Selbsthilfe
Jun 162009
 

Seit etwas über einem Jahr gibt es in Wilhelmshaven die Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen

(noa) „Selbsthilfe“ lautete das Thema der Monatsversammlung der Arbeitsloseninitiative am 12. Mai. Eingeladen war Anke Wellnitz, die vielen Gegenwind-LeserInnen z.B. als Mitarbeiterin der Beratungsstelle RAN und WIWA des Vereins Beratung, Kommunikation und Arbeit – die es leider nicht mehr gibt – bekannt sein dürfte.

Jetzt hat sie, wie sie sagt, ihren ersten „richtigen“, also nicht befristeten Arbeitsplatz, und zwar beim Verein zur Förderung von Gesundheit und Selbsthilfe. Dieser Verein hat seinen Sitz in Wittmund, unterhält aber seit Anfang 2008 eine Kontaktstelle in Wilhelmshaven. Bevor Frau Wellnitz jedoch von ihren Aufgaben dort berichtete, gab es einen Kurzfilm, der besser als ein Vortrag den Sinn und die Arbeitsweise von Selbsthilfegruppen zeigte. Ein Alkoholiker, die Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom und ein Angstkranker berichteten darüber, wie ihr Leben durch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe sich verändert hat. Wer ein schwerbehindertes Kind bekommt oder durch eine Sucht oder Krankheit beeinträchtigt ist, erlebt dies zunächst einmal als großes Unglück, gar als Katastrophe, zweifelt daran, unter diesen neuen Bedingungen das Leben noch bewältigen zu können, ist rat- und hilflos. Die eigenen Ressourcen zur Bewältigung werden meist unterschätzt. In einer Selbsthilfegruppe findet man Kontakt zu anderen Menschen, die ein ähnliches Schicksal erleben, Menschen, die das Problem kennen, die sich einfühlen können, weil sie gleich betroffen sind. Man findet Verständnis und die Möglichkeit, sich auszusprechen und Erfahrungen mitzuteilen, die andere, nicht betroffene Menschen im allgemeinen nicht nachvollziehen können. Alle Erfahrungen zeigen: Die Lebensqualität erhöht sich, die Krankheitsintensität bzw. der Leidensdruck nimmt ab, und der Umgang mit der Krankheit bzw. der schwierigen Lebenssituation wird angemessener. Das alles klappt aber nur unter der Bedingung, dass die Teilnahme an einer solchen Gruppe freiwillig erfolgt. Jemanden, der nicht dazu bereit ist, zur Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe zu nötigen, wird eher gegenteilige Wirkungen zeitigen. Freiwilligkeit ist daher ebenso ein Kriterium für eine Selbsthilfegruppe wie die Beschränkung auf Betroffene oder Angehörige (je nach Gruppe). Und dann ist es ganz einfach: Es gibt ein Gründungstreffen und eine Bekanntmachung darüber, und die Selbsthilfegruppe besteht und trifft sich regelmäßig. Da Menschen, die von einem Schicksalsschlag oder einer Krankheit getroffen werden, oft nicht die Kraft und den Mut aufbringen, eine Gruppe ins Leben zu rufen, ist es gut, dass es eine Kontaktstelle gibt. Anke Wellnitz kann bei der Gründung einer Gruppe helfen und hat auch schon, seit die Stelle besteht, bei einigen „Geburtshilfe“ geleistet, sprich: Sie hat etwa zehn Gruppen mit gegründet.

Am 4. September findet im Gorch-Fock-Haus ein Selbsthilfetag statt. Er steht unter der Frage: „Wie verantwortlich geht der Staat mit Selbsthilfe um?“

Auch wenn jemand es selber schaffen kann und Leute für eine Gruppe findet, ist es sinnvoll, Frau Wellnitz zu kontaktieren und in Anspruch zu nehmen. Sie kann nämlich dabei helfen, Zuschüsse zu bekommen. Zwar darf eine Selbsthilfegruppe niemanden hauptamtlich beschäftigen, also keinen Arbeitsplatz einrichten (wenn sie so weit kommt, ist es keine Selbsthilfegruppe mehr, sondern eine Beratungsstelle), aber einige Ausgaben hat sie doch: für Porto etwa oder für ein Honorar, wenn sie mal einen Profi einlädt. Woher kommt das Geld für diese Zuschüsse? „Ein gut informierter Patient spart Geld und Zeit. So sehen es auch die Krankenkassen“, erklärte Anke Wellnitz. Deshalb halten die gesetzlichen Krankenkassen 0,24 ct pro Mitglied für die Selbsthilfe vor. Die kritische Frage von Günther Kraemmer, ob staatliche Stellen sich auf die Selbsthilfe verlassen und dadurch Geld sparen, muss wohl bejaht werden. Doch das ist gewiss kein Grund, gegen diese Form der Krankheitsbewältigung zu sein – wenn man sich besser fühlt und besser mit dem Leben klarkommt, ist das allemal mehr wert, als dem Staat Kosten zu verursachen, sich aber schlecht zu fühlen. Seit der Einrichtung der Kontaktstelle ist Wilhelmshaven kein weißer Fleck auf der Landkarte mehr. Doch es gibt noch viel zu tun. Zurzeit gibt es 44 Selbsthilfegruppen in Wilhelmshaven (s.u.), aber ein Blick aufs Umland legt nahe, dass da noch viel fehlt: Im Kreis Friesland gibt es 120, in Oldenburg gar 360.

Folgende Selbsthilfegruppen gibt es momentan in Wilhelmshaven: Alleinerziehende, Alzheimer, Angst- und Panikstörung/Depression, behinderte und retardierte Kinder, chronische Schmerzen, Diabetes, Down-Syndrom, Fibromyalgie, Hirn-Aneurisma, Homosexualität, Hypophyse/Nebenniere, Kehlkopf, Kontinenz, Krebs-Frauenselbsthilfe, Krebs allgemein, Blasenkrebs, Darmkrebs, Prostatakrebs, Vulvakrebs, Krebs bei Kindern, Lungenephysem, Lupus Erythematodes, Multiple Sklerose, Nieren/Dialyse/Transplantation, Osteoporose, Parkinson, Restless Legs Syndrom, Rheuma, Schlafapnoe, Spielsucht, Tinnitus, Trauer – frühverwaiste Eltern, Trauer – Verlust eines Kindes, Trauer – Verlust des Partners. Wem ein Thema fehlt oder wer Kontakt zu einer der bestehenden Gruppen wünscht, sollte sich an Anke Wellnitz von der Kontaktstelle wenden, die sich als Anlaufstelle sieht, vermittelt, koordiniert und vernetzt, Gründungshilfe geben kann und Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit leistet. Die Kontaktstelle ist bei der AOK zu finden (solange deren Umbau dauert, in deren Ausweichquartier in der Stadthalle) und ist montags und dienstags von 9 bis 13 Uhr und donnerstags von 15 bis 18 Uhr geöffnet und per Telefon unter 29274777 zu erreichen.

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