Soziale Stadt
Apr 292004
 

Es ist einiges LOS hier

Soziale Stadt: Im Fördergebiet laufen zehn Projekte

(noa) LOS heißt „Lokales Kapital für soziale Zwecke“. Geld aus dem Europäischen Sozialfonds steht zur Verfügung für Kleinstvorhaben, mit denen Menschen beteiligt und Strukturen vernetzt werden. Wilhelmshavens Fördergebiet Westliche Südstadt ist mit zehn Mikroprojekten dabei. Insgesamt 100.000 Euro, die nicht kofinanziert werden müssen, fließen auf diesem Wege nach Wilhelmshaven.

Was kann man als Verein, als Unternehmen, als Einzelperson mit 10.000 Euro auf die Beine stellen? Ein Unternehmen könnte mit dieser Summe eine Halbtagskraft für ein paar Monate beschäftigen, doch das wäre schon alles gewesen. Will man etwas Zusätzliches anstoßen, das ohne diese Förderung nicht möglich wäre, das wie gefordert „im weitesten Sinne beschäftigungswirksam sein und den Zusammenhalt … stärken“ soll, wie es vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend festgelegt ist, kommt man ohne ungewöhnliche Ideen und pfiffige Planung nicht weit mit dieser Summe.

Frauen erhalten Hilfe bei der Existenzgründung

Karin Ruckes, Inhaberin der Ruckes GmbH, verwaltet Häuser, einige in der Südstadt. Sie hat bei ihrem Projekt „Aufbau eines Gründerinnennetzwerkes mit Gründungsberatung“ die Unterstützung der städtischen Frauenbeauftragten Jutta Niedersen. Das Vorhaben besteht darin, ein Netzwerk von Existenzgründerinnen zu schaffen. Wenn es gelingt, was sie vorhat, dann wird der Zweck von LOS erfüllt, der u.a. darin besteht, „mehr Beschäftigung von unten“ anzustoßen.
Sie hat einen Investor dafür gewinnen können, ein Mehrfamilienhaus im Fördergebiet zu erwerben, zu renovieren und darin Gewerbefläche entstehen zu lassen. Frauen, die eine Geschäftsidee haben und sich selbstständig machen wollen, können in diesem Haus günstig ein 15 m2-Büro mieten. Alle anderen Räumlichkeiten, die man in einem Betrieb braucht, wie Toilette, Küche usw., teilen sich die Mieterinnen. Einen großen Raum z.B. für einen Yoga-Kursus oder ein Entspannungsseminar benötigt man ja nicht ununterbrochen, den kann eine andere Unternehmerin zu anderen Zeiten für andere Zwecke nutzen.
Frau Ruckes hat sich in Bonn ein ähnliches Projekt angeschaut. Dort teilen sich eine Bürogemeinschaft von Journalistinnen, eine Unternehmensberaterin, eine Mediatorin und andere Freiberuflerinnen ein Gebäude, verfügen über ihre eigenen abgeschlossenen Geschäftsräume und können sich in den gemeinschaftlich genutzten Räumen jederzeit treffen und austauschen. Dieser Austausch ist es, der aus einer Gruppe von Frauen, die im selben Haus arbeiten, ein Netzwerk macht. Frauen brauchen, so bejaht Frau Ruckes unsere Frage, besondere Förderung. In vielen Fällen ist es so, dass sie bald nach Abschuss einer Ausbildung heiraten, Kinder bekommen, lange Jahre Hausfrau und Mutter sind. Wenn dann die Kinder so groß sind, dass Mutter wieder berufstätig werden kann und will, stehen die Chancen auf eine Anstellung – besonders in strukturschwachen Gebieten – denkbar schlecht. Sie haben während der Familienzeit Talente und Fähigkeiten entwickelt, die auch bei einer Betriebsgründung hilfreich sind. Andererseits führen die Jahre der Ausrichtung auf Kinder und Küche aber auch zu einer Unsicherheit, ob es denn wirklich klappen kann.
Hilfreiche Gründungsberatung ist hier, anders als bei Männern, nicht gleichzusetzen mit Protektion, Seilschaften, guten Tipps und Kreditvermittlung, sondern ist in der Hauptsache das Gespräch mit anderen, die in der gleichen Situation sind.
Bei Frau Ruckes verlief der Schritt in die Selbstständigkeit nicht nach dem klassischen Muster; ihr Kind wurde erst geboren, als sie ihren Betrieb schon hatte. Aber auch sie hätte oft gerne die Möglichkeit gehabt, mit anderen Frauen zu sprechen. Dabei ist es nicht notwendig, dass es Frauen aus der gleichen Branche sind. Die Anfangsprobleme bei der Firmengründung sind in allen Bereichen gleich.
Karin Ruckes und Jutta Niedersen bringen ihre Ideen, ihre Zeit und ihr Engagement für dieses Projekt ein, ohne sich einen Stundelohn aus den 10.000 Euro zu bezahlen. Das Geld fließt in die Werbung für das Vorhaben und die Präsentation. Ein junger Unternehmer, der eine Internetseite für das Projekt schreibt, erhält hieraus sein Honorar. Die Präsentation auf der Gründermesse am 16. Mai in der Fachhochschule wird einen weiteren Teil der Summe kosten. „So richtig angefangen haben wir erst kurz vor Ostern mit einer Informationsveranstaltung. Fünf Frauen sind bis jetzt dabei, von denen ich hoffe, dass sie die Möglichkeit des gemeinsamen Hauses nutzen werden.“ Zur Bedingung kann die Projektträgerin das natürlich nicht machen. Die Frauen, mit denen das Projekt im Moment läuft, vertreten schon ein ansehnliches Spektrum an Dienstleistungen: Fußpflege, Entspannungstherapie, Büroarbeiten, EDV und Kosmetik könnten bald im Gründerinnenhaus zu finden sein; ein bisschen was vom Projektgeld wird in Inserate fließen, mit denen weitere Frauen eingeladen werden sollen, auch ihre Geschäftsidee zu verwirklichen und dabei den Austausch und die Zusammenarbeit mit den anderen zu nutzen.

„Der Star bist Du“

Etwas ganz anderes hat sich die Musikinitiative e.V. für ihr Projekt „Ton-Werk-Stadt“ ausgedacht. Es ist ein bisschen schwierig zu beschreiben, weil es in jedem Sinne des Wortes offen ist. „Im Rahmes dieses Projektes soll Jugendlichen die Möglichkeit geboten werden, ihre musikalischen Ideen in die Tat umzusetzen. Es werden Fähigkeiten im Bereich der Veranstaltungstechnik erworben“, so wird es im Infoblatt des Stadtteilbüros „Westliche Südstadt“ beschrieben. Auch in diesem Projekt ging die Arbeit mit der Zielgruppe ziemlich spät, nämlich Ende März, los. Anders als im vorher beschriebenen Projekt kann man allerdings nicht genau sagen, wer daran teilnimmt. Es sind etwa 10 bis 15 Leute im Alter von 12 bis 20 (oder 30?) Jahren, vielleicht aber auch mehr und vielleicht bis in ein wesentlich höheres Alter hinein, weil „vielleicht ein Film gemacht wird, in der eine Migrantenfamilie aus dem Fördergebiet ihre Geschichte erzählt.“
Die Zielgruppe dieses Projekts besteht aus „beregelungsresistenten jungen Leuten“, wie uns André Schulze von der Musikinitiative sagt, und da kann man nicht ganz sicher sein, dass die, die bei der Eröffnung des Banter Marktes am 24. April dabei waren und für den veranstaltungstechnischen Rahmen sorgten, auch noch dabei sein werden, wenn der Film gedreht wird, ob der Film tatsächlich zustande kommt oder etwas ganz anderes. Das macht aber mit Sicherheit gerade den Reiz dieses Vorhabens aus, und diese Unsicherheit ist für den Projektträger wahrscheinlich das einzig Sichere in seiner Arbeit. Über dieses Projekt werden wir im Juli, nach Beendigung des ersten Durchgangs von LOS, noch einmal berichten.

Hoch professionell und im gewohnten Rahmen?

Das Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft hatte dem städtischen Begleitausschuss zehn Ideen für Kleinstvorhaben vorgelegt. „Integration von älteren Arbeitslosen“ ist eines der drei, die ausgewählt wurden. Bewerbungstraining, Betriebserkundungen und Vermittlung von Praktika sind Angebote, die für das BNW zum täglichen Brot gehören. Das Besondere hier ist, dass sie sich speziell an ältere Arbeitlose richten. Für diese Zielgruppe gibt es seit Jahren keine Hilfsangebote, obwohl sie täglich größer wird.
Wenn ein Unternehmen Entlassungen vornehmen muss oder will, dann trennt es sich häufig gern zuerst von den älteren Mitarbeitern, die teurer und vielleicht häufiger krank sind. Damit verzichtet es in kurzsichtiger Weise aber auch auf die besonderen Kompetenzen und Tugenden, die diese Kollegen und Kolleginnen bieten. „Leider“, wie Herr Heidenreich vom Projektträger BNW sagt, denn: Untersuchungen zeigen, dass in Gebieten, in denen die Älteren nicht in Scharen entlassen werden, die Betriebe auch nicht reihenweise eingehen.
Zunächst könnte man denken, dass hier die Kausalität anders herum läuft: In einem wirtschaftlich blühenden Gebiet geht es den Betrieben gut und sie müssen niemanden entlassen. Es stimmt aber auch umgekehrt: Ältere Mitarbeiter, die schon lange dem Betrieb angehören, verkörpern Verlässlichkeit und Seriosität, sorgen für Kundenbindung und damit für Stabilität des Geschäftserfolges.
Die Berufs- und Lebenserfahrung älterer arbeitsfähiger Leute nutzbar zu machen, bevor diese gänzlich resignieren oder sich in ihrer Arbeitslosigkeit notgedrungen häuslich einrichten, ist ein Vorhaben, das, wenn es gelingt, beiden Seiten nützt.
Im Fördergebiet Westliche Südstadt scheinen sich allerdings viele ältere Erwerbslose irgendwie eingerichtet zu haben. Laut Herrn Heidenreich hält der Ansturm auf des Projekt sich in Grenzen. Vier bis fünf Menschen sind es, die dieses Angebot bislang nutzen. Jedoch: Wenn auch nur einer oder eine von ihnen als Ergebnis des Projekts wieder in bezahlte sinnvolle Arbeit kommt, haben sich die 10.000 Euro schon amortisiert.
„Organisationsberatung für Institutionen und Vereine“, ebenfalls vom BNW, hat zum Ziel die „Optimierung von vereininternen Arbeitsprozessen sowie die Verbesserung des betriebswirtschaftlichen Know-hows. … Das Projekt wird von einer erfahrenen Unternehmensberaterin begleitet.“ Unternehmensberatung gehört in der Wirtschaft seit Jahren zum Standard, doch welche „Non-Profit-Organisation“ kann sich so etwas schon leisten? Die Honorare von Unternehmensberatern sind so hoch, dass Herr Heidenreich sie schon gar nicht mehr „Honorar“, sondern „Gage“ nennt. Dabei haben Vereine oft dieselben Probleme wie Wirtschaftsunternehmen: Kommunikationsstörungen sorgen dafür, dass Arbeit doppelt oder gar nicht gemacht wird, mangelnde Kenntnisse in der Kassenführung kosten trotz großen ehrenamtlichen Engagements überflüssigerweise Geld und und und… In diesem Projekt wird unmittelbar an den Problemen gearbeitet: Vertreter mehrerer Vereine treffen sich, berichten von ihrer Arbeit und den dabei unvermeidlich auftauchenden Problemen und lösen sie gemeinsam mit professioneller Hilfe.
Böse Zungen behaupten, mit dem dritten Projekt des BNW würde der Projektträger nur eine schnelle Mark machen. Bei der „Qualifizierung im Bereich Medien- und Öffentlichkeitsarbeit“ geht es nämlich um die „Darstellung und Dokumentation der im Rahmen von LOS durchgeführten Projekte. Presseartikel werden verfasst, eine Website wird erstellt, Kurzfilme werden gedreht, etc.“ Ein Projekt also, das nur durch die anderen Projekte bestehen kann. Aber warum auch nicht? Die anderen Projektträger haben mit ihrem Vorhaben so viel Arbeit, dass sie vielleicht nicht gleichzeitig dazu kommen, ihre Arbeit von Anfang bis Ende zu dokumentieren, und wenn LOS vorbei ist, machen sie wahrscheinlich andere Sachen und schreiben nicht unbedingt auch noch auf, was sie im Rahmen des Projektes alles bewegt, gelernt, erreicht und erfahren haben, und diese Erfahrungen sind anderen nicht mehr zugänglich. Die Teilnehmer an diesem Dokumentationsprojekt erwerben dabei einige Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie zwar nicht mit einem Diplom oder Zertifikat als Berufsausbildung nachweisen können, die ihnen aber in fast jedem beruflichen Feld von Nutzen sein werden.
Das sind jetzt erst fünf der insgesamt zehn Mikroprojekte im Rahmen von „Lokales Kapital für soziale Zwecke“. Im nächsten Gegenwind werden wir über die anderen Vorhaben berichten.

 

Kommentar:

„Geldvernichtungsmaschine“?
Wir hören von einem Kommunalpolitiker, dem wir so etwas eigentlich nicht zugetraut hätten, er halte es für uneffektiv und falsch, für so etwas wie LOS Steuergelder zu verbraten. Und ein Wilhelmshavener Geschäftsmann soll die LOS-Projekte gar als „Geldvernichtungsmaschine“ bezeichnet haben.
Es sei beiden wärmstens versichert: Ihnen wird durch diese Projekte nichts weggenommen! Das Geld für LOS stammt aus dem Europäischen Sozialfonds. Diese 100.000 Euro wären auf einem anderen Wege als diesem nicht nach Wilhelmshaven geflossen.
Und: Diese Projekte wären ohne LOS ziemlich sicher nicht zustande gekommen. Weder hätte Frau Ruckes es sich leisten können, neben ihrer Freizeit auch noch das Geld für „ihr“ Netzwerk aufzubringen, noch hätte das BNW gerade für ältere Arbeitlose oder für Vereine ein Angebot schaffen können, weil dafür niemand Fördergelder ausschüttet.
Selbst wenn das eine oder andere Projekt „in die Hosen“ ginge und gar nichts Bleibendes daraus entstünde, hätte es sich für Wilhelmshaven gelohnt, sich an LOS zu beteiligen. „Wir haben das Recht auf Fehler“, diesen Satz brachte Quartiersmanager Stahlhut aus Berlin, wo die Regiestelle für das Gesamtvorhaben sitzt, mit.
Na, Gott sei dank!

Anette Nowak

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