Revue passiert
Betrachtung der neuen Herzog-Produktion zum Stadtjubiläum
(iz) Mit gemischten Gefühlen begab sich die Kulturredaktion in die Stadthalle, um die anläßlich des 125. Geburtstages der Stadt produzierte Wilhelmshaven-Revue des Hobby-Autors und Regisseurs Hartmut Herzog zu konsumieren. Mußte sie sich doch vorab von einem Mitspieler beschimpfen lassen, der den GEGENWIND als „Revoluzzerzeitung“ beschimpfte (oder ist das als Lob aufzufassen?) und sich weigerte, das im Rahmen professioneller Kulturarbeit sonst übliche Presseexemplar des Programmheftes herauszugeben.
Den von besagtem Mitspieler von vom herein unterstellten Verriß gibt das Stück nicht her. Verschiedene Aspekte, wie der gesellschaftliche, politische und soziale Ansatz des Produzenten, schauspielerische und dramaturgische Leistungen sind sehr differenziert zu betrachten.
Zunächst Dank an Herrn Herzog (der mit dem ungeschickten Alleingang seines Mitarbeiters nichts zu tun hat – schließlich haben wir über Herzog auch Pressekarten erhalten), daß er vor Aufführungsbeginn eine Sammlung zugunsten des geplanten Revolutionsdenkmals im Foyer genehmigte. Dies spricht für seinen durchaus kritischen Ansatz – wurde so doch der Bezug zwischen der Szene zum Matrosenaufstand und der Gegenwart hergestellt.
Positiv Herzogs Versuch, mit einem Mordsaufgebot von Darstellern – überwiegend Laien – den Spaß am Theaterspielen wecken und unterstützen zu wollen und damit die hemmende Ehrfurcht vor den Profis zu überwinden. Herzog: „Da sind Leute bei, die sich zum ersten Mal im Leben mit einem Text beschäftigen.“ Dies wurde durch zahlreiche Versprecher deutlich. Einer Darstellerin entrutschte daraufhin ein selbstkritisches „Schei … “ durchs Mikro, die Situation wurde jedoch durch stürmischen Applaus des Publikums aufgefangen, und schon war die Verbindung zwischen Darstellern und Zuschauern hergestellt – die Angst vor der eigenen Kreativität ist überwindbar.
Auch der kombinierte Einsatz verschiedenster Medien -Musik, Dias, Video-, eigentlich eine Notlösung zur Ersparnis kostspieliger Bühnenbilder, verlieh der Inszenierung stellenweise den besonderen Pfiff. So eingangs, als das Eintreffen des Kaisers erwartet wird. Die Spannung der Menge wird durch eine Live-Berichterstatterin noch lebendiger, authentische Dias ergänzen sich mit aktuellen Videoaufnahmen der Wilhelmshavener Bahnsteige – Geschichte wird lebendig und der Bezug zur Gegenwart hergestellt. Gleichzeitig kommt beim Betrachter Betroffenheit auf, daß dieses historische und aktuell genutzte und damit lebendige Stück (Wilhelminischer) Architektur mit seiner eigentümlich- schönen Tristesse abgerissen wird, während ein teures, totes Stück Bronze, eine Kaiserstatue, zukünftig diese Zeit repräsentieren soll.
Einsam und leise hingegen, aber umso eindrucksvoller, die Monologe der Werftarbeiter, welche die schwimmenden Massengräber des ersten Weltkrieges abwracken sollen und dabei grausige Funde machen.
Insgesamt ist die geschichtliche Aufarbeitung im Stück nicht grundsätzlich falsch und hat wohl im Vorfeld einen akribischen Fleiß erfordert, der sich dem konsumgeneigten Publikum nicht unbedingt eröffnet. An anderer Stelle bricht die Historie jedoch frühzeitig ab oder wird auf eine Ebene verlagert, die nicht mehr WHV-spezifisch ist.
So endet die Szene zum Matrosenaufstand mit der Rede des Aufstandsführers Kuhnt – es fehlt die nachfolgende Zerschlagung des Aufstands bzw. der Räterepublik, die historisch wie lokal durchaus bemerkenswert war. Die hierfür erforderliche Spielzeit hätte man der nachfolgenden, umfangreichen Zeitzeugendarstellung der entsetzlichen wirtschaftlichen Situation der zwanziger Jahre abknapsen können (hier sollten wohl viele Laien-darstellerInnen mal ihr Monologtalent unter Beweis stellen dürfen), die ebenso wie die Zeit des Dritten Reiches den lokalen Bezug vermissen ließ.
Mehr Schwung gab dann der Aufschwung nach dem zweiten Weltkrieg in der zweiten Spielhälfte. Zu ausführlich, später, der Kampf um das Olympia-Werk, der ja nun schon eigens und ziemlich gut in einer Inszenierung der Belegschaft aufgearbeitet worden ist. Ein nettes, wenn auch zu langgezogenes Bonbon war die „Hommage“ an die Ära Eickmeier, dem gleich drei Songs gewidmet waren, begnadet interpretiert (leider in super-extended versions) durch Katja Kluge, die wie die anderen Gesangssolisten das künstlerische Niveau beträchtlich nach oben schob.
Gegen Ende wurde es sehr schwierig, zu einer ausgewogenen (künstlerischen wie inhaltlichen) Bewertung zu gelangen. Die Multi-Media-Show einschließlich Ballett und Gymnastik stand im Gegensatz zu vorangehenden, teilweise dünneren Passagen und erschwerte eher die Konzentration, als dass sie den Gesamteindruck verdichtete. Die Verdeutlichung des Desasters dieser Stadt – Arbeitslose und Konkurse – wurde durch den abschließenden Versuch des „think positive!“ irrational entschärft. Die Konstruktion eines „Wir-Gefühls“ als solches ist nicht verkehrt. Es kam jedoch nicht rüber, daß wir BürgerInnen dieser Stadt uns – aufgrund der historischen Erfahrungen – nicht mehr verheizen lassen sollten, sondern eher: Wir haben Beta und ICI, und Schreiber macht das schon. Hier kam wohl auch zum Tragen, dass die Kosten solch einer ehrenamtlichen·(und damit prinzipiell von kommunalpolitischen Interessen unabhängigen) Produktion von immerhin 50.000 DM aufgebracht sein wollen. Hierzu wurden die genannten Großbetriebe herangezogen, die das Dilemma der eigentlich strukturbildenden und konkursgefährdeten Betriebe dieser Stadt nicht widerspiegeln, und der im Rahmen des Sponsorings erforderliche Dank an diese Industriebetriebe wurde im Stück wie im Programmheft peinlich breit getreten.
Der eher beschwichtigende Abschlußsong „Ich hab den Traum und halt ihn fest, von einer Stadt, in der sich leben läßt“ würgt das durchaus im Stück entstehende Gefühl, dass jede/r einzelne hierzu beitragen sollte, leider ab. Mit diesem „Wird schon alles werden“-Lied im Kopf verläßt der/die ZuschauerIn den Saal. Wir hätten ihn gern vor der Zugaben-Wiederholung desselben Lieds verlassen – allein, da standen an jedem Ausgang Tänzerinnen, die uns mit ihren bunt-geschwenkten Gymnastikbändern gnadenlos eingefangen und festgehalten hätten.
Da blieb beim Rausgehen nur ein kurzer Blickkontakt mit „Eicki“, der höchstselbst anwesend war und die Provokationen auch ausgesessen hatte – und uns am Ende ein gewinnendes (?!) Lächeln schenkte – wie der satanische, scheinbar der Teufelsaustreibung erlegene Hauptdarsteller in dem Film „Das Omen“.
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