Sozialarbeit in Wilhelmshaven
Mrz 071994
 

Kampf gegen Windmühlen

Fehlt wirklich nur das Geld?

(ub) Unter dem Motto: „Brauchen wir neue Konzepte in der Sozialarbeit und Familienhilfe?“ hatte die Frauenliste zu einer Veranstaltung geladen. Als Referent erschien der neue Leiter des Sozialdienstes der Stadt Wilhelmshaven, Mertens.

Die Verwaltung der Stadt hat einen hyperaktiven Mitarbeiter. In allen Abteilungen taucht er auf. Der Schwerpunkt seiner Aktivitäten scheint jedoch im Amt für Soziales und Jugend gelagert zu sein. Liest man das amtliche Fernsprechverzeichnis der Stadtverwaltung, so taucht er (oder sie?) in dieser städtischen Abteilung rund ein Dutzend mal auf. Sein Name ist N.N. Aber Scherz beiseite, N.N. steht für nomen nescio – zu deutsch „den Namen weiß ich nicht“. Eine besonders in Wilhelmshaven gängige Bezeichnung dafür, daß eine Personalstelle zur Zeit unbesetzt ist.

Die ,Rotstiftpolitik der Verwaltung ist ein wesentlicher Grund für die Nichtbesetzung von Planstellen. Dafür, daß der Sozialdienst der Stadt Wilhelmshaven über Jahre ohne Abteilungsleiter arbeiten mußte, dürften interne Querelen mitverantwortlich sein. Sei‘ s drum, der neue Leiter ist seit Dezember 93 in Amt und Würden. Man hat sich jemanden von außerhalb geholt. Ob jetzt endlich neue Konzepte in der Sozialarbeit umgesetzt werden können, wollte die Frauenliste wissen, und lud den neuen Leiter Mertens zu einer öffentlichen Veranstaltung in das Theatercafé „Kulisse“ ein.

Daß so jemand aus der Verwaltung gleich zu Beginn seiner Tätigkeit seine Vorstellungen und Ziele öffentlich präsentiert, ist ungewöhnlich in dieser Stadt, wohl auch unheimlich für einige Dienstherren, denn die Genehmigung, daß Mertens als Referent auf einer Parteiveranstaltung auftreten darf, war zunächst verweigert worden. So war dann auch das öffentliche Interesse, besonders von Seiten der in dieser Stadt arbeitenden sozialen Fachkräfte – städtische Bedienstete und MitarbeiterInnen freier Träger – an dieser Veranstaltung groß.

Für einige von ihnen ist Mertens kein Unbekannter. Quasi seit Dienstsantritt „tingelt“ er durch die sozialen Einrichtungen dieser Stadt, um sich vor Ort ein Bild zu machen über die örtlichen sozialen Problemlagen. Mertens hebt auf der Veranstaltung der Frauenliste zwei Problembereiche besonders hervor:

  • Die stationäre Unterbringung von Kindern und Jugendlichen verschlingt enorm hohe Summen. Es fehlen jedoch alternative Betreuungsangebote, wie beispielsweise mobile Betreuung oder betreutes Einzelwohnen.
  • Die Obdachlosigkeit in dieser Stadt nimmt zu. Es fehlen Handlungsmöglichkeiten wohnungslose Menschen adäquat unterzubringen, aber auch und vor allem wirksame Mechanismen, Obdachlosigkeit im Vorfeld zu verhindern.

Daß die finanziellen Möglichkeiten der Stadt Wilhelmshaven äußerst begrenzt sind, muß eigentlich nicht immer wieder aufs neue als Argument für eingegrenzte Spiel räume ins Feld geführt werden. Die Ausgaben im sozialen Bereich machen mit über 100 Millionen DM den zweitgrößten Posten des Wilhelmshavener Haushalts aus. Schwindende Steuereinnahmen sowie die abenteuerliche Sozialpolitik der Bundesregierung verschärfen die Situation.

Und dennoch, die Diskussion auf der Veranstaltung der Frauenliste kreist immer wieder um die Frage, ob nicht auch der politische Wille zur Veränderung fehlt. „Es gibt genügend Ideen und Konzepte in dieser Stadt“ so Mertens, in der Sozialarbeit den Mangel nicht nur zu verwalten. VertreterInnen von den unterschiedlichsten sozialen Trägem zerbrechen sich den Kopf über Verbesserungsmöglichkeiten im psychosozialen Bereich. Mertens zeigt auf, wo Fachkräfte aus freien Trägem und MitarbeiterInnen der Stadt gemeinsam in Arbeitsgemeinschaften wie beispielsweise dem „Arbeitskreis Wohnraum für alle“ und der psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) kreative und phantasievolle Konzepte und Projekte entwickeln, die nicht selten, in monatelanger Kleinarbeit entworfen, letztendlich in Amtsschubladen verstauben.

Konzepte, die auch „unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit“ (Mertens), d.h. auch bei Vorgabe relativer Kostenneutralität die Situation sozial Benachteiligter verbessern könnten. So könnte die vom AK „Wohnraum für alle“ seit langem geforderte „Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit“ nicht nur soziale Not lindern, sondern eben auch Folgekosten, die zwangsläufig bei der Unterbringung von Wohnungslosen entstehen, vermeiden.

DonQuixote

Karikatur: Erwin Fiege

Wo genau diese Projekte, Konzepte und Ideen im Treibsand der Bürokratie versinken, vermag Mertens noch nicht einzuschätzen, er macht jedoch deutlich, dass er nicht gewillt ist, „gegen Windmühlen zu kämpfen“ und sich auf dem langen Marsch durch die Gänge der Verwaltung „verheizen zu lassen.“ (Mertens)

Monika Schwarz von der Frauenliste, eine Insiderin in Sachen Sozialpolitik, glaubt die Ursachen zu kennen und wird deutlicher: „Soziale Ignoranten bestimmen die Politik in Wilhelmshaven. Auch in den wenigen fetten Jahren, in denen die Stadt relativ komfortable Steuereinnahmen vorweisen konnte, hat Jugend- und Sozialarbeit in Wilhelmshaven keine Lobby gehabt. In diesen Jahren wurde versäumt, eine entsprechende soziale Infrastruktur zu schaffen“. Wem es „so dreckig geht“, daß er auf soziale Hilfe angewiesen ist, „hat nach Meinung vieler politischer Vertreter dieser Stadt selbst schuld, er hat seine Chancen nicht genutzt. “ Monika Schwarz: „Diese Stammtischparolen sind in gewissen politischen Kreisen ebenso häufig wie an Biertischen zu hören. „

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