Ratssplitter
Jul 212004
 

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vom 23. Juni 2004

zusammengekehrt von Imke Zwoch

Fast eine Stunde wurde der erste Tagesordnungspunkt – auf Nebenkriegsschauplätzen – strapaziert. Fußballfans rechneten mit dem Schlimmsten, doch eine Stunde später, lange vorm Anpfiff, waren auch die restlichen 20 Entscheidungen des öffentlichen Teils durchgepeitscht. Man muss einfach Prioritäten setzen!

Eigentlich war unter TOP 1 nur die Stellungnahme der Stadt zum Planfeststellungsverfahren JadeWeserPort abzusegnen. Da im Rat alle bis auf einen jeder Entscheidung pro JWP unbesehen zustimmen, eigentlich eine 5-Minuten-Sache. Für die Sprecher von CDU und SPD jedoch Anlass, eine Stunde lang (!) einen Haufen schmutziger Wäsche über jenen einen auszubreiten, nämlich Joachim Tjaden (WALLI).

KEINE AHNUNG?

Den Anfang machte Günther Reuter (CDU): ”Ich zitiere aus dem letzten GEGENWIND” – alle Augen fixierten die Pressebank – “Herrn Tjaden:” – Augen zurück – ”Da die Ratsmitglieder wieder einmal nicht wussten, worum es ging, stimmten sie voller Freude für den Antrag”, las Reuter vor. Ein Aufschrei der Empörung einte die von Tjaden als unwissend Bezichtigten. SPD-Sprecher Siegfried Neumann betonte, die Kollegen seien bestens informiert.

KEINE AHNUNG!

Etliche Tagesordnungspunkte später wurde kurz thematisiert, ob man Gelder besser für Schul- oder für Straßensanierung einsetzen sollte. Dazu Neumann: ”Mensch, Kinders, im letzten VA haben wir für etwa 300.000 Euro Straßensanierungen beschlossen, und ich bin überzeugt, dass keiner von euch wusste, worum es da im Einzelnen ging!” Sah ich da ein feines Lächeln über Tjadens Gesicht huschen? Nach Rücksprache mit Dr. Markus Merck vergeben wir für Neumanns Eigentor 

HEILIGE KUH

Tjaden versuchte seinen Kollegen nahe zu bringen, wie man sich umfassend informieren kann. Neben intensiven Recherchen im Rathaus fährt er auch zu überregionalen Tagungen. Neulich, erzählte er, ging es in Berlin um Schiffssicherheit an der Nordseeküste. Das war das Stichwort für die nächste Klassenkeile. Es gäbe überhaupt keinen Anlass, an der Sicherheit des Wilhelmshavener Hafens zu zweifeln, tönte ein vielstimmiger Chor, schließlich hätte sich Wilfrid Adam jahrelang dafür eingesetzt. Der müsse unbedingt Hafenmanager werden, setze Michael von Teichman (FDP) noch oben drauf. Tjaden hatte zwar weder “Wilhelmshaven” noch “Adam” thematisiert, aber mancher hört nur, was er hören will. 

” … und ich bin überzeugt, dass keiner von euch wusste, worum es da im Einzelnen ging!”
Siegfried Neumann zum Kenntnisstand seiner Ratskollegen

JE NACHDEM

Tjaden versuchte immer wieder zum Thema zurückzukommen, also der Stellungnahme, die er um einige Punkte ergänzen wollte: Mit dem Bau des Containerhafens gehen wichtige Freizeitwerte verloren (z. B. Geniusstrand, Campingplatz), für die vom Träger der Planung (Land Niedersachsen) Ersatz gefordert werden kann. Angesichts der Tatsache, dass die Stadt sich seit längerem den Kopf zerbricht, wie ein Ersatz für die maroden Schwimmbäder zu finanzieren sei, ein pragmatischer (und planungsrechtlich legitimer) Vorschlag. Wäre er z. B. von Adam gekommen, hätten ihm alle die Füße geküsst. Tjaden aber wurde in der Luft zerrissen. “Gemeinwohl geht vor Entschädigungsforderungen!” trompetete Reuter. Da leiern sie dem Land (pleite) mehrere Hundert Millionen Euro für den fragwürdigen Hafen raus, aber auf 10 Mio für die Grundversorgung der Wilhelmshavener Bevölkerung soll die Stadt (pleite) großzügig verzichten. 

DER GEHEIMNISVOLLE DR. X

Ein medizinisches Gutachten bot Munition für die nächste Breitseite gegen Tjaden. Ein Arzt hat Einwendungen gegen den JadeWeserPort erhoben, weil er um die Gesundheit der Schulkinder in Voslapp fürchtet. Auch wäre der als außerschulischer Lernort dienende Schulgarten nicht mehr nutzbar. ”Hanebüchen” fand das Neumann und ”infam, den Menschen in Voslapp Angst vor Arbeitsplätzen einzujagen. Wenn die Firmen erst hier sind, haben wir die Masse der Arbeitslosen” – oops! – “äh, Arbeitsplätze.” Reuter stieß ins gleiche Horn: ”Wir tun mehr für die Kinder, wenn Mutti und Vati einen Arbeitsplatz haben, als mit einem Schulgarten.” Dann können Mami und Papi ja eine Playstation kaufen als Ersatz für den Schulgarten. “Das Land hat die Finanzierung zugesichert, damit die Bewohner hier eine Zukunft haben.” Und damit sie ihr Versprechen halten können, streichen Reuters Parteikollegen in Hannover u. a. das Landesblindengeld und sechseinhalbtausend Stellen in der Landesverwaltung.
Wilfrid Adam verlangte, der Urheber der Kritik solle sich ”outen”. Nicht nur er wird noch eine Weile vor Neugier zappeln. Tjaden zerstreute geäußerte Vermutungen zur Person des Mediziners. Mit Offenlegung der Einwendungen gegen den Hafen würde der Name bekannt werden.

BOYKOTT GESCHEITERT

Tjaden beschränkt sich im Rat auf ergebnisorientierte, also wenige und kurze Beiträge. Diesmal brauchte er etwas länger: für seine Vorschläge zur Stellungnahme, zur Richtigstellung polemischer Anwürfe seiner Kollegen und für Versuche, die Debatte wieder auf Sachebene zu kriegen. Das passte dem SPD-Trio Neumann, Adam und Sabine Gastmann gar nicht. Lautstark tuschelten sie, das sei ja unerträglich, man müsste jetzt geschlossen aufstehen und den Saal verlassen. Also wirklich – jetzt aber – also … schließlich stand Neumann auf, sprach kurz mit der CDU-Spitze und verließ dann den Saal: “Wir sollten jetzt alle eine Zigarette rauchen gehen.” Es war dann wirklich nur eine Zigarette, nämlich seine, die KollegInnen blieben sämtlichst sitzen. Sind sie alle so gesundheitsbewusst, legen sie Wert auf demokratische Grundregeln oder war ihnen die Peinlichkeit der Aktion bewusst? 

HALBE SACHEN

Ende August geht unsere langjährige Frauenbeauftragte Jutta Niedersen in den wohlverdienten Ruhestand. Als Nachfolgerin berief der Rat jetzt Ellen Wolbergs – aber nur mit einer Halbtagsstelle! Die Politik setzt hier ein – äh – interessantes Signal. Unlängst wurde nämlich offenkundig, dass unserer schrumpfenden Stadt Frauen im (gebärfähigen) Alter zwischen 20 und 40 fehlen. Wie will man sie zum Hierbleiben bzw. Herkommen bewegen, wenn man gleichzeitig die Belange von Frauen in WHV dermaßen abwertet? .

INTELLIGENZTEST

In der Regel wissen Fraktionsmitglieder schon vor der Ratssitzung, ob sie zu einem Punkt mit ja oder nein stimmen müssen. Das erspart ihnen das Nachdenken. Was aber, wenn zu einem TOP mehrere – verschieden formulierte – Anträge vorliegen? Böse Falle!
Thema: Der STV Voslapp will eine Motocrossanlage einrichten. Alle ins Auge gefassten Flächen scheiden jedoch aus rechtlichen Gründen aus. Also war der Rat sich einig im Ziel, alle Anträge des STV abzulehnen. Doch der Weg dahin war steinig. Nachdem die vertrackte Beschlussvorlage schon im Verwaltungsausschuss Verwirrung gestiftet hatte, gab es im Rat vorab genaue Anweisungen auf ABC-Schützen-Niveau. Für Standortvariante 1 hieß der Vorschlag, das erforderliche Verfahren zur Nutzung der Fläche X sei einzuleiten. Also Finger heben bei …? Natürlich NEIN. Zu Variante 2 lautete die Formulierung, die vorgeschlagenen Standorte YZ seien abzulehnen. Korrekte Abstimmung? Na? Selbstverständlich JA. Ganz einfach, oder? Leider nicht. Wieder schnellten etliche Finger an der falschen Stelle hoch, Tohuwabohu, und schließlich erbaten sich die Fraktionen 5 Minuten Auszeit, um die komplizierte Materie zu erörtern. Überraschenderweise klappte es am Ende doch noch. PISA-Bewertung: 

AUSBLICK

Wir wünschen allen Ratsmitgliedern eine erholsame Sommerpause und bedanken uns bei Herrn N., ohne den unsere Ratssplitter weniger amüsant wären, und bei Herrn R. für die nette Werbeaktion. Trotzdem würden wir uns freuen, wenn ab Herbst öfter mal andere als N., R., v.T. und T. zum Gelingen dieser Kolumne beitragen würden.

SARGNÄGEL MIT KÖPFEN

Der Rat leitete die erforderlichen Verfahren ein, um das Freizeitgebiet “Schleuseninsel” als Gewerbegebiet umzuwidmen. Das geplante ”Sondergebiet Hafen” soll für Ver- und Entsorgung des in 10 km Entfernung geplanten Tiefwasserhafens genutzt werden. Logistisches Meisterstück, oder?
Die Nutzer der Freizeitgärten, die vor 40 Jahren das zerbombte Gelände von Trümmerschutt befreit und in ein grünes Paradies verwandelt haben, sind schockiert. ”Ein sensibles Thema”, erkennt Bernhard Rech (CDU) und versucht gleichzeitig, die Verantwortung abzuwälzen: ”Wir handeln ja im Auftrag der Eigentümer”, nämlich des Nds. Hafenamtes. Und zwar hoch begeistert. Weiter wurde das ”sensible Thema” nicht diskutiert, einige blätterten angelegentlich im GEGENWIND. Norbert Schmidt (SPD) will als Vorsitzender des Bauausschusses “alles tun, um die Filetstücke östlich der KW-Brücke wirtschaftlich zu nutzen.” Gut, dass in gleicher Sitzung beschlossen wurde, jährlich 24.000 Euro in die neue ”Ostfriesland Tourismus GmbH” zu stecken. Eine (dann erheblich verkürzte) maritime Flaniermeile direkt neben einem Gewerbepark muss geschickt vermarktet werden, um noch Touristen anzulocken. 

SO ODER SO

Bürgermeisterin Marianne Fröhling (Grüne) stänkerte, die WALLI hätte keine Alternative zur Hafenplanung der Ratsmehrheit. Klar, wer keine Mehrheit hat, kann seine Ideen schwerlich durchsetzen. Die Grünen gehören zur Mehrheitsgruppe, haben aber keine eigene Meinung mehr, die sie durchsetzen könnten.

 

 

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