrieben, daß nicht mal mehr „sozialschwache Ausländer“ drin wohnen wollten – stell Dir das mal vor, mein Kuddl, also richtig schlimm, die Häuser, mein’ ich. Hamse jedenfalls nicht lange gefackelt, weg damit, war’n ja auch einzelne Gebäude und auch deswegen nicht erhaltenswert. Praktisch gedacht, nich? Anner Kasinostraße ist da nu jedenfalls nur noch Schutt, genauso wie bei der ehemaligen Sparkasse am Theaterplatz, und da hamse inner Wehzett gesagt, daß man diesen ganzen Schutt nu gut dazu gebrauchen kann, um den Kindern zu zeigen, wie das hier damals ausgesehen hat, als die Trümmerfrauen die ganzen Steine weggeschleppt haben, so Geschichte zum Anfassen oder so. Und da ist mir ja eine Idee gekommen, mein Kuddl, wo ich ganz begeistert von bin und geh ich damit morgen gleich zur Freizeit und ist mein kreatiefer Beitrag für die EXPO als aufgeweckte Bürgerin. Soll ja immer nix kosten, was man für die EXPO so tut, und was ich mir ausgedacht hab, kost nix, ist modern und kann man sogar viel Kohle mit machen, weil zum Beispiel Mänädscher und solche Leute da ganz wild drauf sind, nämmich so eigene Grenzen erfahren und die letzten Abenteuer erleben und so.

Also das Ganze ist sone Art Abenteuerurlaub in unserer modernen Stadt, in mehreren Statzjonen, mit ‘ner Menge Grenzerfahrungen und soner Art Russisch Rulett auf Friesisch, und kann man pro Mänädscher sicher’n Tausender für abzocken. Und das geht dann so: Die Anreise fängt eigentlich schon in Oldenburg an, und zwar nicht mit’m Zug, weil der wahrscheinlich dann sowieso nicht ordentlich fährt, weilse das mit dem Strom erst hinkriegen, wenn die EXPO schon lange vorbei ist, so daß die Züge sowieso mit den ganzen normalen Leuten überfüllt sind. Die Mänädscher müssen also erstmal die Gleise nach Wilhelmshaven langjoggen, die lucksuriöse Alternatiefe ist, dasse mit’m Auto kommen und inner Innenstadt parken müssen, da brauchense aber schon richtig Kohle für. Wennse dann angekommen sind, könnense nachkriegsmäßig Trümmer schippen und müssen dabei Sachen finden, kleinen Goldbarren vielleicht beim Sparkassenschutt oder’n Gebiß oder’n Pißpott oder’n altes Dönerbrötchen anner Kasinostraße. Dann dürfense sich’n bißchen ausruhen, und dann geht’s weiter inner Kopperhörner Straße mit Mühlenbauen, da will die Stadt sowieso nicht selbst ran, und August muß dann auch nicht mehr so viel dafür orgeln und die Mänädscher lernen was über Handarbeit. Das machense zwei Tage, dann kommt ein entspannender Spaziergang durch’n Natzjonalpark Wattenmeer mit leichtem Marschgepäck und Besichtigung der Jade-Port-Baustelle, die’s dann ja wohl gibt. Und nu kommt der Friesische Rulett-Teil: Der Beta-Rudi Carell vonner Hafenwirtschafts-Vereinigung hat ja neulich vorgeschlagen, daß man aus diesem vergifteten Weserschlick aus Bremen Bausteine für die Hafenbefestigung vom Jade- Port herstellen soll. Naja, und wenn die das dann machen und die ganzen Mänädscher stehn da nu rum, dann müssense zehnmal tief einatmen, dann könnense weiter, wennse nicht umgefallen sind, weilse zuviel von diesem Tebete erwischt haben. Hier gibt’s aber auch wieder ‘ne lucksuriöse Alternatiefe für die mit zuviel Kohle: ein Besuch im City-Hallenbad mit 80 Meter Rutschen, und zwar ist das ganz schön ausgedacht mit der Rutsche, richtig sümbolisch für die ganze EXPO-Planung hier: 50 Meter rutschense durch ein schwarzes Loch, dann kommen 30 Meter, wose bei innen blauen Himmel gucken und die Sonne suchen können, und der Rest ist dann nur noch Nebel und Flimmern.

Nächste Statzjon ist dann der Südstrand, und da müssense dann solange warten, bisse mal müssen, und dann kommt die Aufgabe, dasse ‘ne Toilette finden müssen: erstes Klo zu, Schild lesen, dreihundert Meter weiterjoggen mit verklemmten Beinen, zweite Tür auch zu, und nu ‘nen alternatiefen Pinkelplatz finden ohne öffentlichen Ärger zu erregen oder sich naßzumachen, Grenzerfahrung pur. Hier gibt’s dann die lucksuriöse Alternatiefe, dasse sich’n Strandkorb mieten, wo’n Kloschlüssel mit bei ist, den könnense dann ja auch an die Mänädscherkollegen verliesen und dabei noch ‘ne schnelle Mark machen. Nächste Statzjon könnte, je nach Lage, der Marinehafen sein, wo bestimmt wieder so’n Atom-U-Boot rumliegt und strahlt. Da könnense dann nach’m kleinen Unkostenbeitrag solange drumrum stehen, bisse genau wissen, wie sich so’n Polizist beim Kastortransport fühlt. So, und wer jetzt noch fit und gesund ist, darf dann zum Schluß als Belohnung mit der „Odessa Sky“ bei Wasser und Brot nach Helgoland fahren, und dann ist das Abenteuer um und ist ‘n toller Eindruck und ‘ne tolle Werbung für Wilhelmshaven gewesen. Wie findst das?

Ansonsten gibt’s hier nicht soviel Neues. Unser Adam ist mal wieder in unserem Chinabüro gewesen, der Weg dahin isja nun ein bißchen weiter geworden, wo das Büro wieder in China ist. Lohnt sich aber bestimmt, weil die Chinesen ja gerade soviel Hochwasser haben, da kann der Adam mal genau sehn, wie das ist, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht, und außerdem kann er ja von unseren Erfahrungen hier mit Deichbau und so berichten, vielleicht hat er ja auch’n paar Fackeln vonner letzten Menschenkette mitgenommen und den Chinesen gezeigt, wie man so’n ordentlichen Fackelzug organisiert, Menschen hamse da ja genug für. Die Chinesen wollen ja auch dann zur EXPO hierherkommen, dann könnense uns ja prima zeigen, wie man das macht mit’m Deichesprengen, und so hamse alle was davon.

Ja, und’n Jugendparlament haben wir ja nu auch hier, haben aber nix zu sagen, die Jugendlichen, in den Ausschüssen, mein ich, wär ja wohl auch noch schöner, soll’n man erstmal schön zugucken und was lernen, reicht ja wohl, wenn sich die Erwachsenen Gedanken über die Jugendarbeit machen, so wie bei der Podiumsdiskussion über die Lage der Jugendlichen in Wilhelmshaven im Juli, da war auch kein Jugendlicher dabei, und dann können die Erwachsenen das alles viel besser bereden. Uns Eberhard hat auch gesagt, daß das Jugendparlament „genügend Kompetenzen“ hat, isja auch so, die dürfen schließlich schon ganz allein ins Rathaus.

Was gibt’s noch? Das Arbeitsamt baut sich mal wieder um und zeigt sich damit doch richtig vorbildlich, weil es sich selbst immer so schön viel Arbeit gibt. Ist natürlich alles wegen der erhöhten Kundenfreundlichkeit, aber im Moment stören die ganzen Arbeitslosen eher bei den Umbauarbeiten, deswegen sollense man lieber erstmal nicht vorbeikommen, weil ihre Akten sowieso bei der ganzen Bauerei nicht zu finden sind oder das Amt vielleicht auch gerade ganz zu hat.

So, mein Kuddl, und nu muß ich auch los, hab noch einiges vor heute. Erstmal muß ich zum Finanzamt, mir ‘ne Unbedenklichkeitsbescheinigung holen. Das hat nämmich der Eishockie-Club hier auch gemacht, keine Kohle, Steuerschulden bis zum Abwinken, und dann gab’s diese Bescheinigung vom Amt, und nu muß der Verein erstmal keine Steuer mehr bezahlen, und das will ich auch. Wenn ich dafür dann ‘n bißchen Eishockie spielen muß, ist mir das auch egal, hab ja noch die Schlittschuhe von Onkel Willi, müssen bloß’n bißchen geputzt werden.

Und wenn ich damit fertig bin, dann geh’ ich noch zur Stadtverwaltung und geb’ meine Bewerbung als Wirtschaftsförderer ab, brauchste nämmich überhaupt keine Kwalifiekatzion für. Die dürfen bloß erstmal nix von meinem EXPO-Abenteuer-Plan wissen, weil dann bin ich für den Dschob bestimmt schon völlig überkwalifiziert und wollense mich nicht mehr nehmen. Drück’ mir mal die Daumen, mein Kuddl, tschüß dann,

und’n ganz dicken Knutsch von

Dein Theda

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