Stadtsanierung
Okt 081990
 

Die schnelle Mark am Bahnhof

Einzelhandel und Schreiber putschten gegen Stadtsanierung

(hk) Die Stadtsanierung schien so langsam aber sicher ihren Lauf zu nehmen. Stadtbaurat Prottengeier versuchte, sein vom Sanierungsbeirat abgesegnetes Konzept durchzusetzen: Galerie, Kuppel , Börsenplatzsanierung, Brünnlein – alles Maßnahmen, für die er nicht gerade mit positiver Kritik überschüttet wurde, die aber in ein Gesamtkonzept paßten.

Inzwischen wurde ihm das Heft des Handelns aus der Hand genommen. Unterstützt von der WZ riß der Einzelhandel die Führung an sich. Schreiber erscheint auf der Sanierungsbühne, entmachtet Prottengeier und erklärt die ganze Geschichte zur „Chefsache“.

Die "Galerien" in der Innenstadt bekommen nur dann eine Funktion als Wetterschutz, wenn sie mit den angrenzenden Häusern verbunden werden. Wen stört's da, daß die Bewohner der Häuser dadurch von jeglicher Kommunikation von ihrem Fenster oder Balkon zur Straße abgeschnitten werden? Kaufen sollen die Leute und nicht quatschen!

Die „Galerien“ in der Innenstadt bekommen nur dann eine Funktion als Wetterschutz, wenn sie mit den angrenzenden Häusern verbunden werden. Wen stört’s da, daß die Bewohner der Häuser dadurch von jeglicher Kommunikation von ihrem Fenster oder Balkon zur Straße abgeschnitten werden? Kaufen sollen die Leute und nicht quatschen!

Was letztendlich dahintersteckt, ist überdeutlich: Schreiber will ohne große Diskussionen das Superkaufhaus am Bahnhof realisieren und die Innenstadtsanierung ausschließlich wirtschaftlich angepackt wissen. Wie anders sonst ist die Favoritisierung Frankes vom Amt für Wirtschaftsförderung für die Leitung der Stadtsanierung zu verstehen.
Die Ziele der Stadtsanierung werden auf einen einzigen Punkt reduziert: Stärkung des Einzelhandels. Als Auslöser für diese Machtübernahme muß das sogenannte BBE-Gutachten angesehen werden. Dieses im Auftrag der Stadtverwaltung erstellte Gutachten liest sich über weite Strecken, z.B. dann, wenn es um die Ansiedlung eines Superkaufhauses am Bahnhof geht, wie die Projektbeschreibung derjenigen, die es hochziehen wollen.

Die zu einem großen Teil zerbombte Innenstadt ist nicht reich bestückt mit sehenswerten Häuserfassaden - die wenigen noch vorhandenen müssen aber so verdeckt werden, daß der Blick sich nicht von den Schaufensterauslagen eines ehemaligen Imbisses abwenden kann.

Die zu einem großen Teil zerbombte Innenstadt ist nicht reich bestückt mit sehenswerten Häuserfassaden – die wenigen noch vorhandenen müssen aber so verdeckt werden, daß der Blick sich nicht von den Schaufensterauslagen eines ehemaligen Imbisses abwenden kann.

Und wie Erstkläßler zu Weihnachten geraten die Vertreter des Einzelhandels, die Kommentatoren der WZ und die Verwaltungsspitze in Verzückung, wenn es um dieses Kaufhaus geht. Mit roten Bäckchen und Dollarzeichen in den Augen verherrlichen sie den gigantischen Konsumtempel. So ist es auch nicht erstaunlich, daß das Kaufhaus immer größer wurde: 10.000 m2 Verkaufsfläche, 20.000 m2 – Wer bietet mehr? Das BBE-Gutachten spricht nur von den erstgenannten 10.000 m2.
Welche Ausmaße der Laden wirklich haben wird, verdeutlichte Oberstadtdirektor Schreiber auf der letzten Sitzung des Sanierungsbeirates: „Dagegen wird Karstadt wie eine Würstchenbude aussehen“, und spricht schon von 25.000 bis 26.000 m2.Und er weiß auch, was es da zu kaufen gibt: „Da werden Sachen angeboten, von denen wir in Wilhelmshaven gar nicht wissen, daß es sie gibt!“

So stellt sich unser neuer Chefsanierer die Innenstadt vor. Schreiber "Nach anfänglichem Widerstand haben die Bürger die Passage angenommen." Der Konstrukteur dieser Passage hat seine Berühmtheit der innenarchitektonischen Ausgestaltung der amerikanischen Zuchthäuser San Quentin und Sing Sing zu verdanken.

So stellt sich unser neuer Chefsanierer die Innenstadt vor. Schreiber „Nach anfänglichem
Widerstand haben die Bürger die Passage angenommen.“ Der Konstrukteur dieser Passage hat seine Berühmtheit der innenarchitektonischen Ausgestaltung der amerikanischen Zuchthäuser San Quentin und Sing Sing zu verdanken.

Natürlich soll das Angebot in dem Warenhaus nicht mit den „Billigen Jakob“-Läden der Marktstraße vergleichbar sein – Im SB (Selbstbedienungs!)-Warenhaus soll alles mit Bedienung angeboten werden; damit der Oberbekleidungstrakt keine Konkurrenz für C&A(Clamotten-August) darstellt, wird nur Bekleidung des mittleren und gehobenen Genres angeboten. Und die „Junge Mode“ soll von einem „frechen Anbieter“ abgedeckt werden.
Bei den Schuhen wird etwas leiser getreten: Dort soll die Exklusivität nach unten abgerundet werden.
Weinausschank, Saftbar, Eiscafe, Konditorei, Italiener – das ist „Erlebnisgastronomie“; ein „Edel-lmbiß“ – Champagner und Langusten im Stehen – soll, angesiedelt neben dem Weinausschank, der breiten Masse ein Gefühl von gehobenen Lebensstil vermitteln.

Neonreklameschilder müssen grundsätzlich so angebracht sein, daß sie die ganze Konzentration auf sich ziehen. Hübsche Erker, Fenster, Balkone oder anderes Zierrat lenken da nur ab.

Neonreklameschilder müssen grundsätzlich so angebracht sein, daß sie die ganze Konzentration auf sich ziehen. Hübsche Erker, Fenster, Balkone oder anderes Zierrat lenken da nur ab.

Die BBE-Leute sehen mit diesem Konzept – kombiniert mit der heißen Theke des Schlachters – alle Kundenwünsche erfüllt.
Ziel der Aktion ist es, die Menschen aus dem „reichen“ Umland nach Wilhelmshaven zu locken und dafür zu sorgen, daß die High-Society Wilhelmshavens hier ihre Millionen läßt.
Da sich das alles in einem architektonisch geschickt aufgebauten Einkaufszentrum abspielen soll, ist dagegen ja auch nichts zu sagen. Und, was noch sehr viel wichtiger ist: Dieses Einkaufszentrum wird, gutachterlich festgestellt, das bisher bemängelte Selbstwertgefühl der Wilhelmshavener steigern!
Die Leute, die bei Tengelmann rausfliegen (Rückgang bis 15%), oder die durch die Auflösung der Lebensmittelabteilung bei Karstadt stellungslos werden, und die Bäcker und Schlachter, die schließen müssen, die Oberbekleidungs- und Geschenkartikelläden usw. usw. – all das muß, so die BBE-Gutachter, zur Stärkung des Oberzentrums Wilhelmshaven in Kauf genommen werden.
Das läßt sich ja sicherlich für uns BügerInnen verkraften auch das Fachmarktzentrum am Metzer Weg. Nicht verkraften läßt sich jedoch das, was am Ende dann unter dem Namen Stadtsanierung (=unsere Steuergelder) für das Leben in der Innenstadt herauskommt. Und das sieht absolut mies aus. Dilettantisch wird hier das Einkaufen zum höchsten Gut hochstilisiert – Kultur, Begegnung, Grünflächen, Kommunikation, Freizeit – all diese unabdingbaren Bestandteile einer funktionstüchtigen Innenstadt sie existieren plötzlich nicht mehr und werden durch den Putsch des Einzelhandels mit ihrem General Schreiber an der Spitze noch weiter in den Hintergrund gedrückt.
Ein Großteil des Wilhelmshavener Kulturlebens findet nördlich der Peterstraße statt (Theater, Bücherei, Volkshochschule, Kunsthalle, Point,). Auf die Idee, diesen Bereich in die Innenstadt einzugliedern, kommt natürlich niemand. Im Gegenteil: Die BBE schlägt vor, nach der absehbaren Schließung des Plaza-Marktes im Jade-Einkaufszentrum, in diesen kalten Zweckbau, die kulturellen Einrichtungen umzusiedeln. Die Perfektionierung der Unwirtlichkeit. Das Seltsame ist, daß Prottengeier, trotz seiner etwas skurillen Idee, der Stadt durch verschiedenfarbige gläserne Überdachungen eine städtebauliche Unverwechselbarkeit zu verpassen, anscheinend der letzte beamtete Kämpfer für eine zumindest in Teilbereichen über „Die schnelle Mark am Bahnhof“ hinausgehende Stadtsanierung ist. Alle anderen, von Schreiber über Menzel und den wortführenden Einzelhandelsfürsten bis hin zur IHK, sehen in der Innenstadtsanierung nur ein Vehikel zur Durchsetzung ausschließlich am Geldbeutel orientierter Interessen.

 

Was den Wilhelmshavener BürgerInnen in den letzten 40 Jahren so alles vorenthalten wurde (Besatzkonzept nach BBE-Gutachten):

SB-Warenhaus, Schlachter (mit heißer Theke), Bäcker/Französischer Bäcker, Kaffeeausschank, Confiserie/Süßwaren, Tee/Gewürze, Blumen, Tabak/Zeitschriften/Zeitungen, Lederwaren, Fisch-Fachgeschäft, Obst und Gemüse, Bekleidungshaus, 4 Textil-Boutiquen, Junge Mode, Herrenausstatter, Miederwaren, Wäsche, Kindermoden, Heimtextilien, Modeschmuck, Bücher, Geschenkartikel; Juwelier/Echt-Schmuck, GPK (?), Foto (mit Atelier), Parfümerie, Friseur, 2 Schuh-Fachgeschäfte, Kunstgewerbe, Zoo-Fachgeschäft, PBS-Geschäft; Sport-Fachgeschäft, Optiker, Apotheke, Weinausschank,  Eiscafe, Konditorei/Cafe,  Italienisches Restaurant, Saftbar, Edel-Imbiss, Gehobenes Restaurant, Reisebüro, Reinigung.
Es ist schon verwunderlich, daß sich die Wilhelmshavener Bevölkerung angesichts der hier deutlich werdenden Mangelwirtschaft der letzten 4 Jahrzehnte nicht dem Protest der DDR-Bürger angeschlossen hat. Doch hier haben ja General Schreiber &Co die Interessen des Volkes in die Hand genommen.

Kommentar:

Innehalten und nachdenken

Erreicht wird mit dieser Art der Stadtsanierung, daß sich Wilhelmshaven in Zukunft noch weniger von anderen Städten unterscheiden wird. Obwohl wir in Wilhelmshaven über eine Innenstadt verfügen, in der auch noch Menschen zu angemessenen Mieten wohnen, wird sich der Charakter der toten Innenstadt nach Geschäftsschluß weiter verstärken. Das wurde auch in den „Gastkommentaren“ in der WZ (Ende August/Anfang September) deutlich: Das Wort „Kultur“ fand ein einziges Mal in einer allgemeinen Aufzählung seinen Niederschlag.
Wenn die Sanierung so durchgeführt wird, wie es die Leute wollen, die jetzt das Zepter in der Hand haben, dann wird Wilhelmshaven weiter an Attraktivität verlieren, wird zur völlig beliebigen und gesichtslosen Stadt verkommen.
In dem Einkaufszentrum werden sich, nach dem anfänglichen Boom, hervorgerufen durch die Anziehungskraft, die solche Zentren eine Zeitlang ausüben, über kurz oder lang die üblichen Tingelläden, die ihren Profit nicht aus der Qualität, sondern aus der Quantität holen, breitmachen.
Nichts gegen Stadtsanierung, sie ist gerade für Wilhelmshaven nötig – aber das, was im Moment unter diesem Namen in der Stadt passiert und noch passieren soll, hat damit nicht das geringste zu tun. „Innehalten – aber nur kurz“ war der Kommentar des Buchhändlers und Sprechers des Sanierungsbeirates Volker Eissing in der WZ überschrieben. Innehalten – Nachdenken – die Stadtsanierung nicht nur als Unterstützungsaktion für den Einzelhandel und das Baugewerbe verstehen, sondern als Möglichkeit, eine Innenstadt gestalten zu können, die von den in ihr lebenden Menschen und von deren Gästen als wirkliches Zentrum städtischen Lebens genutzt werden kann.
Eine lebendige Innenstadt zieht automatisch auch Käuferströme aus den westlichen und südlichen Gebieten hierher. Blindes Abkupfern von zumeist sozial und städtebaulich unverträglichen Vorbildern schadet nur und verbaut auf lange Sicht jegliche eigenständige Entwicklung.
Unsere Stadt sollte uns dafür zu schade sein.

Hannes Klöpper

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