Überfordert
Untragbare Arbeitsbedingungen im kirchlichen Seniorenzentrum
(red) Die Aktion „Neu anfangen“ der Wilhelmshavener Kirchen hat Unsummen verschlungen. Weniger großzügig gehen die Kirchen mit dem Geld um, wenn es um Lohnkosten in ihren Einrichtungen geht, wie der folgende Bericht zeigt.
Im evangelischen Seniorenzentrum in F’groden fehlen Arbeitskräfte an allen Ecken und Kanten. Hatte man zunächst erfolgreich versucht, ehrenamtliche Helfer zu beschäftigen, sind die Pflegekräfte jetzt wieder allein auf sich gestellt. Die Arbeitsbedingungen sind noch ein ganzes Stück schlechter als in städtischen oder AWO-Einrichtungen.
Die Nachtwache ist allein und muß 45 (!) Menschen aus dem Pflegebereich versorgen, trockenlegen, auf den Topf setzen, zur Toilette führen, aufpassen, daß kein(e) Verwirrte(r) das Haus verläßt. Von 45 Bewohnern mußten zum Zeitpunkt unserer Befragung zehn Menschen mindestens zweimal pro Nacht gewickelt werden. In jeder Nacht kommt es mindestens einmal vor, daß ein Bewohner sich so voll macht, daß er unter die Dusche muß und das Zimmer gereinigt werden muß.
Die 20 Leute aus dem Wohnbereich sind ruhig, aber zwei- bis dreimal pro Nacht muß die Nachtwache auch hier helfen. Sie ist also dauernd auf Achse.
Gegen 23.30 Uhr kehrt dann meist Ruhe ein – nach vier Stunden anstrengender Arbeit müssen nun die Medikamente für den Tag gestellt werden. Sämtliche 45 Bewohner aus dem Pflegebereich bekommen Tabletten, und diese verantwortungsvolle Arbeit erfordert Konzentration. Sie wird aber immer wieder unterbrochen durch Rufe nach der Schwester. Reißt jemand aus, muß die Polizei helfen. So dauert es zwei bis drei Stunden, bis alle Medikamente gestellt sind.
Gegen 2.00 Uhr, nach sechseinhalb Stunden Arbeit, kann die Nachtwache die erste Pause machen. Wenn jemand stirbt? Die Nachtwache ist allein, sie kann sich nicht ans Bett des Sterbenden setzen, wie es sich gehörte und wie es auf allen christlichen Seminaren empfohlen wird.
Um 4.15 Uhr geht die Arbeit dann wieder verstärkt los: Die zehn Einnässer müssen wieder trockengelegt werden, die Katheterbeutel werden gewechselt, die Töpfe geleert, die Nachtstühle gesäubert.Um 5.45 Uhr ist eine routinierte Kraft damit fertig. Dann verteilt sie noch eben 15 Zeitungen, und nach zehneinhalb Stunden ist die Nacht gelaufen.In städtischen Einrichtungen gibt es nach sieben solchen Nächten sieben freie Tage. Hier gibt es nur drei Tage frei, und dann beginnt der Tagdienst.
Auch tagsüber ist es knapp mit dem Personal. Der Tagdienst bedient nebenbei die Waschküche und führt Tätigkeiten eines Beschäftigungstherapeuten aus, bastelt und singt mit den Bewohnern und führt Gespräche. Für Krankheitsfälle gibt es keinen Springer, und so kommt es oft vor, daß eine Kraft drei Wochen durcharbeiten muß.
Fürwahr: Es ist eine Zumutung, im Weinberg des Herrn zu arbeiten!
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