Theda
Nov 201996
 

Logo_Kuddl Weißt noch, was ich Dir neulich über diesen großen Steindeich inner Stadt geschrieben hab? Sollja alles gar nich wahr sein, weil hat neulich am Sonnamp inner Wehzett der Dr. Sommer – nich der, der immer diesen Schweinkram für die Kinder schreibt – uns allen erklärt, was es damit nu wirklich auf sich hat. Is ja ganz ein dolles Ding, sone Mischung aus Flughafen Berlin, Fischmarkt in Hamburg, Amtsgericht Braunschweig, so’m Hotel inne Türkei, der neuen Messe in Leipzig und was weiß ich noch alles. Kein Wunder bei dem Durcheinander, dass man erstmal als einfache Frau Schwierigkeiten hat, zu begreifen, dass das nu ganz dolle Arschitektur is. Aber, sagt der Dr. Sommer, soll man mit kühlem Kopf rangehen und bloß nicht hüsterisch werden, was ich nun wiederum nich so einfach finde, wenn ich an diesen Wehrtürmen anner Mozartstraße langlauf und immer Angst krich, dass von da aus gleich der Schwarzenegger mit ’ner Empieh inne Fußgängerzone ballert. Aber, sagt der Dr. Sommer, is man bloß „Einfachheit, Zurückhaltung, Sinnfälligkeit und Materialdisziplin“, was mir da sone Angst macht. Muß er ja wissen, hat ja sicher wohl mal sowas studiert, und sagt er auch, dass ’ne „spontane Beurteilung für interessierte Laien“ schwierig ist, womit er mich ja dann mit meint, nich? Dabei fand ich die spontane Beurteilung von dieser Arschitektur eigentlich gar nicht schwierig, muß nu bloß nochmal neu denken, wo der Doktor uns das so fein beigepuhlt hat. Auch dafür, dass das so’n massives Riesenteil is, wo man überhaupt nicht drumzugucken kann, hat er ’ne ganz einfache Erklärung: is alles Absicht, weil nämlich Stadtbewohner „zwischenmenschliche Kommunikation“ wollen, also Klönen und so, und das erfordert „Dichte und Zusammenrücken“, damit das dann auch so passiert. Das hat mir nun wieder eingeleuchtet, mein Kuddl, weil, das kenn ich ja schon von wenn ich immer auf’m Arbeits- oder Sozialamt bin, da musste in letzter Zeit auch immer mehr zusammenrücken und hörst viele Geschichten, meist aber gar nicht so lustige, und vonner Nordseepassage spricht da eigentlich niemand, aber kann sich ja auch nich jeder für Arschitektur interessieren. Schön find ich ja, dasse später, wenn das Ding denn nu nächstes Jahr fertig sein soll und wir uns dann auf einer Stufe mit Mailand, Brüssel, Paris, Prag, Berlin und London plötzlich wiederfinden – aber Englisch kann ich ja Gott sei Dank nu – , dasse also dann diese Passagen, die so zwischen Karstadt und den einzelnen Teilen von diesem Wunderwerk rumhängen, dasse die also nich beheizen wollen, weil man noch „Jahreszeiten spüren“ soll – wenigstens bleibt uns dann das alte Marktstraßenfieling erhalten, und man kann weiter schön durch Tigerkäfige laufen, in denen es ordentlich zieht, wie man’s gewohnt ist, sonst wär ja auch die ganze Umstellung auf Großstadtflähr ’n büschen heftig. Aber nu genug vonne Arschitektur. Sowieso sind wir ja ’ne ganz kulturelle Stadt geworden. Neulich hat hier so’n Maler und Bildhauer, wie heisst der noch – Feldner, Wiesner oder Waldner oder so, irgendwas mit Grünzeug, „archaische Kunst“ gemacht, leif am Hafen. Archaisch is ja wohl irgendwas mit Steinzeit oder so, hat er aber ganz modernen Sprengstoff für gebraucht, muss was mit künstlerischer Freiheit zu tun haben, weiß ich auch nich so, bin ja bloß interessierter Laie. Jedenfalls wollte er zweieinhalb Zentner Pappel, so’n Block, sprengen, damit sie Energie kriegen und „elementare Dynamik“. Hat aber erst beim zweiten Mal Knallen geklappt, war aber trotzdem ein dynamisches Erlebnis und hat mich so schön an so vor zwanzig Jahren erinnert, da haben irgendwelche Künstler ja sowas auch schon viel gemacht, bloß nicht hier. Und praktisch find ich das ja auch, weißt ja, dass in unserm Kleingartenverein immer so viel an Sträuchern und Büschen und alten Stämmen anfällt, dass man da garnich gegenan schreddern kann, und wenn der Feldner oder so das nu vielleicht immer inne Luft sprengt, so im Namen vonne Kultur, dann sind wir den Kram schnell los und gleichzeitig harn wir was dafür getan, dass wir immer mehr zur Kunstmetropole werden. Und is immer noch kein Ende mit der Kultur. Kost ja meistens viel Geld, aber da haben sich nu welche ganz was Dolles ausgedacht, damit das immer wieder reinkommt: Da gibt’s also so’n Verein, ‚Bürger für Wilhelmshaven‘ mit dem Brillenmann, Babatz heißt der, ausser Marktstraße als Vorsitzendem, die haben einen „Wilhelmshaven-Fong“ gegründet, wo bis zum Jahr 2000 ’ne Million drin sein soll, durch Aktionen oder wenn jeder jeden Tag ’n Groschen da reintut. Und dann ham wir hier ja auch noch diesen dynamischen Rathsherrn, der immer jedes Jahr so’n Piratenkulturpreis verleiht, 5.000 Mark. Und nu kommt der Trick, wie sie ganz schnell auf die Million kommen: der Babatz gibt nu nächstes Jahr die 5.000 Mark an den Rathsherrn zum Preisverleihen, der gibt sie dann wieder an den Brillenmann, vonwegen Kulturmezehn und so. Und wat n richtigen Mezehn ist, der tut dat schöne Geld wieder in den Fong und dann haben sie ja schon 10.000 Mark, und so gehts dann immer weiter. Klewer, nich? Was das aber nu alles für ’ne Kultur wird, weiss noch keiner so genau, aber ich glaub, dass das wohl so werden soll wie die Zeitungsanzeige, die der Babatz zu seinem Jubiläum inner Wehzett hatte, die war ganz lustig und sah aus wie das Blatt, das wir alle jeden Tag so gern lesen, das mit den großen Buchstaben, weißt schon, und das wär doch schön, nich? Apropoh Wezett: die machen jetzt ja auch viel in Kultur. Neulich haben sie dauernd für ganz wenig Geld ein Buch über diese neue Rechtschreibung angeboten, find ich gut, dass die sich da nun auch mal dran halten wollen, anne Rechtschreibung mein‘ ich. Was ja noch’n büschen schade is, is dass so wenig von unserer ganzen Kultur nach aussen zu merken is. War’n doch neulich so’n paar Chinesen hier, um sich wieder irgendwas bei uns abzugucken, und wußten die doch garnich, das sie hier ein eigenes Büro haben, die Chinesen meine ich, und dass wir das Tor zur Welt sind und nich bloß so’n Notausgang, da müssen die Politikers bei uns noch‘ n büschen was für tun. Ach ja, mit der Politik isses ja hier im Moment auch nich so einfach, bei den neuen Gruppierungen im Rat. Die Grünen sind ja nu mit der Zehdehu zusammen, seitdem tagen sie auch nicht mehr im Dreimädelhaus, sondern wie richtige Politikers im Ratskeller. Und dem Hofmann seine Uwehbeh is nu bei der Espehdeh und der Partei mit dem einen Ratsherrn und den drei Punkten, nee, nich was du meinst, nich die schwarzen auf gelbem Grund. Und nu sind alle böse auf den Hofmann, dabei hat der doch nichts anderes gemacht als sonst auch, bloß dass er diesmal dabei Bürgermeister geworden ist. Und ausserdem hat er in seiner Rede, wo er alle mit überzeugen wollte, dasser Bürgermeister werden muss, auch gesagt, dasser die Kinder- und Jugendarbeit fördern will, und das find ich ja so richtig gut, damit die Gören endlich wieder weg vonner Strasse kommen und was Anständiges zu tun kriegen. Und dasser neulich auf’m Foto inner Wehzett vonner Kranzniederlegung so‘ n Meter hinter uns Eberhard stand, zeigt doch, wie die beiden schön zusammenarbeiten, und wenn dann einige sagen, dass das genau die richtige Stellung für’n Tritt in den Allerwertesten war, is das ’ne ganz fiese Unterstellung, weil sowas würd‘ der doch nie tun. So, mein Kuddl, nu muss ich wieder schließen, weil geh ich noch zur neuen Bürgersprechstunde, die sie sich im Rat ausgedacht haben. Is jetzt immer nach den Ratssitzungen. Find ich ganz praktisch, dass das nachher is, weil dann bringt man die Politikers mit irgendwelchen Vorschlägen vor der Sitzung nich so durcheinander und hamse eben bis zur nächsten Ratssitzung genug Zeit, ’n büschen drüber nachzudenken, was man so gesagt hat, können sich das dann aufschreiben und ordentlich abheften.

Bis bald, mein Kuddl, und’n ganz dicken Knutsch Logo_Theda

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