René Morgenstern
Nov 011997
 

 

Zum Gedenken an

René Morgenstern

*8. Oktober 1914 27. September 1997

Nicht nur bei den Wilhelmshavener Linken, Friedensbewegten und Antifaschisten war er bekannt wie ein bunter Hund. In den 60er Jahren war sein kleiner Buchladen in der Gökerstraße Informations- und Kommunikationszentrum für Schüler, Studenten und Lehrlinge. René war ein Anarchist – eine Symbolfigur des Querdenkertums.

Gut zwei Dutzend seiner Freunde und Bekannten trafen sich am 3. Oktober im „KlingKlang“ zum Gedenken an René Morgenstern – was als bürgerliche Kaffeetafel begann und – so sein Wegbegleiter und Hausarzt – „ganz in Renés Sinne“ zu Bier und Schluck übergehen sollte. Eine schöne Feier war’s.

Sein Leben war nicht nur Spaß. Ein Aufenthalt im KZ verfolgte ihn Jahrzehnte mit Körperzucken und nächtlichen Schreikrämpfen. Mehr über seine Vergangenheit wissen auch seine engsten Freunde nicht. Er hat sein Leben zum Spaß erklärt. Seine ernsthafte und tiefsinnige Auseinandersetzung mit Geschichte und Gesellschaft hat er mit pfiffigen, anarchistischen und provokativen Aktionen gegen alles Reaktionäre umgesetzt.

Bekannt war er den meisten als Künstler mit Hang zum Understatement. Von Beginn an hat er die „documenta“ begleitet. Er zeichnet verantwortlich für die Wandmalereien am Bunker Virchowstraße und bei anderen Friedensaktionen – bundesweit. Wurden Transparente für Demos gebraucht: René arbeitete zuverlässig – und lehnte Entgelte für seine Arbeit meist ab.

Renés Leben war von Armut – besser: Konsumverzicht geprägt. Äußeres Markenzeichen waren die Kordhose und zwei weiße Pullover – einer am Leib, einer in der Wäsche. Mit 75 Jahren beanspruchte er erstmalig Sozialhilfe; zum Schluß bewohnte er ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft.

Seine Gedenkfeier war keine Heiligsprechung. Nicht nur das Establishment hat er provoziert – auch gegenüber den besten Freunden war er äußerst streitbar. Er hatte nichts über für „Bürgersöhne, die rot geworden waren“ – doch er sprach und arrangierte sich letztlich mit ihnen.

Geradezu sprichwörtlich war seine ausgeprägte Zuneigung zum weiblichen Geschlecht; schon lange vor 1968 propagierte er die freie Liebe und konnte Frauen mit seinen penetranten Verbalattacken („wollen wir erst reden, oder gehen wir gleich ins Bett?“) auf die Nerven gehen.

Doch bei alledem war der „geborene Bürgerschreck“ („das wäre ja schrecklich, wenn man mich leiden mögen würde“) der wohltuende Stein des Anstoßes in der trägen Wohlstandsgesellschaft und der etablierten Linken.

René Morgenstern ist nach kurzem Krankenhausaufenthalt an den Folgen eines Hirnschlags gestorben. Eigentlich wollte er „weit über 90 werden“, hat sich gewehrt bis zum Schluß gegen Medikamente und Kanülen, hat darunter gelitten, im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett gefesselt zu sein.

Seine listigen Aktionen richteten sich oft gegen die Herrschenden im Rathaus – als Querdenker für eine bessere, friedvolle Gesellschaft hätte er ein städtisches Andenken verdient. Doch das einzige, was ihm diese Stadt zugedachte, war ein städtisches Armengrab. Um ein würdeloses Einkuhlen zu verhindern, wollten Freunde ihn auf seinem letzten Weg begleiten und hinterließen beim Ordnungsamt Telefonnummern und die ausdrückliche Bitte, über den Zeitpunkt des Begräbnisses informiert zu werden. Dieses wurde zugesagt. Auf mehrfache Nachfragen wurde immer wieder mitgeteilt, man wüßte noch nicht, wann es soweit sei. Schließlich war zu erfahren, er sei zwei Tage vorher auf dem Friedhof Aldenburg verscharrt worden. Postwendend klingelte ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes bei Renés Wohngemeinschaft, um aus dem Nachlaß die Unkosten der städtischen Auslagen zu decken.

Abgesehen davon, daß außer einigen Zeichnungen kein Nachlaß existiert, sollte dieses unwürdige und ignorante Verwaltungsgebahren ein Nachspiel haben. Auch wenn René selbst vielleicht darüber gelacht hätte, daß sogar sein Tod noch das staatliche Establishment provoziert.

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