Schlüsselblume
Aug 221995
 

Verwelkt die Schlüsselblume?

Beratungsstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs in Gefahr

(ef/noa) Die Vereine tragen Namen wie Wildwasser, Schattenriß, Wendekreis oder Gänseblümchen oder – wie hier in Wilhelmshaven – Schlüsselblume. Und viel zu wenige wissen, was sich hinter diesen so harmlos und brav klingenden Namen verbirgt.

Diese Vereine haben es sich zur Aufgabe gemacht, als Beratungs-, Kontakt- und Informationsstellen gegen sexuelle Gewalt an Mädchen, Jungen und Frauen zu dienen. Ob die sexuelle Gewalt zunimmt, wie man aufgrund der Berichterstattung in den Medien vermuten mag, oder ob lediglich ein Tabu gebrochen ist und Betroffene heute eher als noch vor wenigen Jahren über erlittenen Mißbrauch zu sprechen wagen und Hilfe bei der Bewältigung suchen, ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls wenden sich außer Kindern und Müttern auch zahlreiche Frauen, die in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erfahren haben, an die Schlüsselblume.

64 Meldungen gingen im vergangenen Jahr bei der Beratungsstelle ein; daraus ergaben sich 94 persönliche und 65 telefonische Beratungsgespräche. Außerdem koordinierten die Mitarbeiterinnen der Schlüsselblume drei Selbsthilfegruppen für Frauen.

Neben der Beratung von Kindern und Erwachsenen, die schon Opfer sexueller Gewalt geworden sind, ist die Prävention ein weiterer Arbeitsschwerpunkt. Die Mitarbeiterinnen der Schlüsselblume führten zu diesem Zweck Elternabende und Informationsveranstaltungen an Schulen und Kindergärten, Unterrichtsstunden in Grundschulklassen und Fortbildungsveranstaltungen durch.

Bei jedem Beratungsgespräch und jeder Veranstaltung kommt der parteiliche Ansatz der Schlüsselblume zum Tragen. „Wir arbeiten opferzentriert“, betonen die Vorstandsmitglieder Schmidt und Niemann-Fuhlbohm, mit denen wir sprachen. In der Konzeption des Vereins heißt es: „Der Verein will zur Beendigung von sexueller Gewalt in jeder Form beitragen und tritt für das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit ein. Der Schutz der Kinder ist zentral. (. .. ) Parteilichkeit für die betroffenen Kinder, Frauen und die Mütter der Kinder, die sexuelle Gewalt erfahren haben, heißt, daß ihre Probleme, Interessen und Bedürfnisse im Mittelpunkt der Arbeit stehen… “

Hierin unterscheidet sich die Arbeit der Schlüsselblume von der des Kinder- und Jugendzentrums, das als familientherapeutische Institution u.U. eben auch mit Tätern und Opfern gleichzeitig arbeitet. Dabei sieht sich der Verein nicht in Konkurrenz zum KJZ, sondern als notwendige Ergänzung. Zur Schlüsselblume kommen Betroffene, die nicht (oder noch nicht) mit dem Täter zusammen eine Therapie machen wollen.

Diese wichtige Arbeit ist nun jedoch in Gefahr. Gegründet im August 1990 aufgrund einer Initiative von „terre des hommes“ Deutschland hat der Verein Schlüsselblume e.V. jetzt etwa 70 Mitglieder. Deren Beiträge reichen aber bei weitem nicht aus, um die Miete für die zwei kleinen Räume bei der Diakonie (150 DM monatlich), die Honorare für die drei Mitarbeiterinnen und die Sachkosten wie Büromittel, Porto und Telefon zu zahlen. 52.500 DM, so sagte uns Kassenwart Wolfgang Niemann-Fuhlbohm, gab die Schlüsselblume 1994 aus, und die Ausgaben für 1995 werden wohl kaum geringer sein.

Zwar unterstützte das Land den Verein bislang mit jährlich 17.000 DM, doch ob diese Mittel künftig noch in der bisherigen Höhe fließen werden, ist bei der Finanzlage Niedersachsens keineswegs sicher. Zudem werden diese Gelder immer erst im Herbst des laufenden Jahres zugeteilt, und so muß der Verein vorfinanzieren. Auch die vom Amtsgericht dem Verein zugesprochenen Bußgelder werden weniger, und die allgemeine Spendenfreudigkeit nimmt ab.

So entschloß sich die Schlüsselblume vor einiger Zeit, eine Spendenaktion zu starten. Ärzte und Ärztinnen, so meinte der Vorstand, seien gewiß die richtigen AnsprechpartnerInnen, werden sie doch mit den Folgen und Auswirkungen sexueller Gewalt an Kindern ständig konfrontiert und wissen, was das bedeutet. Also schrieb man über 100 Ärzte und Ärztinnen an. „Es waren richtige Bettelbriefe“, so Edeltraud Schmidt, die neue Vorsitzende. Kaum zu fassen, daß diese Bitte ohne jegliche Resonanz blieb. Es gab nicht eine einzige Antwort, geschweige denn eine Spende.

Deshalb begrüßte es der Vorstand der Schlüsselblume umso mehr, daß die „Duke’s mad company“ aus den Überschüssen ihrer Aufführungen 2.000 DM in die leere Vereinskasse fließen ließ. Doch auch damit ließ sich das Loch nicht stopfen, denn noch immer fehlen die 5.000 DM, die die Stadt Wilhelmshaven bisher jährlich als freiwillige Leistung dem Verein zukommen ließ.

Wenn diese 5.000 DM fehlen, so wird der Verein seine Leistungen nicht mehr im bisherigen Umfang erbringen können. Eine Verringerung der Stundenzahl der im Honorarverhältnis tätigen Mitarbeiterinnen bedeutet entweder, daß die Betreuung und Beratung der Opfer nicht mehr im bisherigen Maß gewährleistet ist, oder, daß die Aktivitäten zur Prävention eingeschränkt werden müssen. An eine eventuelle Auflösung des Vereins mag der Vorstand gar nicht denken. Man hofft, daß der Rat in irgendeinem Eckchen doch noch etwas Bares findet.

„Sexueller Missbrauch hat nichts mit einer liebevollen und zärtlichen Beziehung gemein. Ausdrücklich geht es um eine Instrumentalisierung des Kindes für die Befriedigung des Bedürfnisses des Erwachsenen, der sich seine unter allen Umständen gegebene Überlegenheit und Macht zunutze macht…
Mißbrauchende sexuelle Handlungen beginnen, wenn eine Person das Vertrauen, die Abhängigkeit und die Unwissenheit des Kindes benutzt, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“

(Ursula Enders, Düsseldorf 1989)

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