Sachzwang & Gemüt
Okt 012002
 

Böser denn je

Das neue Buch von Ebermann & Trampert ist erschienen / Autorenlesung am 11.10. in Wilhelmshaven

(iz) Wie soll man ein Buch rezensieren, das man am liebsten gleich allen Freunden und Bekannten vorlesen möchte? Erstens ist man dann schon befangen, zweitens weiß man nicht, wo anfangen und wo aufhören mit dem Zitieren. Am besten können das die Autoren selbst – z. B. am 11. Oktober in der „Perspektive“

„Sachzwang & Gemüt“, so der Titel, das sind auf 300 Seiten sarkastische und analytische Texte „über die Republik, die Welt und unsere Nachbarn.“ Wer die Autoren kennt und sich den Titel auf der Zunge zergehen lässt, weiß schon ungefähr, worum es geht – und wie es geht: Zitate und O-Töne aus den Medien werden in einen neuen Rahmentext verpackt, der sie in einem neuen und aus linker Sicht richtigen Licht erscheinen lässt. Das Ergebnis ist einfach urkomisch, auch wenn die eigentliche Thematik (z. B. der Brechmitteleinsatz bei als Drogendealern verdächtigen Personen in Hamburg) bitter ernst ist. Dieses stilistische Mittel macht die Lesungen mit verteilten Rollen für O-Ton und Rahmentext zu einer Herausforderung für die politische Wahrnehmung wie die Lachmuskeln.
Durch die Vielfalt der Quellen und die Treffsicherheit der Zitate gewinnt man den Eindruck, die beiden würden sich unentwegt durch etliche deutsche Tageszeitungen, Zeitschriften und Fernsehprogramme arbeiten. Tatsächlich sind sie, wie Thomas Ebermann dem GEGENWIND erzählte, „Stoßarbeiter“. Sie haben ein Gefühl dafür, welches Thema sich zu einer Realsatire entwickeln kann und sammeln dann gezielt dafür, um den Text dann in einem Rutsch niederzuschreiben. Das zeigt anderseits, wie beliebig die Lektüre unserer gleichgeschalteten Medien ist, um den dort verbreiteten Schwachsinn analysieren zu können.
Manchmal reicht ein einziger Artikel, zum Beispiel aus der „Wirtschaftswoche“, als Quelle für Klassiker wie Rainer Tramperts „Furtwangen“ (über Deutschlands einzige Stadt, “wo das Arbeitsamt einen Balkon hat“ – und wo bundesweit die höchste Selbstmordrate zu verzeichnen ist). Für seinen Artikel über die Fußballweltmeisterschaft hat er wiederum täglich die Bildzeitung studiert. Die beiden haben sich wahrhaftig nichts erspart: Für „Volkstrauer um H.“ hat Ebermann gleich zwei Biografien über Hannelore Kohl gelesen – und dazu natürlich kritische „Sekundärliteratur“ über das Dritte Reich, in der leider auch Hannelores Familie und Freunde eine bedeutende, aber nicht gerade positive Rolle spielen. LeserInnen der Regenbogenpresse würden sich einen Strick nehmen, bekämen sie Ebermanns Zusammenschau zu lesen (es sei den, sie mochten Josef Mengele). Der Fall wird wohl nicht eintreten. Um „Sachzwang und Gemüt“ zu lesen und vor allem zu verstehen, muss man schon linksintellektuell vorgeprägt sein bzw. zumindest dem medialen und politischen Mainstream der Republik kritisch gegenüberstehen.
In diesem Sinne haben die Autoren eine Gratwanderung gewagt: Auf etwa 200 Seiten Satire folgen 100 Seiten theoretisch-analytische Texte. Immer noch leichter lesbar als in vergleichbaren Publikationen, aber gegenüber dem ersten Teil schwere Kost. Wer sich erst durch diese Theorie durcharbeitet, um die Satire darauf zu verstehen, ist hart im Nehmen.
Unterm Strich ist Sachzwang und Gemüt das Buch, auf das der kritische Teil der Deutschen gewartet hat. Die meisten Texte sind neu und aktuell bis etwa Juli 2002. Dabei wird man, wenn man nach bestimmten Ereignissen sucht, im besten Sinne überrascht; so hält Trampert in „Die Tempelwächter“ eine unnachahmlich kompakte und in dieser Form bisher fehlende Rückschau auf die Folgen des 11.9.2002. Daneben wurden einige Beiträge aus 1998/99 aufgenommen, die schon Inhalt der letzten Lesereise waren, die man aber immer wieder lesen und hören möchte.


Rainer Trampert / Thomas Ebermann: Sachzwang & Gemüt. EUR 19.90. ISBN 3-89458-213-8
Sachzwang und Gemüt. Lesung mit Thomas Ebermann und Rainer Trampert am Freitag, 11. Oktober 2002, um 20 Uhr in der „Perspektive“, Wilhelmshaven, Schellingstr. 21, Tel. 04421-301397.


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