Soziale Stadt
Jun 032003
 

Maulkorb für den Beirat

Scheitert die “Soziale Stadt” an Interessenskonflikten?

(iz) Die Aprilsitzung des Beirates für das Projekt “Soziale Stadt” wurde nach einem großen Krach abgebrochen. Das Planungsbüro musste seine Entwürfe überarbeiten. Im Wesentlichen soll ein Reizwort vermieden werden, das die Wirtschaftsvertreter an die Decke gehen lässt. Wir dokumentieren und werten den Stand der Diskussion im Mai.

Das Programm “Soziale Stadt” soll soziale Konflikte in Stadtquartieren lösen und ein zukunftsfähiges Miteinander von Wohnen und Arbeiten entwickeln. Der Planungsbereich umfasst die westliche Südstadt und Bant zwischen Werft- und Jadestraße.

Für diese Bevölkerung ist arbeiten wichtig, nicht wohnen. Das begreifen dann auch alle.
Wolfgang Frank, städtischer Wirtschaftsexperte

Wolfgang Frank, Geschäftsführer der städtischen Holding, möchte sämtliche Wohnhäuser südlich der Weserstraße abreißen und die Fläche bis zum Innenhafen als reines Gewerbegebiet nutzen: “Wir müssen rigoroser sein.” In der Tat eine rigorose Form der Konfliktbewältigung: Alle Anwohner rauswerfen, die über Betriebslärm meckern könnten. Wilhelmshaven braucht seiner Ansicht nach keine Wohnungen mehr, “es gibt genug Einfamilienhäuser”, “hier muss Arbeit passieren”, sonst nichts.
Ein Vertreter der Wohnungsbaugesellschaften fand die Idee mit dem Abreißen nicht so toll. Die “Spar und Bau” hat in den letzten Jahren 6 Mio Euro in ihre Wohnungen gesteckt und will auch weiterhin einige 100.000 Euro jährlich investieren, um die Wohnqualität in den Altbauten zu steigern. Sicher nicht, um sie jetzt abzureißen.

Wir könnten viel Schrott abreißen.
Curt Leffers, Kaufmann

20 – 30% der Altbauten im Plangebiet, vor allem westlich der Mitscherlichstraße, gelten allerdings als abbruchreif. Über 50% sind im Besitz auswärtiger Investoren, die sie abschreiben, aber nicht instand halten wollten.
Die Weserstraße wäre kein Schutzwall zwischen lärmintensiven Betrieben auf der Südseite und den Wohnbereichen nördlich davon. Auch das Willehad-Krankenhaus, größter Arbeitgeber im Quartier, könnte dadurch einige Probleme bekommen.

Umgehungsstraße oder Pro……?

Heiß umkämpft ist der Geländestreifen längs des Innenhafens. Der offensichtlich attraktive Rad- und Fußweg inspirierte die Planer, dort – in Verlängerung des Bontekais – eine alleeartige touristische Meile zu entwerfen. Das Reizwort, das die Aprilsitzung platzen ließ, heißt PROMENADE. Diesmal mieden Planer und Beiratsmitglieder den Begriff wie der Teufel das Weihwasser.

Rings um den Schützenhof sieht es aus wie nach dem Krieg.
Ursula Aljets, Bürgermeisterin, SPD

Mit Rücksicht auf die Hafenwirtschaft. Diese Sensibelchen haben nämlich ganz anderes mit der Brachfläche vor. Sie möchten eine Zufahrtsstraße für die Gewerbebetriebe bauen. Spätestens hier wurde deutlich, dass im Beirat große Kommunikations- und Informationslücken bestehen. Das Planungsbüro hat sich wunschgemäß weg von der PRO…… auf die Durchgangsstraße konzentriert. Aber niemand hatte Planer Holland verraten, dass das Transportgleis längs des Nordufers längerfristig erhalten bleiben soll. Da bleibt zwischen derzeitiger Baugrenze und Ufer kein Platz für eine Straße. Und Günter Reiche (Hafenwirtschaft) rückte plötzlich damit heraus, dass Anbindungen der Betriebe an den Kai einerseits und eine Durchgangsstraße anderseits, die sie queren, sich gegenseitig behindern und damit ausschließen. Wie es aussieht, war die ursprüngliche Planung mit der PRO…… die einzig realistische.

Wir brauchen Arbeitsplätze. Aber wir dürfen uns nicht am JadeWeserPort festbeißen.
Günter Reiche, Hafenwirtschaft
Der Prügelknabe

Einige Beiratsmitglieder scheinen die Rolle eines Planers nicht richtig verstanden zu haben. Der kann nur aus dem Input, den seine Auftraggeber liefern, fachlich stichhaltige Vorschläge entwickeln und nach ihren Vorstellungen modifizieren. Hier muss er aber als Prügelknabe für die Konzeptlosigkeit und Uneinigkeit im Beirat herhalten.

Bei der letzten Sitzung hat Holland versucht, uns zu provozieren und vorzuführen.
Gut, dass er jetzt, wo die Hafenwirtschaft dabei sitzt, DAS Wort nicht in den Mund nimmt.
Helmut Möhle, Ratsherr, CDU

Hollands engagierter Vortrag vermittelt, dass er sich trotz allem intensiv mit dem Projekt auseinandersetzt. Als gefordert wurde, das südliche Planungsgebiet vorrangig für die Hafenwirtschaft vorzuhalten, definierte er als Erster, welche Art von Betrieben damit überhaupt gemeint sein könnte. Nämlich auch Dienstleistungsbetriebe wie seiner, die keinen Lärm und Staub erzeugen. „Vor allem muss man sich erst mal klar machen, welche Betriebe überhaupt einen Bezug zum Wasser brauchen.“
Hollands vorrangiges Ziel ist, den Entwicklungsplan festzusetzen. So lange keine Planungssicherheit besteht, wird sich niemand dort ein Haus kaufen, weil die Gefahr besteht, in wenigen Jahren einen lauten Betrieb als Nachbarn zu bekommen. Umgekehrt wird sich kein Gewerbe dort ansiedeln, das möglicherweise später Restriktionen zu Gunsten der Anwohner einhalten muss.

Nur mit Lärm werden Arbeitsplätze gesichert.
Wolfgang Frank

Frank hat schon entschieden, dass südlich der Weserstraße ein echtes Gewerbegebiet (kein Mischgebiet) entstehen muss – “mit Nachtlärmmöglichkeiten”. Andernorts, in der Kasinostraße, so erfuhren wir später aus anderer Quelle, musste die Stadt schon für mehrere Millionen Wohnhäuser aufkaufen, weil gewerbliche Emissionen dort nicht planerisch abgesichert waren.

Ich hoffe nicht, dass jemand sagt, da sollen Container umgeschlagen werden. Dafür ist die Fläche ungeeignet. Sie für Industrie offen zu halten heißt, die Entwicklung des Verfalls fortzusetzen.
Hr. Holland, Planungsbüro
Fazit

Bislang lassen sich die verschiedenen Vorstellungen im Beirat nicht auf eine realistische gemeinsame Linie bringen. Symptomatisch für Wilhelmshaven: von allem etwas, aber nichts richtig – bildlich gesprochen “die eierlegende Wollmilchsau”, ein Ding der Unmöglichkeit.

Wo bleibt das Soziale? Wer will auf der Abschussliste wohnen?
Brigitte Mittelstädt, Kindergartenleiterin im Quartier

Der von Quartiersmanager Thorsten Stahlhut gewollte “offene Prozess” sollte auch einfachen Bürgern eine Chance zur Mitwirkung bieten. Inzwischen wird er zunehmend von denen dominiert, die sonst auch immer das Sagen haben: Die Hafenwirtschaft und ihr langer Arm im Rathaus. Die Soziale Stadt im Sinne eines lebenswerten, vielfältigen Stadtviertels fällt hinten runter, und die Fördermittel versickern in falschen Kanälen. Die Schere zwischen denen, die sich eins der von Frank beschworenen Eigenheime in „besseren“ Vierteln leisten können, und jenen, die weiter in heruntergekommenen, verlärmten Straßen wohnen müssen, öffnet sich weiter.

Das Planungsgebiet wird nicht vom JadeWeserPort profitieren.
Thorsten Stahlhut, Quartiersmanager

Nichts anderes scheint unsere Kommunalpolitik zu erwarten. Während des laufenden Projekts wird die Ruselerschule geschlossen, in der Erwartung rapide sinkender Einwohnerzahlen im Einzugsgebiet. Wer soll da noch erwarten, dass das Projekt Soziale Stadt – im ursprünglichen Sinne – ernsthaft vorangetrieben wird? n
Die nächste Sitzung des Stadtteilbeirates findet am 11.6. um 19.45 Uhr im Stadtteilbüro, Bahnhof-/ Werftstraße, statt.

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