Ratssplitter
Okt 272005
 

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Vom 21. September 2005
zusammengekehrt von Imke Zwoch

Kinder, wie die Zeit vergeht! Die erste Ratssitzung nach der Sommerpause, und schon thronte ein Engel vor dem Platz von Ratsfrau Ulla Aljets. War aber gar kein Weihnachts-, sondern ein Friedensengel, ein Geschenk unserer polnischen Partnerstadt Bydgoszcz. Lesen Sie, was dem geflügelten Botschafter an diesem Tag so alles zu Ohren kam.

Vorzeitig

Vor 40 Jahren wurde in der Hoffnung auf umfangreiche Industrieansiedlungen der Rüstersieler Groden aufgespült. Vom Kraftwerk und der Chlorgasanlage mal abgesehen, interessierte sich die Wirtschaft aber kaum dafür. Umso mehr die Natur. Im Schutz des (ökologisch vorteilhaften) Dornröschenschlafs entwickelte sich insbesondere auf der Teilfläche zwischen Niedersachsendamm und Gleistrasse eine große Arten- und Strukturvielfalt mit naturnahen, seltenen und besonders geschützten Biotoptypen sowie gefährdeten Tier- und Pflanzenarten, darunter auch Orchideen.
Doch nun kommt der JadeWeserPort und damit der (schon 2003 mit dem Strukturkonzept beschlossene) Aufschwung für die Grodenflächen. Deshalb befürwortete der Rat jetzt – mit einer Gegenstimme – eine Änderung des Flächennutzungsplans für den Bereich des nördlichen Rüstersieler Grodens, mit dem Zweck „der Sicherung einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung, einer menschenwürdigen Umwelt sowie dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch in Verantwortung für den allgemeinen Klimaschutz …“ Neben der Darstellung von gewerblich-industriellen Bauflächen, Verkehrstrassen und Bahnanlagen soll die Planung auch „Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft“ darstellen. Wie putzig: Was die Natur über Jahrzehnte ohne die Hilfe bleistiftschwingender Stadtplaner geschafft hat, wird jetzt platt gemacht und voraussichtlich durch künstliche Sicht- und Lärmschutzpflanzungen ersetzt. Ratsherr Tjaden (parteilos) störte vor allem, dass dabei auch ein Naherholungsgebiet – der (ehemalige) Campingplatz, die angrenzende bepflanzte Schutzzone und die Parkplatzflächen – überplant wird, „ohne Grund“, denn mehr als eine Betonmischanlage ist derzeit nicht in Sicht, und dem Containerhafen räumt Tjaden auch nicht viel Chancen ein.

Unvollständig

Ratsherr von Teichman (FDP) lehnte es ab, den Verwaltungsrat der Sparkasse Wilhelmshaven für das Geschäftsjahr 2004 zu entlasten. Er bemängelte, dass ihm die für eine Beurteilung erforderlichen ausführlichen Berichte nicht vorgelegen hätten. Oberbürgermeister Menzel hielt ihm entgegen, der Geschäftsbericht sei vorgelegt worden. Außerdem dürfe man die Informationen über „viel Geld und Kredite“ nicht öffentlich behandeln. Abschließend belehrte er den FDP-Mann: „Nichtwissen ist kein Grund zur Enthaltung.“ Aha.

Fahrplanmäßig

Auch für die Werksleitung der städtischen Entsorgungsbetriebe wurde Entlastung beantragt. Angesichts des positiven Betriebsergebnisses (über 840.000 Euro Jahresgewinn) räumte Professor Reuter (CDU) ein, die Auflösung städtischer Ämter zu Gunsten einer privatwirtschaftlichen Führung habe sich bewährt. Trotzdem müsse man weitere Privatisierungen kritisch hinterfragen, „Gas, Strom, Wasser, Entsorgung sind schließlich Teil der Daseinsvorsorge“. Der Gewinn fließt zum Teil in die Rücklagen, fast 500.000 Euro werden zur Verzinsung des Eigenkapitals ausgeschüttet. Von Teichman würde ihn lieber den Bürgern zukommen lassen. Die derzeitige Praxis ist für ihn „eine Quersubventionierung defizitärer Bereiche“ wie z. B. der Verkehrsbetriebe.
Auf die Stichwörter „Holding“ und „Privatisierung“ reagierten die Fraktionssprecher dann mit dem altbekannten Schlagabtausch altbekannter Positionen – Reuter sieht’s kritisch, von Teichman skeptisch, Neumann pragmatisch, und der OB hat das letzte Wort. Das lautete diesmal: „Der Verkauf der Jade-Wohnungsbaugesellschaft war keine Meisterleistung.“ Der befreite zwar die Stadt von ihren 100 Mio Mark Schulden, aber allein für dieses Jahr stehen sie schon wieder mit 12 Mio Euro in der Kreide und die damals zugesicherten Rechte für Mitarbeiter- und MieterInnen auf der Kippe, weil die Jade nun schon zum zweiten Mal weiterverkauft wurde. (s. GEGENWIND 211 „Ausgesaugt“)
Trotz allem Geplänkel gab es, wie Ratsvorsitzender Schmidt nicht ohne Ironie bemerkte, „wie so häufig einen einstimmigen Beschluss“.

Einstimmig

Der Elektro-Fachmarkt in der „Pyramide“ platzt aus allen Nähten, kann sich aber am dortigen Standort nicht erweitern. Statt dessen will das Unternehmen an einem neuen Standort am Heuweg die Verkaufsfläche auf 3000 m² mehr als verdoppeln. Der Rat brachte einstimmig die erforderlichen Planungen auf den Weg. Auch eine Betriebsansiedlung am Bohnenburger Deich fand entsprechende Unterstützung.

Sinnig

„Zum Entsorgungszentrum“ soll die Straße zum neuen Entsorgungszentrum benannt werden, „da dieser Name eine Affinität zu den bereits vorhandenen Straßen in dem Bereich des Friesendammes aufweisen würde („Zur Raffinerie“, „Zum Kraftwerk“, „Zum Ölhafen“, „Zum Terminal“)“. In der Tat. Nicht zu vergessen „Zur Kaiser-Wilhelm-Brücke“. Das nenne ich Verwaltungsvereinfachung.

Vielschichtig

Mehr als 5,3 Mio Euro an Nachbewilligungen wurden dem Rat zur Zustimmung vorgelegt. CDU-Sprecher Reuter empfindet das so entstandene diesjährige Haushaltsloch von etwa 12 Mio Euro als „bedrohlich“. Von Teichman bezeichnete den Antrag als „rechtswidrig“, weshalb seine Fraktion nicht zustimmen könne. Die Ausgaben seien nämlich weder unvorhergesehen noch unabweisbar, noch gab es Deckungsvorschläge. Laut Nds. Gemeindeordnung müsse da auch der Oberbürgermeister Einspruch erheben.
Der Löwenanteil der Nachbewilligungen betrifft allerdings Ausgaben, zu deren Leistung die Stadt nach dem Grundsicherungsgesetz, dem Sozialgesetzbuch und dem Kinder- und Jugendhilfegesetz verpflichtet ist. Deshalb verwies Reuter auf das Konnexitätsprinzip (d. h. von Bund oder Land auf die Kommunen übertragene Aufgaben müssen entsprechend bezuschusst werden). Neumann kritisierte, dass dieses im Landtagswahlkampf von CDU und FDP versprochen worden, aber bis heute nicht umgesetzt sei.
Neben dem Anstieg der Fallzahlen bei der Hilfe zur Erziehung, Erwerbsunfähigen und Arbeitssuchenden wurden für diese Positionen, wie auch für die rasant gestiegenen Bewirtschaftungskosten der Schulen, die gestiegenen Gaspreise zur Begründung herangezogen. Und das, obwohl, wie Neumann lobend erwähnte, durch das so genannte Contracting mit dem hiesigen Energieversorger GEW Maßnahmen zur Wärmedämmung umgesetzt und so z. B. am KKG der Energieverbrauch halbiert werden konnte. Spült die Nachbewilligung aus dem städtischen Haushalt also Gewinne in die Kasse der städtischen Tochter GEW? Nein, erklärte Kämmerer Hoff, deren Gewinne käme aus der Eigenkapitalverzinsung – die Gaspreiserhöhungen seien nur kostendeckend. (Frage am Rande: Warum entschließt sich die Stadt bzw. deren privatisierte Tochter nicht, dem Beispiel der Nachbarkommunen Schortens, Jever und Sande folgend, zu einem Preisboykott gegenüber dem Gaslieferanten? – red) Hoff hielt von Teichmann entgegen: „Wer konnte Hartz IV vorhersehen oder die Erhöhung der Erdölpreise?“ Und: Nachbewilligungen seien beim Verwaltungshaushalt auch ohne Deckungsvorschläge möglich, wenn der Haushalt nicht ausgeglichen sei. Der Rat stimmte den Nachbewilligungen bei drei Enthaltungen zu.
Ein Rätsel bleibt uns, weshalb die 75.000 Euro Nachzahlung an die GEW für die Wärmelieferung an das Hallenbad Sportforum für 2001 (!) nicht vorhersehbar waren. Die Abrechnung wurde zwar erst 2005 übersandt – aber dass da in dieser Größenordnung noch was offen ist, hätte bei der Aufstellung des Haushaltsplanes für 2005 eigentlich jemandem auffallen müssen.

Fragwürdig

erschien der CDU-Fraktion die geplante Änderung der Rechtsform der VHS. Ihre „Kleine Anfrage“ beantwortete Dezernent Graul: Bundesweit müssten sich die Volkshochschulen dem verschärften Wettbewerb in der Weiterbildung stellen. Deshalb soll, wie andernorts auch, die VHS in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt werden. Parallel soll das Hauptgebäude modernisiert und ein Qualitätsmanagement eingeführt werden. „Als Zeitpunkt der Umstellung ist der 1. Juli 2006 realistisch.“ Bei der Neubesetzung von Stellen könnten dann eigene tarifliche Regelungen zur Anwendung kommen. So könne man in Ausschreibungen „wettbewerbsfähigere“ Angebote abgeben. Man erhofft sich auch, dass der Anteil von Drittmitteln (derzeit 30% des Gesamtetats) ausgeweitet werden kann, wie z. B. aktuell bei dem Ideenwettbewerb „Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit.
Das Stammpersonal der VHS wird „nach dem bisherigen Stand der Überlegungen“ personalwirtschaftlich nicht in die geplante gGmbH integriert und ist somit von tarifrechtlichen Änderungen nicht betroffen. Anders sieht es aus bei Neubesetzungen und Zeitverträgen. Graul abschließend: „Der Bildungsauftrag der VHS, ihr bisheriges Seminarangebot ist in der neuen Rechtsform nicht gefährdet. Inhalt, Umfang und Qualität können im Gegenteil erhalten und durch die Möglichkeiten des flexibleren Handelns … noch verbessert werden.“ Wir wollen ja nicht unken – aber angesichts der Erfahrungen aus anderen Bereichen, die aus dem städtischen Betrieb ausgegliedert wurden, ist nicht auszuschließen, dass die angestrebte Kostendämpfung letztendlich doch zu Lasten der MitarbeiterInnen gehen wird.

Denkwürdig

Die Einwohnerfragestunde nutzte Horst Radmer erstens für folgende Anfrage: Warum das städtische Tourismuskonzept nicht mit BürgerInnen und Vereinen diskutiert und abgestimmt wird? Dazu Graul: Das derzeitige Konzept sei 1997 vom Rat beschlossen und jetzt „erledigt bzw. abgearbeitet“. Das neue Konzept sei „in Arbeit“ und solle mit „Gastronomie, Einzelhandel und Wirtschaftsförderung“ abgestimmt werden. Irgendwie auch ne Antwort.
Radmer zweitens: Menzel habe in der Ratssitzung vom April 2005 Toiletten für den Geniusstrand zugesagt, das Versprechen aber nicht gehalten. Dazu Menzel: Die erforderlichen 40.000 Euro seien nicht finanzierbar gewesen. (Logisch – denn 24.000 Euro davon wurden schon verbraucht, um die vorhandenen Sanitärgebäude abzureißen … – red) Aber jetzt kommt’s richtig prall: Menzel DANKTE Ratsherr Tjaden, durch dessen Einsatz von privater Seite ein Imbisswagen und Toiletten für die Strandbesucher bereit gestellt werden konnten. Und die Stadt war dann noch so nett, wie Menzel stolz erzählte, der Betreiberin keine Gebühren abzuzocken. Das wär’s auch noch gewesen: Einen verregneten Sommer lang mit Imbiss und Klosetts zwischen den Abrisshalden von „Gertis Strandhaus“, Campingplatz und Sanitärhäuschen ausharren und dann noch kräftig Gebühren dafür abdrücken – dieser „Horrortrip“ (Menzel) blieb der Betreiberin erspart. Was keine städtische Heldentat, sondern selbstverständlich ist. Sei’s drum – für die offen und öffentlich ausgesprochene Würdigung des Außenseiters (weil JadePort-Kritikers) Tjaden gebührt Menzel ein .

 

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