Stadtumbau
Mrz 012006
 

Papier ist geduldig

Endbericht „Gesamtstädtischer Zukunftsdialog Stadtumbau Wilhelmshaven“ liegt vor

(iz) Fast zwei Jahre lang zerbrachen sich VertreterInnen verschiedenster Organisationen und Institutionen die Köpfe darüber, wie unsere Stadt zukünftig aussehen könnte. Im Januar 2006 wurde der Abschlussbericht vorgelegt.

„Die räumliche Entwicklung (in Wilhelmshaven)… verläuft vorrangig unter dem Gesichtspunkt von pragmatischer Nachfrageorientierung und ohne rahmensetzende Vorgaben. Die Stadtentwicklung findet im Regelfall durch Einzelfallentscheidungen und durch die jeweilige Verfügbarkeit von Flächen statt. Entsprechend wird dort eingegriffen oder gehandelt, wo der augenfälligste Bedarf besteht oder die Forderungen am lautesten sind. Eine Profilierung … findet lediglich durch Bau und Betrieb des JadeWeserPorts statt … Eine Vernetzung vorhandener Grün- und Freiflächen durch frei werdende Flächen unterbleibt aus Sorge, diese Flächen dauerhaft an den Natur- und Umweltschutz zu verlieren … In Fedderwardergroden werden während der Bauzeit des JWP die Bauarbeiter wohnen, das Stadtteilzentrum floriert, der Leerstand steigt nicht erheblich an. Nach Fertigstellung der Hafenanlage können neue Arbeitsplätze allerdings nur im unteren Bereich der prognostizierten Spanne angesiedelt werden. Als Grund dafür wird von ansiedlungswilligen Unternehmen u. a. die erkennbare Lähmung innerhalb der Stadt genannt, die sie als Wohnstandort für die Beschäftigten nicht attraktiv erscheinen lässt … In der Marktstraße und in der Nordseepassage siedeln sich zunehmend Biligketten an, es ist ein buntes Bild an Werbungen, Fassadengestaltungen, Angeboten, Ständen und Aktivitäten. … Nach wie vor ist die Stadt vor allem für jene attraktiv, die ein kostengünstiges Leben führen müssen oder aus anderen Gründen die Stadt nicht verlassen können oder wollen … (F’Groden: ) Nach Fertigstellung des JadeWeserPorts ist zu erwarten, dass die Bauarbeiter wieder fortziehen werden und es innerhalb weniger Monate zu vermehrten Leerständen kommt. Der JWP schafft im Betrieb wesentlich weniger Arbeitsplätze als erhofft und diejenigen, die von außerhalb zuziehen, finden anderswo geeignetere Wohnstandorte. Auch verringert sich das Geschäftsangebot. Am Ende wird FGroden zum Sammelbecken all jener, die am unteren Ende der Akzeptanzskala stehen.“
Was ist das denn? Eine gestraffte Zusammenfassung der letzten 50 GEGENWIND-Hefte? „Ackis Rundschlag“ für Ausgabe Nr. 230? Oder welcher chronische Nörgler hat das verfasst?
Keiner. Dies ist ein Auszug aus einem der Szenarien, die von den TeilnehmerInnen des Dialogs zum „Stadtumbau Wilhelmshaven“ verfasst wurden, unter der Prämisse „alles bleibt, wie es ist“. Diese nicht sehr optimistische, aber durchaus realistische Betrachtung der derzeitigen Stadtentwicklung kam vermutlich vor allem deshalb zu Stande, weil ein auswärtiges Planungsbüro den Dialogprozess moderierte.
Szenario 2 hat zum Inhalt, dass nur die Kernstadt weiter entwickelt wird (was Ressourcen spart, aber den Todesstoß für F’Groden, Voslapp und andere periphere Stadtteile noch beschleunigt). Szenario 3 heißt „Bipolare Stadtstruktur“: Hier werden sowohl die Innenstadt als auch die nördlichen Stadtteile (mit Schwerpunkt F’Groden) weiterentwickelt. Der Stadtsüden soll die „urbanen“ Zielgruppen anziehen (z. B. Ältere, die wohnungsnahe Infrastruktur benötigen), der Norden die „suburbanen“, die mehr Grün und weniger Enge bevorzugen, z. B. jüngere Haushalte mit Kindern und Studierende. Die Versorgungsinfrastruktur wird dort allerdings abnehmen – F‘Groden wird „zu einem gefragten Standort für neue Bring- und Lieferdienste“.
Dem Ganzen voraus ging ein Analyse- und Diskussionsprozess, bei dem in verschiedenen thematischen Arbeitskreisen Schwächen und Stärken (Potenziale) der Stadt herausgearbeitet wurden. Nachdem eingangs des Berichtes die verschiedenen Arbeitsschritte chronologisch differenziert aufgezeigt werden, gehen im Ergebnisteil Analyse, Bewertung und Schlussfolgerungen bunt durcheinander. Vieles ist eifrigen LeserInnen des regelmäßig erscheinenden „Stadtistik-Reports“ nicht neu (Schrumpfung und Überalterung der Bevölkerung, Abwanderung und Sterbeüberschuss, hohe Arbeitslosigkeit usw.), wenngleich einige Zusammenhänge pointiert herausgearbeitet wurden.
Wie schon bei der „Agenda 21“ haben, neben Vertretern aus Politik und Verwaltung, Akteure aus verschiedensten Organisationen und Institutionen (Wirtschaft, Umwelt, Soziales etc.) viel Herzblut und Zeit daran gesetzt, Stärken und Schwächen ihrer Stadt zusammenzutragen und daraus zukunftsweisende Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die Verfasserin dieses Artikels war damals beim „Agenda-21“-Prozess selbst beteiligt und kann nachvollziehen, wie frustrierend es insbesondere für Ehrenamtliche sein muss, wenn die Ergebnisse dieses Engagements spurlos in der Schublade verschwinden. Denn genau das passierte mit dem Agenda 21–Abschlussbericht: Zunächst schmorte die Druckvorlage monatelang irgendwo im Rathaus, bis sie dann, in vierstelliger Auflage gedruckt in Kartons verpackt, wieder auftauchte und recht zögerlich verteilt wurde. Bis heute hat man nicht den Eindruck, dass dieser Bericht unter den Kopfkissen der Ratsmitglieder liegt und querschnittsorientiert in alle ihre Entscheidungen einfließt.
Vor diesem Hintergrund kommen Zweifel auf, dass dem Stadtumbau-Endbericht ein besseres Schicksal winkt.
Die von den – insbesondere ehrenamtlich – Beteiligten außerhalb von Rat und Verwaltung geleistete Arbeit verdient Hochachtung; was daraus gemacht wird, liegt nicht in ihrer Hand. Die „Handlungsempfehlungen“ verlieren sich in oft gehörten Allgemeinplätzen. Dazwischen gibt es nur wenige, ganz konkret formulierte Detailprojekte. Hier gewinnt man den Eindruck, dass vor allem der Arbeitskreis „Flächen, Strecken und Strukturen“, zu dem auch die Umweltverbände gehörten, sehr fleißig war und klare Ziele vor Augen hatte. Was jedoch fehlt, ist eine Matrix, die sämtliche Ziele in Detailprojekte untergliedert und einen verbindlichen zeitlichen und organisatorischen Rahmen für die Umsetzung steckt.

Schubladen-Denken?

„Die Ergebnisse des Berichtes sind vom Rat der Stadt Wilhelmshaven und vom Bauausschuss zur Kenntnis genommen worden und sollen – soweit möglich und machbar – bei der zukünftigen Stadtentwicklung in den nächsten Jahren umgesetzt werden“, fasst das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung den Praxisbezug des Endberichtes zusammen. „Möglich“ und „machbar“ sind sehr ängstliche, dehnbare Begriffe, die manches Hintertürchen offen lassen. Kraftvolle, positiv besetzte Kriterien wie „sinnvoll“ oder „erfolgversprechend“ wären eher am Platze, um den Bericht vor einem Schubladendasein zu bewahren. Es braucht schon langfristige, visionäre Denkansätze, um Änderungen herbeizuführen, die derzeit angesichts des maroden Haushaltes nur mit großer Kraft „möglich“ und „machbar“ sind; wesentlich ist, dass sie sich mittel- bis langfristig rentieren.
„Ich würde mich freuen, wenn wir darüber in Kontakt blieben!“, ermuntert Jobst-Henning Winde vom Planungsamt die Beteiligten. Dem schließen wir uns an: Die Mitwirkenden des Zukunftsdialogs sollten am Ball bleiben, ob, wann und wie die Früchte ihrer engagiert-kreativen Arbeit geerntet werden.

 

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top