Theaterprojekt Fliegeralarm
Sep. 072015
 

Bunker wird zur Bühne für Geschichtsbewältigung

Zeitzeugin des Bombenkrieges: Rosmarie Bohl. Foto: Gegenwind

Zeitzeugin des Bombenkrieges: Rosmarie Bohl. Foto: Gegenwind

Ihre Puppe hatte Rosmarie Bohl immer dabei, wenn die Sirenen ertönten und sie als kleines Kind mit der Mutter zum nächsten Bunker rennen musste. Das ist gut 70 Jahre her. Geblieben sind traumatische Erinnerungen, die sie noch heute zusammenzucken lassen, wenn samstags um 12 der Probealarm durch die Stadt heult. Geblieben ist ihr auch die Puppe.

Rosmarie Bohl ist eine der ZeitzeugInnen, deren Geschichten in dem dokumentarischen Theaterstück „Fliegeralarm“ erzählt werden. Spielort ist der Bunker an der Jadeallee.

Erstmals arbeitet die Landesbühne hier mit dem freien Theater „Das Letzte Kleinod“ zusammen. Die Künstlergruppe aus Schiffdorf bei Bremerhaven ist an der Nordseeküste für dokumentarische Inszenierungen an ungewöhnlichen Spielorten bekannt. Eine unbewohnte Insel, ein Tiefkühlhaus oder eine Hafenkaje waren Schauplätze von außergewöhnlichen Theatervorstellungen, im vergangenen Jahr die Kaserne in Sengwarden. Hier ist es der Bunker an der Jadeallee. Ursprünglich als Truppen-Mannschaftsbunker für U-Boot-Besatzungen mit einer Kapazität von 750 Personen (Bezeichnung „T750“) konzipiert, fanden später mehr als 2000 Zivilisten dort Schutz in den Bombennächten des 2. Weltkriegs.

Zum Pressegespräch vor Ort bringt Frau Bohl die Puppe mit. Erschreckend lebendig sind ihre Erinnerungen. Als kleines Mädchen im Kindergartenalter war ihr die Tragweite des Krieges nicht bewusst. Aber sie spürte die Panik der Erwachsenen, die sich nicht selten vor Angst in die Hosen machten. Ihr Großvater war Bunkerwart. Waren die Türen einmal verschlossen, durften sie bis zum Ende des Alarms nicht mehr geöffnet werden. Oft klopften verzweifelte Soldaten vergebens an die Stahltüren; manchmal drückte der Großvater ein Auge zu und ließ sie doch noch ein.

Gingen die Türen wieder auf, warteten draußen Schwestern vom Roten Kreuz mit heißer Suppe. Oft war es ein Fehlalarm gewesen, unauslöschlich aber die Erinnerung an einen zweitägigen Bombenhagel im Oktober 1944. „Auf dem Weg nach Hause lagen tot und aufgebläht die Pferde vom Fuhrunternehmer Eilers“, da kam das Grauen der kleinen Rosmarie schon näher. Aber auch vom Anblick menschlicher Leichname blieb sie nicht verschont. Das Zuhause gab es nicht mehr, nur der vertraute Küchenschrank lugte aus den zerbombten Mauern hervor. „Wir quartierten uns bei einer Tante ein, die eine große Wohnung hatte, uns aber nicht gerade mit offenen Armen empfing“.

Was empfindet Rosmarie Bohl heute beim Anblick, beim Betreten des Bunkers? Bunker dürfen nicht aus dem Stadtbild verschwinden. Denn inmitten aller schrecklichen Erinnerungen bedeutete der Bunker – Sicherheit.

Dem Stück liegen zehn Interviews mit Zeitzeugen zugrunde, die in zehn verschiedenen Räumen des Bunkers in Szene gesetzt werden. Die Zuschauer folgen dem Stück in Gruppen à 25 Personen durch den Bunker.

Die Hauptrollen spielen Anna Rausch, Gerrit Bernstein (beide Ensemble Landesbühne), Gonny Gaakeer und Johanna Fülle (beide Ensemble Das Letzte Kleinod), unterstützt durch Senioren und Jugendliche. Regie führt Jens-Erwin Siemssen (Das Letzte Kleinod), die Dramaturgie übernimmt Peter Hilton Fliegel (Landesbühne). „Es geht um die Geschichte der Stadt, die als Kriegshafen entstand und sonst gar nicht existieren würde“, erklärt Fliegel. „Und es geht um die Weitergabe von Familienwissen. Die traumatischen Erlebnisse der Kriegsgeneration schlagen sich bis heute im Familienalltag nieder.“

Premiere: Do, 29. Oktober 2015, 20 Uhr. Weitere Termine in Wilhelmshaven: Fr, 30.10.2015 / Sa, 31.10.2015 / Fr, 13.11.2015 / jeweils um 20.00 Uhr.

 

Stoppt den Geschichtsvandalismus!

Mit „Fliegeralarm“ steht wieder ein herausragendes Projekt auf dem Spielplan der Landesbühne. Lebendiger kann man Geschichte kaum vermitteln. Dass dies an diesem Spielort überhaupt möglich ist, verdanken wir einigen Wilhelmshavener Bürgern, die sich für den Erhalt solcher Bunker und anderer historischer Gebäude einsetzen.

2012 beantragte der „Verein zum Erhalt der Bunker am Banter See“ Denkmalschutz für die beiden T750 auf dem ehemaligen Banter Kasernengelände.¹ „Wie die anderen noch vorhandenen Bunker der Bauart stellen die beiden Objekte der Banter Kaserne Zweckbauten aus der Kriegsmitte dar, die ihrer Zeit jedoch technisch voraus waren. Heute sollten sie als mahnende Zeitzeugen unbedingt erhalten bleiben“, schrieb der Vorsitzende Holger Raddatz vom „Verein zum Erhalt der Bunker am Banter See“.

Zwei T750 an der Hannoverschen Straße wurden 2012 abgerissen, weil ein Investor dort eine Riesenhalle für Windenergieanlagen bauen wollte. Der Investor sprang ab. Der westliche der zwei Bunker am Banter See wurde im letzten Winter, gefördert aus EU-Mitteln, platt gemacht. Der Investor, der dort Luxuswohnungen errichten wollte, lässt nichts mehr von sich hören.

Von Denkmalschutz wollte die Stadt nichts wissen. Raddatz hat der GGS Konzepte vorgelegt, wie man den verbliebenen Bunker an der Jadeallee wirtschaftlich nutzen könnte, ohne die historische Substanz und die Zugänglichkeit als Mahnmal zu verbauen. Bei Führungen – auch für Schülergruppen – konnte er, schon unterstützt durch Zeitzeugen, die geschichtliche Bedeutung der Bunker hautnah vermitteln. Inzwischen ist dem Verein der Zugang verwehrt. Originalgegenstände aus diesem und dem schon abgerissenen Mannschaftsbunker – die man z. B. für das Theaterstück gut hätte verwenden können – sind auf dubiose Weise verschwunden. Lange Zeit war auch hier vom Abriss die Rede, doch nach derzeitiger Kenntnis soll der Bunker in Privathände verkauft worden sein. Ob er durch ein schickes Loft zur Unkenntlichkeit entstellt wird, wie mehrfach in der Tagespresse skizziert, oder als Zeuge einer dunklen Zeit erhalten und zugänglich bleibt, steht momentan in den Sternen.

Die Verantwortlichen der Stadt haben schon vieles in Trümmer gelegt, das eine lebendige, generationsübergreifende Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte, in all ihren hellen bis dunklen Schattierungen, ermöglicht hätte – zuletzt die Südzentrale. Vielleicht schafft es das Theaterprojekt „Fliegeralarm“, die vom rein wirtschaftlichen Verwertungdenken blockierten Gehirnwindungen bestimmter Leute zu erreichen, ehe es endgültig zu spät ist.

 

 

 

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