Wilhelmspassage
Welche Auswirkungen hat die neue Einkaufspassage für die Innenstadt und den Einzelhandel?
(hk) Verklärte Augen bekommen Wilhelmshavens Stadtfürsten, wenn die Rede auf das neue Bahnhofszentrum – innerbehördlich „Wilhelmpassage“ genannt – kommt. Ob die hochgesteckten Erwartungen erfüllt werden?
Mit dem Bahnhofzentrum will Wilhelmshaven den Sprung zum Oberzentrum schaffen. Die Kaufkraft der Wilhelmshavener soll durch diese 35.000 m2 (WZ v.25.2.94) große Einkaufspassage an Wilhelmshaven gebunden werden. Gleichzeitig erhofft man sich einen Zustrom von Kaufkraft aus dem Umland. Die Einkaufspassage soll in erster Linie Geschäfte beherbergen, die mittleren und gehobenen Ansprüchen gerecht werden. Von dieser Linie ist man inzwischen schon etwas abgekommen. Hieß es im Gutachten „Standorte, Markt- und Tragfähigkeitsuntersuchung des innerstädtischen Einzelhandels in Wilhelmshaven“ (im folgenden „Einzelhandelsgutachten“) vom April 1990 noch, „der Textilist C & A profitiert aufgrund seines anderen Angebotsniveaus nahezu ausnahmslos von der erhöhten Lauffrequenz“, so wird dieser Satz zwar auch zukünftig richtig sein, nur daß es mit dem Bekleidungsangebot “ im mittleren bis gehobenen Genre“ wohl nichts wird: Denn C&A selbst wird den Platz des Bekleidungshauses im Center einnehmen.
In der Einkaufspassage soll alles das angesiedelt werden, was sich jetzt im Innenstadtbereich verstreut tummelt: SB-Warenhaus, Schlachter, Bäcker, Süßwaren, Tee, Zeitschriften, Blumen, Fisch, Obst, Gemüse, Textil-Boutiquen, Herrenausstatter, Junge Mode, Lederwaren, Wäsche, Kindermoden , Heimtextilien, Modeschmuck, Bücher, Juwelier, Geschenkartikel , Foto, Glas, Porzellan, Keramik, Parfümerie, Schuhgeschäfte , Kunstgewerbe , Zoogeschäft, Sportgeschäft, Optiker, Apotheke, Weinausschank, Eiscafe, Konditorei, Café, Italienisches Restaurant, Saftbar, Edelimbiss, gehobenes Restaurant, Reisebüro, Reinigung, Friseur (laut Einzelhandelsgutachten). Eine solche zusätzliche Angebotspalette wird von den Einzelhandelsgeschäften im Innenstadtbereich nicht ohne weiteres zu verkraften sein. Erhebliche Umsatzrückgänge und z.T. wohl auch Pleiten werden die unausweichliche Folge dieses zusätzlichen Mammutangebotes sein. Diese Folge sehen auch die Gutachter des Einzelhandels: Leffers und Bartsch werden demnach nach wie vor wirtschaftlich betrieben werden können. Bei Tengelmann wird es zu Umsatzreduzierungen zwischen 10 und 15 % kommen, das SB-Warenhaus im Jade-Einkaufszentrum (welches ja erst in nächster Zeit wiedereröffnet wird) muß mit Einbußen von 15 bis 20% rechnen, andere Geschäfte müssen nur „Auswirkungen in einem normalen, vertretbaren Rahmen“ hinnehmen.
In dem Gutachten heißt es weiter: „In den sonstigen Warenbereichen können durch den zukünftig geplanten kleineren Facheinzelhandelsbesatz in der City zwar partielle Auswirkungen auftreten, die Vorteile des zukünftigen verstärkten Kundenlaufs werden diese Nachteile jedoch erfahrungsgemäß überwiegend ausgleichen.“
Ob die Gutachter wirklich glauben, dass jemand der sich durch das Mammutangebot der neuen Einkaufspassage gekämpft hat, noch viel Lust hat, auf Schusters Rappen bei Johde, WMF oder Schumacher einzukaufen? Das, was wir eingangs als Pleiten und Umsatzrückgänge bezeichnet haben, liest sich im Einzelhandelsgutachten so: „Die im Einzelfall auftretenden Marktanpassungen sind überwiegend wirtschaftlich zu verkraften bzw. müssen zur Stärkung des Oberzentrums Wilhelmshaven in Kauf genommen werden. „Nun ist der Marktstraßenschlauch als Einkaufszone sicher nicht das Gelbe vom Ei -doch die Zukunft sieht noch schlimmer aus: Der westlich der Kieler Straße gelegene Teil der Marktstraße wird sich zu einer Fortsetzung der Marktstraße West entwickeln, ein wenig belebtes Gebiet mit Spielhallen, Büros und langsam aber sicher heruntergewirtschafteten Häusern. Der Börsenplatz wird am Rand der City liegen und nur durch eine Radikalkur (Grün statt Beton) in die Innenstadt integriert werden können. Durch die Ansiedlung des Bahnhofszentrums wird es auf jeden Fall zu einschneidenden strukturellen Veränderungen der Innenstadt kommen. Das jetzt zum Teil noch vorhandene Nebeneinander von Wohnen und Kaufen wird der Vergangenheit angehören. Nach Ladenschluß wird die Einkaufspassage ein toter Koloß sein – eben so, wie wir es von den Passagen in allen Großstädten kennen.
Es gab zwar eine relativ breite Diskussion über das Bahnhofzentrum – Bürgerbeteiligungen und -anhörungen, Beteiligung des Sanierungsbeirates usw. Doch durch alle Versammlungen und Diskussionen wehte ein Straubinger Wind: Denn der in Straubing sitzende Investor hat von Anfang an deutlich gemacht, daß es nur dann ein Bahnhofszentrum in Wilhelmshaven geben wird, wenn alles nach seinen Vorstellungen geht. Selbst der Erhalt des Bahnhofgebäudes war nicht verhandelbar. Die Bürger und deren gewählte Vertreter durften sich gnädigerweise gerade noch darum kümmern, ob der Autoverkehr in der Bahnhofstraße nur für Anlieferer erlaubt sein soll und ob die Virchowstraße zur Einbahnstraße wird. Im Nachhinein läßt das Verhalten der Stadtverwaltung zu diesen Themen allerdings den Verdacht aufkommen, daß auch diese Fragen bereits im Vorfeld mit dem Investor abgeklärt waren.
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