Theda

Heut hab ich garnich soviel Zeit zum Schreiben, ich muß nämlich zur Maikundgebung. Dies Jahr, hab ich gehört wissen die alle noch nichmal so genau wos langgehn soll, auf der Straße, mein ich. Soweit ich das mitgekriegt hab, soll der Zug wohl bei dem Eickmeyer, was hier der Sportchef ist, vorbeigehen weil den Gewerkschaften gehts ja nun auch nich mehr so gut und müssen sie sparen, und nun hoffen einige, daß, wenn der Eickmeyer sie so in ihren abgelabberten Erster-Mai-Klamotten sieht, er ihnen vielleicht ’n neues Autfitt spendiert, wie man heut so sagt. Hat er nämlich schon mal gemacht, vorn paar Wochen mit diesen Schwimmern aus Lettland, das war auch bei som Fest.Aber ich weiß nich, mein Kuddl, es hat sich ja bei allem möglichen schon so viel verändert, aber daß die vonner Gewerkschaft nu inner Badehose im Kurpark rumstehn und die Internationale singen, das muß ja nun eigentlich doch nich sein. Auch wenn da immer von Sonne und Freiheit die Rede ist. Aber andersrum, wenn der Eickmeyer seine Spendierhosen wieder verteilt – man weiß ja nich ob die nich doch welche nehmen.

Weißt Du eigentlich dass diese Zeitung hier die ich Dir immer schicke, schon hundert Jahre alt ist, ich mein, daß es sie gibt, ist solange her. Steht jedenfalls diesmal drin und muß ja stimmen wenn die Redaktion das sagt, die ist nämlich fast von Anfang an dabei.

Bei Zeitung fällt mir wieder die Frau Schwatz von der Wehzett ein, die hat ja wieder so’n schönen Artikel geschrieben, ganz rührend, nee, über zwei heimatlose Katzen, deren Wohnung neulich hier explodiert ist, und wie sie die dritte hinterm Sofa weggerettet haben – hab ich richtig Herzklopfen von gekriegt. Sonst liest man ja immer was von toten und verbrannten Leuten, isja alles immer so brutal heutzutage, aber dies war so richtig ergreifend. Deswegen hat sie bestimmt auch nichts davon geschrieben, daß zwei von den Bewohnern aus dem explodierten Haus inne Spezialklinik mußten, weil sie so verbrannt sind, hätt ja garnich reingepaßt.

So, mein Kuddl, nu muß ich auch los – nee, wart mal, da gibts noch sone komische Geschichte, von diesen kleinen vonner CDU, Junge Union heißen die wohl. Die mögen nämlich diese Schule nich, die’s hier gibt, wo man nich mehr erkennen kann, wer’n Gümnasaler ist und wer nich, weil die da bis zur Zehnten alle zusammen Unterricht haben. Das finden die Kleinen vonner CDU nich gut, ist denen zu wenig sortiert. Und dann hat der Vorsitzende von denen nun auch noch zur Wehzett gesagt, daß da bei der Schule alle Abitur machen können, auch die ganz Doofen und daß das ja nun ganz schlecht wär.

Was ich nun bloß nich verstehe, ist, daß die vonner Jungen Union in ihrem Vorstand selbst einen drin haben, der auf dieser Schule war, und der ist gar nich erst in die letzte Klasse gekommen, und Abitur haben sie dem schon garnich gegeben, obwohl er das immer gern haben wollte.

Also müßten die doch eigentlich wissen, daß nicht alle Doofen da ihr Abitur kriegen, oder hab ich da was nicht verstanden? Ich mein, ich mußte ja nach der Neunten vonner Schule, und wie man Abitur schreibt, weiß ich auch noch nicht solange aber irgendwas ist da doch komisch, oder nich?

Jedenfalls muß ich nu aber wirklich los – tschüß, mein Kuddl und’n dicken Knutsch von