Südzentrale
Aug 142014
 

Blauer Brief für den OB

Die Südzentrale und ihre Kastanie haben zwei Kriege überlebt und möchten gern noch kommenden Generationen von ihrer Geschichte erzählen. Foto: Corinna Nickel

Die Südzentrale und ihre Kastanie haben zwei Kriege überlebt und möchten gern noch kommenden Generationen von ihrer Geschichte erzählen. Foto: Corinna Nickel

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz mahnt den Erhalt des kulturellen Erbes an

(red) Während der Verein zum Erhalt der Südzentrale unermüdlich ackert und die Eigentümer vor dem Abriss erstmal alles ordentlich aufgeräumt und ausgefegt haben, ist aus dem Rathaus nichts Konkretes zur Zukunft des geschützten Industriedenkmals zu vernehmen. Mitten in diese unklare Gemengelage platzte ein Brief der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Horst von Bassewitz, Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission der Stiftung, adressierte sein Schreiben an Oberbürgermeister Andreas Wagner persönlich. Es ist nicht nur als Mahnung zu verstehen, sondern auch als Wink mit dem Zaunpfahl, dass die Stiftung der Stadt jede erdenkliche Unterstützung zum Erhalt der Südzentrale zukommen lässt.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz mit Sitz in Bonn ist die höchste Institution Deutschlands in allen Fragen, die den Erhalt historischer Bauten betreffen. Schirmherr der Stiftung ist Bundespräsident Joachim Gauck, im hochkarätig besetzten Kuratorium sitzt unter anderem Georg Friedrich Prinz von Preußen, Ururenkel von Wilhelm II, der sich damals höchstpersönlich um den Bau Seines Kaiserlichen Kraftwerks gekümmert hat. Die Stiftung ist nicht nur fachlich, sondern auch finanziell ein wichtiger Ansprechpartner: “ Die Stiftung hilft vor allem dort, wo öffentliche Mittel nicht ausreichend zur Verfügung stehen. So konnten viele fast verloren geglaubte Kulturschätze in ganz Deutschland bewahrt werden.“ Auch die Sanierung der Kaiser-Wilhelm-Brücke wurde von der privat finanzierten Stiftung bezuschusst. Micaela Schweers-Sander, Ortskuratorin der Stiftung in Wilhelmshaven, machte deutlich, dass Brücke und Südzentrale ein historisches Ensemble bilden und die Stiftung auch den Erhalt der Südzentrale finanziell unterstützen wird.

Seit der Gründung 1985 hat die Stiftung über 500 Millionen Euro für ihre Arbeit eingesetzt und die denkmalgerechte Restaurierung von bereits mehr als 4.500 Denkmalen gefördert. Darüber hinaus koordiniert sie bundesweit den Tag des offenen Denkmals, begeistert Kinder und Jugendliche durch das Schulprogramm „denkmal aktiv“ und die Jugendbauhütten für den Denkmalschutz und bietet Fachleuten und Laien vielfältige Veranstaltungen in ihrer DenkmalAkademie. Bundesweit ist sie durch Ehrenamtliche in rund 80 Ortskuratorien vertreten.

„Wer kurz nach der deutschen Wiedervereinigung Quedlinburg, Görlitz oder Erfurt besuchte, sah, dass hier rasch gehandelt werden musste. Viele Denkmale drohten für immer verloren zu gehen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz konnte hier viel bewegen und leisten – doch ein Blick in die Zukunft zeigt, dass wir erneut vor einer gewaltigen Aufgabe stehen. In den Jahren der solidarischen Kraftanstrengung zugunsten der Menschen und Denkmale in den östlichen Bundesländern ist ein erheblicher Sanierungsbedarf in den westlichen Bundesländern aufgelaufen. Staat und Kommunen können diese Aufgabe kaum alleine bewältigen. Ohne die Bürgergesellschaft, ohne ein neues Mäzenatentum, ohne eine weitere Stärkung des Ehrenamts werden auch diese Denkmale nicht zu retten sein.“

Unser Einsatz dient nicht den „alten Steinen“, auch nicht „alten Zeiten“, er dient den Menschen von heute und morgen! (Deutsche Stiftung Denkmalschutz)

 

Der Brief im Wortlaut

Der zweiseitige Brief ist nicht mal eben so hingeschrieben, sondern sorgfältig formuliert. Dem Verfasser ist es gelungen, die gesamte Dimension der Bedeutung von Baudenkmalen wie der Südzentrale und der Beweggründe, sie zu erhalten, auf – so gesehen doch sehr knappen-  zwei Seiten zu vermitteln. Deshalb geben wir den Brief nachfolgend im ungekürzten Wortlaut wieder.

Hamburg, 11.8.2014

„Südzentrale“ in Wilhelmshaven

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Wagner,

die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat sich seit ihrer Gründung im Jahre 1985 für die Bewahrung des baulichen Erbes aller Epochen der Geschichte unseres Landes eingesetzt. und seine Rettung und Erhaltung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gefördert. Nach den verheerenden Verlusten im 2. Weltkrieg und den gleichermaßen verlustreichen Nachkriegsentwicklungen ist es jetzt dringend geboten, ernsthaft darüber nachzudenken, ob unsere Generation ihren Enkeln ein von echten Geschichtszeugnissen weitgehend bereinigtes Land hinterlassen hat.

Mit zunehmendem Interesse verfolgt die Stiftung die aktuellen Debatten über Abriß oder Erhalt gerade von wichtigen architekturgeschichtlichen Zeugnissen, zu denen zweifellos die sog. „Südzentrale“ von 1908 in Wilhelmshaven gehört.

Die bisher benannten Argumente, die einen Abbruch dieses bau- und stadtgeschichtlich unverzichtbaren, mit der historischen Entwicklung der Stadt Wilhelmshaven eng verbundenen Gebäudes wegen seines desolaten Erhaltungszustandes und damit begründeter hoher Reparaturbedürfnisse forderten, können einer ernsthaften öffentlichen Diskussion heute nicht mehr standhalten.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz bedauert den geplanten Abriss der „Südzentrale“, eines in Deutschland einzigartigen Industriedenkmals, außerordentlich.

Gegenwärtig stehen allerorten historische Bauten auf dem gesellschaftlichen Prüfstand. Sie sind – ob Denkmal oder nicht – angesichts zahlreicher Maßnahmen, die ihre Wurzeln in kulturellem Unverständnis, in politischer Opportunität oder in allzu kurzfristigem, wirtschaftlich motiviertem Gewinnstreben haben, oft unzureichend geschützt und in ihrer Existenz akut gefährdet.

Von jeher erfüllten Bauwerke nicht allein praktische Funktionen, sondern sie sind darüber hinaus zugleich Bedeutungsträger. Durch ihre Einfügung in die Umgebung, die Sprache ihrer Materialien und die Ausdruckskraft ihrer Formen erzählen sie von Wertorientierungen, von Ansprüchen, Tugenden und Untugenden ihrer Gesellschaft.

Sie verkörpern stets den Geist ihrer Zeit.

Eine Gesellschaft, der Baudenkmale als Dokumente ihrer Geschichte anvertraut sind, hat das Recht, aber auch die Pflicht, sie zu erhalten und zu nutzen.

In Wilhelmshaven hat jedoch die Abriss-Debatte der Vergangenheit um die „Südzentrale“ kein Gespür für den Wert des kulturellen Erbes der Stadt trotz mehrfach wiederholter Proteste und diverser Nutzungsvorschläge der Bürgerschaft und engagierter bürgerschaftlicher Vereinigungen erkennen lassen.

Zahlreiche Entscheidungen der Verwaltung und von Teilen einer einseitig interessierten Wirtschaft nährten den Verdacht, daß sich die Verantwortlichen des baukünstlerischen Wertes des ihnen anvertrauten Denkmals nicht bewußt waren und auch heute noch nicht sind.

Die in der Deutschen Stiftung Denkmalschutz seit Jahren tätigen Denkmalpfleger, Kunsthistoriker und Architekten, die aus jahrelanger beruflicher Praxis und wissenschaftlicher Arbeit mit den Fragen der Erhaltung und Weiterentwicklung des baulichen Erbes vertraut sind, stimmen in der Sorge um die Erhaltung historischer Bauwerke überein und diskutieren in den jährlichen Sitzungen ihrer Wissenschaftlichen Kommission ausführlich über die akute Gefährdung und die Bedeutung der Denkmale sowie der historischen Stadtquartiere.

Die teilweise öffentlichen und von einem zunehmend positiven Medien-Echo begleiteten Debatten der vergangenen Monate, die die Gedanken eines zeitgemäßen Denkmalschutzes in Deutschland deutlich formulierten, haben gezeigt, daß am kulturellen Leben unseres Landes interessierte Bürger als emanzipierter Teil einer in Planungs- und Wandlungsprozesse eingreifenden Gesellschaft nicht mehr bereit sind, nicht nachvollziehbare Entscheidungen über das Schicksal von Baudenkmalen unwidersprochen hinzunehmen.

Die deutsche Stiftung Denkmalschutz und ihre 190.000 Förderer mit ihrer Spenden- und Verantwortungsbereitschaft können in diesem Zusammenhang nach fast 30 Jahren erfolgreicher Arbeit für sich in Anspruch nehmen, als inzwischen größte Bürgerinitiative der deutschen Denkmalpflege die Repräsentanz derjenigen Bürger darzustellen, die sich der Erhaltung und Pflege der Denkmale in Deutschland verpflichtet fühlen.

Alljährlich dokumentiert der Tag des Offenen Denkmals das überwältigend große Interesse einer emanzipierten Bürgerschaft an historischer Architektur. Dieses Interesse steht in auffallendem Widerspruch zu zahleichen politischen Entscheidungen, die den Eindruck erwecken, daß selbst herausragende historische Bauten nicht gegen leichtfertige Vernichtung geschützt sind.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz erwartet vor allem von den in Politik und Wirtschaft verantwortlich Handelnden Sensibilität, Verantwortungsbewußtsein und Standfestigkeit im Umgang mit den unter Denkmalschutz stehenden Bauten.

Der Vorstand und die Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission der Deutschen Stiftung Denkmalschutz appellieren daher an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung der politischen Funktionsträger in Wilhelmshaven, sie mögen ihre weiteren Planungsschritte und politischen Entscheidungen im Bewußtsein der Achtung vor der Leistung und den Entscheidungen ihrer Vorgänger treffen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, bitte ziehen sie die bereits erteilte Abbruchgenehmigung zurück und unternehmen alles, um die „Südzentrale“ als unverzichtbares historisches Erbe der Stadt Wilhelmshaven zu retten!

Engagierte Bürger der Stadt und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz stehen als Gesprächspartner über das Schicksal des Baudenkmals bereit.

Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß die Bedeutung der von der Stadt Wilhelmshaven getroffenen Entscheidungen rechtfertigt, daß die deutsche Stiftung Denkmalschutz dieses Schreiben als offenen Brief einer interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis bringt.

Horst von Bassewitz

Dipl.Ing. Architekt

Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission
der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

 

Kommentar:

Nägel mit Köpfen

Die Rücknahme der Abrissgenehmigung, wie sie abschließend im Brief der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gefordert wird, ist nicht die Kernbotschaft. Wichtiger als solch ein formaler Akt ist der Sinneswandel, den er symbolisiert. Er erübrigt sich, wenn jetzt zügig „Nägel mit Köpfen“ gemacht werden für eine Lösung, die jeglichen Druck aus der Abrissdebatte nimmt: Ein fairer, aber realistischer Verkaufspreis. Ein konkretes, durch Stadtplanung und Ratsbeschluss unterlegtes Nutzungskonzept, das auf der Nutzungsanalyse basiert, die vom Verein zum Erhalt der Südzentrale bezahlt und dem Rat vorgelegt wurde. Das konkrete Nutzungskonzept ist die Grundlage, um Fördermittel bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und weiteren Finanzierungsquellen zu beantragen.

Die Südzentrale und ihre drohende unwiederbringliche Zerstörung besitzt für die Stiftung einen so hohen Stellenwert, dass das Schreiben als Offener Brief auch an überregionale Medien ging. Über eine Agenturmeldung wurde in zahlreichen Zeitungen darüber berichtet. Jetzt hat Wilhelmshaven, das schon mehrfach durch bundesweite Spottpresse (JadeWeserPort, Fäkaleinleitung, Armut …) gebeutelt ist, die große Chance, durch den Erhalt der Südzentrale mit einer neuen Nutzung bundesweit positive Aufmerksamkeit zu ernten.

 

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