Ratssplitter
Feb 062003
 

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vom 8. Januar 2003
wieder mal zusammengekehrt von Imke Zwoch

Auffällig war, dass viele Ratsmitglieder – vor allem auf der (vom Kopfende gesehen) rechten Seite – schamlos im Gegenwind schmökerten – dem „Blatt, das keiner kennt, aber jeder liest“ (O-Ton Menzel in einer früheren Ratssitzung). Den Grund für diese Bildungsoffensive erfahren Sie bei vollständiger Lektüre unserer Beobachtungen.

  Ehe es richtig losgehen konnte, musste erst mal ein Transparent wieder abgehängt werden.

„Ab Januar 2003
Schluss mit der Geheimniskrämerei“

stand an der Zuschauerempore zu lesen. (Konkretisiert wurde die Forderung später in Anträgen der WALLI, s. u.) Da „Missfallens- und Beifallsbekundungen“ der Bürger/innen im Ratssaal nicht erwünscht und deshalb nicht zulässig sind, forderte Interims-Ratsvorsitzender Walter Schulz die Verfasser zur Entfernung ihrer Meinung auf. Komischerweise war gegen Ende der Sitzungen Beifall von Kollegen und Familien der im Laufe der Sitzungen aufgestiegenen Verwaltungsmitarbeiter doch zulässig. Ich wette einen Kasten Jever Pils, dass ein Transparent mit der Aufschrift „Wir freuen uns auf den JadeWeserPort“ länger dort hängen würde. Es kommt eben immer darauf an.
Zu Beginn des Jahres verteilte OB Menzel, jetzt auch Verwaltungschef, ordentlich Pöstchen. (Dem einen oder anderen nahm er auch eins weg, das er sich dann selbst oder anderen auf den Zettel schrieb.) So wurden diesmal noch mehr Hände geschüttelt als sonst (schon zur Begrüßung drückt jede/r etwa 50 Hände), da wurde beglückwünscht und vereinzelt sogar geknuddelt. Anzahl und Parteibuch der Gratulanten, die jeweils nach vorne strömten, um zum Schütteln oder Knuddeln Schlange zu stehen, waren das Barometer
a) für die Beliebtheit der Pöstcheninhaber
b) für den Hang zur Selbstdarstellung derer, die ihre Glückwünsche aussprachen
c) für die Verbindungen, die zwischen Gratulanten und Beglückwünschten bestehen (und hier vermutlich öffentlich bekundet werden sollten).

Jens Graul und Klaus Kottek

mussten sich mit Trost und Zuspruch begnügen, denn sie guckten bei der Umverteilung der Führungsposten ziemlich in die Röhre. Graul darf außer Umweltangelegenheiten noch Bildung, Kultur und Sport machen, doch das kulturelle Sahnehäubchen WPG, das man ihm zwischenzeitlich gemopst hatte, ging nun endgültig an OB Menzel – Chefsache! Kottek musste den Bereich Soziales und Jugend abgeben und soll sich nun ausschließlich dem Stadtbild widmen: Stadtplanung, Bauangelegenheiten und Grünanlagen. Der Verlust des sozialen Aufgabenfeldes, das er übrigens so schlecht gar nicht beackert haben soll, störte ihn wohl weniger als die Art und Weise, wie er umbesetzt wurde: Es wurde vorher nicht mit ihm darüber gesprochen.

Zwei andere hingegen

hatten Grund zur Freude. Jens Stoffers wurde zum Ersten Stadtrat und Allgemeinen Vertreter des OB ernannt. Damit ist er nach Menzel der zweite Mann in der städtischen Hierarchie. Seinem Dezernat wurden die Bereiche Recht, Gesundheit, Zentrale Dienste, städtische Datenverarbeitung und, an Stelle von Kottek, Soziales und Jugend zugeordnet. Bei Stoffers war die Gratulantenschlange am längsten, kein Wunder: immer sachlich, freundlich und neutral. Selten ist sich der Rat so einig wie in dieser (Personen-)Entscheidung; mit Zustimmung der Kommunalaufsicht war deshalb auf die Ausschreibung der Stelle verzichtet worden. Unsere Glückwünsche hat er auch. Da es nicht üblich ist, dass Pressevertreter in der Ratssitzung Dezernenten knutschen, übermitteln wir sie auf diesem Wege. Und hoffen, dass Stoffers auch in dieser exponierten Position den aufrechten Gang beibehält. Der zweite Gewinner des Tages war Heiko Hoff. Lange schon hat er hinter den Kulissen die finanziellen Geschicke der Stadt mit gelenkt, manch wackeligen Haushaltsplan in den Griff gekriegt. Vom städtischen Oberrat zum Stadtrat: Es sei ihm gegönnt, in der letzten Dekade einer langen Dienstzeit – 40 Jahre bei der Stadt! – als neuer Kämmerer ins Rampenlicht zu treten.

OB Menzel

musste zunächst einen Posten aufgeben, um einen besseren zu bekommen. Als hauptamtlicher Oberbürgermeister darf er nicht Ratsmitglied sein. Für ihn rückte Wolfgang Jeschke nach. Neuer Ratsvorsitzender wurde nicht, wie zwischenzeitlich gemunkelt worden war, Siegfried Neumann, sondern Norbert Schmidt. Sehr zur Freude der CDU, die die bislang gute Zusammenarbeit mit Schmidt betonte.
Die Zeremonien brachten eine Menge Pausen mit sich, die zum Knuddeln, Klönen und Rauchen genutzt wurden. Sobald ein Wagemutiger (hier jeweils Joachim Ender, CDU) sich entsprechend räuspert, muss eine Wahl geheim durchgeführt werden. D. h.: Jedes Ratsmitglied muss nach Aufruf einzeln nach vorne zur Wahlkabine kommen. Lästig, aber gut gegen Krampfadern und vor allem für eine demokratische Abstimmung ohne Fraktionszwang. Auf diese Weise wurde tatsächlich ein Vertreter der CDU zum Vertreter des Ratsvorsitzenden gewählt, nämlich Ehnste Lauts. Mit seiner ruhigen und humorvollen Art wird er Schmidt ein guter Ersatzmann sein.
Die Pöstchen der stellvertretenden Bürgermeister/innen blieben, wo sie sind: bei Ursula Aljets und Marianne Fröhling (der Helmut Möhle mit 20:24 Stimmen unterlag). Ihre Entschädigungen für das Ehrenamt wurden auf 725 bzw. 590 Euro monatlich erhöht.

Richtig kribbelig

wurde es bei der Umbesetzung des Pöstchens im Zweckverband für Tierkörperbeseitigung: Der Grünen Ratsfrau Gerda Kümmel (laut Aljets als Hundebesitzerin für den Job qualifiziert; wir wünschen Gerdis Hund ein langes Leben und danach eine angemessene Ruhestätte!) setzte die CDU den Landwirt Heinz Weerda entgegen. Bei so massiver fachlicher Konkurrenz half nur geheime Wahl. Dumm gelaufen: Patt im ersten Wahlgang. Und eine Überraschung nach der zweiten Rundwanderung im Saal. Weerda blieb mit 24 zu 20 Stimmen Sieger – da hatten sich wohl einige rote oder grüne Genoss/innen einen Ruck gegeben. Zweimal gleich haben sie also der Opposition die Chance gegeben, in mehr oder weniger wichtigen Positionen die Stadt und damit ihre Wähler zu repräsentieren, wie CDU-Vorsitzender Reuter vorab gefordert hatte. Zieht jetzt endlich ein Hauch von Liebe und Menschlichkeit in den Ratssaal ein? Wenn ja, kommen wir beim nächsten Mal mit Batikhemd und Räucherstäbchen.

Transparenz gefordert

Fast drei Stunden hatte das annähernd debattenfreie Procedere gedauert. Ehe nun OB Menzel „alle, die so lange ausgeharrt haben“, zu einem Umtrunk einladen konnte, war die WALLI noch am Zuge. Sie forderte ausführliche Protokolle der Sitzungen von Ratsgremien, einschließlich der Fraktions- und Gruppenerklärungen sowie Wortprotokolle zu Sachstandsberichten über größere Projekte, z. B. den JadeWeserPort, aber auch andere Vorhaben. Ratsherr Tjaden begründete sein Anliegen damit, dass für die Ratsarbeit vollständige Informationen erforderlich sind. Da nicht jedes Ratsmitglied an jedem Ausschuss teilnehmen kann, muss dies über die Niederschriften gewährleistet sein. Nur so können auch Falschinterpretationen ausgeschlossen werden. Die Information „Stadtrat X berichtete über Projekt Y. Punkt“ sind da nicht sehr hilfreich. Weitergehend beantragte Tjaden, die Protokolle des (besonders geheimen – die Verf.) Verwaltungsausschusses aus dem Jahre 2002 durch Wortprotokolle zum Thema JadeWeserPort zu ergänzen. Wie gewohnt, gingen Tjadens Anträge ins Leere. Die sie ablehnten, sitzen ja an der Quelle der Informationen.
Überrascht, aber sichtbar erleichtert, dass der rührige Bürger Radmer die abschließende Einwohnerfragestunde nur für eine kurze Frage nutzte, zogen die Damen und Herren über das Schicksal unserer Stadt mit Menzel an die Theke. Radmer wollte wissen, warum Stoffers seinen Sitz im WPG-Aufsichtsrat an Menzel abgibt. Menzel begründete dies mit dem überregionalen Ansatz der WPG; der Wechsel hätte rein sachliche Gründe und sei mit Stoffers abgestimmt. Zufrieden wünschte Radmer Menzel, Stoffers und Hoff „ein glückliches Händchen“.
Halt, da war noch was: Die Sternchen? Ab jetzt gibt’s eine auch nach unten offene Richterskala. Mein Vertreter hatte letztes Mal, um sein Missfallen auszudrücken, zu einer Formulierung greifen müssen, für die es aus gewissen Kreisen viel Schelte gab (s. Kasten – deshalb wurde auch der GEGENWIND so intensiv während der Ratssitzung gelesen). Wenn ich die Ausdrücke dagegen halte, mit denen Containerhafen-Chef Niemann und seine „Lieblingsbürgermeisterin“ (anlässlich des Gabriel-Besuchs) Mitglieder der Bürgerinitiative gegen den JadeWeserPort titulierten, sind wir sozusagen wieder quitt. Nicht mehr ganz: Unsererseits gibt es eine Entschuldigung (s. Kasten). Zumindest hat diese Provokation bewirkt, dass in der hier berichteten Ratssitzung eine Menge Kommunalpolitiker/innen ihr „coming out“ als GEGENWIND-Leser/innen hatten.
Nach diesem Experiment verteilen wir zukünftig also posi- und negative Punkte. Nur heute nicht: Mit Karriere- und Gehaltssprüngen haben die Protagonisten unserer Ratssplitter erstmal genug abgesahnt. Allenfalls Kottek hätte ein paar Pluspunkte verdient, weil er gute Miene zum bösen Spiel machte.


Für Empörung sorgte ein Wort

im letzten Gegenwind: Kotzbrocken. „1. Stadtrat Wolfgang Frank: Ein absoluter Kotzbrocken; behandelt die fragenden BürgerInnen wie dumme Jungs/Mädels. Gibt nie eine vernünftige Antwort und hält Eigennutz (die Interessen irgendwelcher Geldleute) für ein höheres Gut als Gemeinnutz.“

Kotz|brocken1, der (derb). jmd., den man als äußerst abstoßend, widerwärtig empfindet.

So wird er im Duden definiert. Und hier muss ich zugeben, dass der Begriff nicht auf Herrn Frank passt. Er passt – und so war es auch gemeint – auf die Art und Weise, wie Herr Frank sich gegenüber den BürgerInnen (z.T. auch gegenüber den Ratsmitgliedern!) verhält: herablassend und überheblich. Mit meiner Formulierung habe ich aber die Person Wolfgang Frank verunglimpft. Das war nicht meine Absicht und ich entschuldige mich für diese sprachliche Entgleisung – da hat wohl der Bauch den Kopf besiegt.
Oberbürgermeister Menzel hat diese Bezeichnung öffentlich gerügt – Rüge angenommen. Aber hat sich auch mal überlegt, ob er seine Dezernenten (und andere) vielleicht einmal zum gebührenden Anstand gegenüber fragenden Menschen vergattert?

Hannes Klöpper


Motivationsschub

Nicht zu glauben: Der GEGENWIND war einleitendes Thema in der Antrittsrede unseres hauptamtlichen Bürgermeisters. Bezugnehmend auf eine Formulierung in den letzten Ratssplittern, mit der das unhöfliche Verhalten eines Stadtrates gegenüber einem Bürger etwas drastisch umschrieben wurde, ermahnte Menzel „die anwesende Presse“, doch nach außen positiv über die Stadt zu berichten.

Zwischen den Zeilen trat wieder mal das grundsätzliche Missverständnis zwischen den tonangebenden Personen dieser Stadt und unserer Zeitung zu Tage: Die Unterstellung, uns wäre nicht am Wohle dieser Stadt gelegen. Wäre dem so, wir wären längst in eine andere Stadt gezogen. Oder würden uns zumindest nicht ehrenamtlich, unbezahlt Tage und Nächte um die Ohren schlagen, um diese Zeitung zu machen. Wir würden sie auch nicht machen, würden nicht Tausende von Wilhelmshavener/innen diese Zeitung lesen, uns ideell unterstützen (eine kleinere, aber nicht unbedeutende Zahl auch finanziell).
Langweilen würden wir uns ohne GEGENWIND bestimmt nicht. Wir könnten statt dessen auch einem Sportverein beitreten, Briefmarken sammeln, die Beete jäten oder fernsehen. Aber wir machen ihn (jetzt, einschließlich seinem Vorgänger ROTDORN – mit noch anderer Besetzung seit 27 Jahren), weil diese Stadt uns am Herzen liegt. Also aus dem gleichen Grund, den z. B. Jens Stoffers oder Heiko Hoff genannt haben als Motivation für ihre zukünftigen Aufgaben – und auch Eberhard Menzel, der sich „allen Bürgern verpflichtet“ fühlt. (Vermutlich ist dies auch der Grund, warum der rührige Bürger Horst Radmer sich jede Ratssitzung um die Ohren haut, statt nochmals rund um die Nordsee zu radeln). Dass wir auch Positives berichten, wird von Menzel und anderen meist ignoriert. Dass wir Negatives berichten, um den Weg zum Besseren aufzuzeigen, wird als Störung empfunden, nicht als konstruktive Kritik.
Einen verbalen Ausrutscher in 27 Jahren derart zu pointieren, ist einerseits unangemessen – andererseits dokumentiert es, ungewollt sicherlich, wie scharf unsere Zeitung von den Mächtigen dieser Stadt beobachtet wird, und misst ihr große Bedeutung bei.
Für diese neuerliche Motivation „von höchster Stelle“, weiterzumachen, möchten wir uns an dieser Stelle bedanken.

Imke Zwoch


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