Re4ichelt
Nov 302005
 

„Stimmt alles gar nicht!“

Alles toll bei Reichelt Elektronik? – Beschäftigte halten dagegen

(noa) Die letzte Oktoberwoche war Reichelt-Woche bei der „WZ“: Am 24.10. füllte ein Interview mit Angelika Reichelt fast die ganze Service-Seite. Anlass war ihr Landessieg beim Wettbewerb „Mutmacher der Nation“. Am 28.10. wurde berichtet, dass sie bundesweit Platz 2 unter den Mutmachern erreicht hat, und in einem weiteren Artikel, dass die Frauen-Union ein „positives Betriebsklima“ bei Reichelt Elektronik feststellt. Am 29.10. schließlich sahen wir Frau Reichelt noch mit ihrem Bundespreis.

Mit dem Betriebsklima ist das so eine Sache. Als Außenstehender kann man bei einer Betriebsbesichtigung eigentlich nicht so richtig merken, ob in einem Betrieb das Klima gut oder schlecht ist. Und zudem erleben unterschiedliche Beschäftigte die Stimmung in einem Betrieb durchaus sehr unterschiedlich.
Bei ver.di hat man „geschluckt“, als man die Artikel las. Die für Handelsunternehmen zuständige Gewerkschaft bekommt immer wieder ein ganz anderes Bild vom Arbeitsklima bei dem Sander Betrieb. Und: „Wir haben schon mehrere Anläufe gemacht, dort einen Betriebsrat zu installieren, aber das wurde immer im Keim erstickt.“
Vor Jahren, als es ver.di noch nicht gab und Reichelt Elektronik noch ein kleiner Betrieb in Wilhelmshavens Markstraße West war, suchte Konrad Sieg, damals Gewerkschaftssekretär bei der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), Angelika Reichelt auf, um auf Wunsch von dort beschäftigten DAG-Mitgliedern eine Betriebsratswahl anzustoßen, doch er flog schnell wieder raus. „Einen Betriebsrat wollen wir hier nicht“, sagte ihm die Chefin. Seither haben schon mehrere Male in der ver.di organisierte Reichelt-Mitarbeiter Anläufe unternommen, eine Betriebsratswahl durchzuführen; einmal gab es sogar schon einen Wahlvorstand. Im letzten Augenblick schreckten diese Kollegen und Kolleginnen aber immer wieder davor zurück, wirklich zur Tat zu schreiten, trauten sich nicht einmal, sich als Gewerkschaftsmitglieder zu outen, weil sie großen Ärger befürchteten. Diese Mitarbeiter sind mittlerweile nicht mehr dort beschäftigt; ihren „Ärger“ in Form von Arbeitsplatzverlust hatten sie also auch so.
Einige Menschen, die bei Reichelt Elektronik arbeiten oder gearbeitet haben, wandten sich Ende Oktober/Anfang November auch an den Gegenwind. Sie haben, so sagen sie, nicht nur „geschluckt“, sondern geradezu „gewürgt“, als sie die Reichelt-Serie in der „WZ“ lasen. „Positives Betriebsklima? Ganz im Gegenteil!“, das und vieles andere erzählten sie uns.
“Es herrscht ein Rede- und Lachverbot”, berichtet uns eine Mitarbeiterin. Nein, im Arbeitsvertrag stehe das natürlich nicht, erzählt sie uns weiter, aber wenn man mal im Vorbeigehen mit einer Kollegin ein Wort wechsele, stehe sofort die die ihnen übergeordnete Bereichsleiterin da, die für die Aufteilung des Personals auf die verschiedenen Stationen zuständig ist und ihre Arbeit überwacht. Vor allem, so die Klagen über diese Bereichsleiterin, sei sie diejenige, die ihrer Chefin vorschlägt, wessen Vertrag verlängert werden soll und wessen nicht – bei Reichelt Elektronik fängt man immer erst mit einem befristeten Vertrag mit einer Laufzeit von einem Jahr bei einer Probezeit von einem halben Jahr an – und in deren Hand es liegt, denen, die keine Verlängerung bekommen sollen, Fehler nachzuweisen. Und dabei, so sagen vor allem Ehemalige, gehe sie vollkommen willkürlich vor. Vorschläge zur Verbesserung des Arbeitsablaufs oder Anregungen zu Arbeitserleichterungen werden, so unsere Informanten, von ihr “abgebügelt” und nicht weitergereicht, stattdessen verbiete sie einem den Mund.
Wenn solche Sachen in einem Betrieb wirklich vorkommen, dann wäre es natürlich gut, es gäbe einen Betriebsrat. Und den gibt es bei Reichelt Elektronik auch heute, bei mittlerweile etwa 220 Beschäftigten, nicht.
Frau Reichelt zeigte sich im Gespräch mit dem Gegenwind zutiefst verletzt über diese und weitere Vorwürfe. „Das ist Rufmord“, sagt sie wörtlich. Die betreffenden MitarbeiterInnen seien wahrscheinlich solche, die oft der Arbeit fern bleiben und viele Fehler machen. Und bestimmt seien es nur ganz wenige. „Gute Menschen lernen von den schlechten mehr als schlechte von den guten“, zitiert sie den Kalenderspruch des Tages, an dem wir den Kontakt zu ihr aufnahmen, und „Wenn man zum Schaffen unfähig ist, sucht man im Zerstören den Machtrausch“ den des folgenden Tages. Und im persönlichen Gespräch mit der Gegenwind-Redakteurin macht sie den Eindruck einer Chefin, die sich fast wie eine Mutter um ihre MitarbeiterInnen kümmert und das Beste für alle will.
Auf die Frage nach dem Redeverbot antwortet Frau Reichelt prompt, dass es natürlich kein Rede- und Lachverbot gebe; zu dem beklagten Verbot, am Arbeitsplatz zu trinken, fragt sie, ob die Kassiererinnen bei Karstadt an der Kasse trinken dürfen. Bei ihrer Führung durch den Betrieb, die sie der Gegenwindlerin anbietet, zeigt sie ihr an einer Station die Molle mit einigen Halbliter-Plastikflaschen Wasser, die die Beschäftigten der Station dort lagern und aus denen sie zwischendurch einen Schluck nehmen.
Strahlend erzählt sie von der Weihnachtsfeier, die am Abend stattfinden soll und auf der die anwesenden Kollegen je einen kleinen Goldbarren (in stundenlanger Arbeit alle einzeln verpackt) bekommen werden – gekauft von den 10.000 Euro für den 2. Platz beim Mutmacher-Wettbewerb. Die Unzufriedenen, so nimmt sie an, werden wohl zur Weihnachtsfeier gar nicht kommen, weil sie glauben, sie damit „strafen“ zu können.
Und wie steht Frau Reichelt nun zum Thema Betriebsrat? Ihrer Meinung nach ist er nicht notwendig. Alle MitarbeiterInnen können sich mit ihren Sorgen, Vorschlägen, Beschwerden usw. an ihre Stationsleitungen wenden, die sie dann an die Chefin weitergeben. Doch wenn Beschäftigte dennoch einen Betriebsrat wollten, werde sie sich diesem Wunsch nicht verschließen.

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