Substitution 1
Apr 151991
 

Unter Druck

Krankenkassen wollen Codein-Behandlung für Drogenabhängige nicht zahlen

(ub) Die Tatsache, daß ein Wilhelmshavener Arzt Drogenabhängige mit Codein behandelt, schlägt derzeit hohe Wellen. Einer Informationsveranstaltung der Aids-Hilfe mit dem bundesweit bekannten Arzt Dr. Grimm entzog unser Oberbürgermeister Menzel kurzerhand die Schirmherrschaft.

Menzel KarikaturIn der gut besuchten Veranstaltung stellte Dr. Grimm, Arzt in Kiel mit ca. 600 drogenabhängigen Patienten in Hamburg, seine medikamentengestützte Behandlung vor (siehe Artikel in dieser Ausgabe).
Tags zuvor teilte OB Menzel per Presseerklärung mit, dass er für eine bereits zugesagte Schirmherrschaft über die Veranstaltung nicht mehr zur Verfügung stehe.
Als Grund hierfür nannte er ein „Schreiben, das ein laufendes Verfahren bei der Ärztekammer betrifft“. In diesem Schreiben hatte der vielzitierte „Wilhelmshavener Arzt“ J. Janssen der Ärztekammer seine Codeinbehandlung dargelegt und gleichzeitig die Einstellung des gegen ihn z.Zt. laufenden Verfahrens gefordert. J. Janssen hatte in diesem Schreiben auch auf die Veranstaltung in der „Perspektive“ hingewiesen.
Dem betroffenen Arzt und auch den an der Veranstaltung der Aids-Hilfe Beteiligten ist völlig unklar, wie der OB Menzel überhaupt an den Inhalt dieses Schreibens gelangen konnte. Schließlich handelt es sich hierbei um eine interne Stellungnahme gerichtet an den Prüfungsausschuß der Ärztekammer Wilhelmshaven-Friesland.
Die Wilhelmshavener Krankenkassen haben diesen Prüfungsausschuß einberufen. Die Kassen -allen voran die AOK- weigern sich, die Kosten der von J. Janssen an insgesamt 9 Drogenabhängigen Patienten durchgeführten Codeinbehandlungen zu erstatten.

Substitution oder Abstinenz?

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung haben der Verband der Apotheker, die Krankenkassen, die Ärztekammer sowie ein Sprecher der Wilhelmshavener Kripo in Artikeln in der WZ deutlich zu machen versucht, daß einzig und allein eine Abstinenztherapie dem Drogenabhängigen helfen könne. eine Zukunftsperspektive aufzubauen.
Diese selbsternannten Fachleute führen in ihrem Feldzug gegen die Substitution von Junkies, d.h. deren Behandlung mit Drogenersatzstoffen, Argumente ins Feld, die sich teilweise widersprechen, teilweise durch nichts zu beweisen sind.
Der Vorsitzende des Apotheker-Verbandes Felix Fuhrmann führt u. a. auf, „daß! es Ersatzprogramme nur für Heroinsüchtige gebe. Mittlerweile habe Kokain die Heroinsucht überholt“ (WZ 3.4.91). Kriposprecher Heinrich de Wall äußert sich in einem anderen Pressebericht, der sich kritisch mit der Vergabe von Substitutionsmedikamenten wie Remedacen und Kodeinsaft beschäftigt: „Heroin ist … die einzige Hartdroge, die in Wilhelmshaven im großen Stil konsumiert wird“ (WZ). Im gleichen Artikel erweckt de Wall den Eindruck, der Tod eines Drogenabhängigen stünde in Zusammenhang mit dessen Einnahme von Codeinpräparaten.
Auch Codein ist ein Opiat. Unumstritten ist es in seiner reinen Form – wie übrigens jedes Opiat – bei richtiger Dosierung absolut ungefährlich. Die pharmakologische Wirkung von Codein ermöglicht dem Patienten jedoch ein normales Leben.
J. Janssen weist in seiner Stellungnahme gegenüber dem Prüfungsausschuß der Ärztekammer darauf hin. Dass sich 2/3 seiner drogenabhängigen Patienten inzwischen wieder sozial gefestigt haben. Sie haben wieder Arbeit gefunden, leben in eigener Wohnung z.T. mit ihrer Familie.
Der Prüfungsausschuß der Ärztekammer hat jetzt in seiner Entscheidung den Arzt Regreßpflichtig gemacht. Das heißt, daß er die bis dato verordneten Medikamente im Wert von mehreren Zehntausend DM aus eigener Tasche bezahlen muß.
J. Janssen ist beileibe nicht der einzige Arzt in Wilhelmshaven, der Remedacen an Drogenabhängige abgibt. Auch andere Ärzte verschreiben immer wieder Drogenersatzstoffe, wenn Junkies in ihre Praxis kommen.
In die öffentliche Kritik ist J. Janssen geraten, weil er diese Behandlung systematisch betreibt, indem er substituierende Medikamente dem Bedarf des Drogenabhängigen entsprechend ausreichend und zeitlich unbegrenzt verschreibt. Ausreichend meint hier, in einem Umfang, der es dem Abhängigen ermöglicht, drogenfrei zu leben.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top