Ratssplitter
Nov 082006
 

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vom 1. November 2006
ausgesessen von Imke Zwoch

Ach, wie war es doch vordem stets im Ratssaal so bequem! Acht Jahre lang war auf die Hackordnung Verlass, doch seit der Mauser am 10. September sind alle aufgescheucht. Die Roten mussten ordentlich Federn lassen, und die Gelben, Grünen und Schwarzen ließen kaum eine Gelegenheit aus, in die kahlen Stellen zu picken. Der Kampf um die besten Plätze auf den Sitzstangen währte 6 ½ – in Worten: sechseinhalb – Stunden, und am Ende ging es den Pressefüchsen wie Walter Schulz nach 42 Jahren auf seinem Ratssessel: So plattgesessen waren die Sitze, dass kaum einer noch über den Tisch gucken konnte.

Verschmidtst

leitete der bisherige Ratsvorsitzende die meist anstrengenden bis turbulenten Sitzungen. Und wird dies, mit einstimmigem Votum, auch weiter tun: Norbert Schmidt bleibt der Hahn im Korb. Da bin ich aber froh – hat er doch oft als einziger einen Humorpunkt zu den Ratssplittern beigetragen.  Auch sein bisheriger Vertreter Ehnste Lauts hatte den Laden stets gut im Griff – ob Nachfolger Bernhard Rech ihn ersetzen kann?

Verdächtig

erschien der ungewöhnt höfliche Umgangston im Ratssaal zu Anfang der Sitzung. Keine Zwischenrufe, kein Gestänker, nichts. Was war passiert? Gute Vorsätze? Des Rätsels Lösung: Es gab sozusagen einen Supervisor. Paul Krause, Geschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages, war erschienen, um langjährige Ratsmitglieder zu ehren. In diesem Zusammenhang betonte er die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung, die 1808 aus der preußischen Städteordnung hervorging. Sorge bereitet Krause die geringe Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen – seiner Ansicht nach ein „Denkzettel“ für die Landes- und Bundespolitik. Die kommunalen Gestaltungsspielräume würden derweil durch den „Schraubstock“ aus EU-, Bundes- und Landesvorschriften zunehmend eingeengt.
Kaum hatte Krause die Tür hinter sich geschlossen, ließen alle ihrem Temperament wieder uneingeengt freien Lauf. Ganz unpreußisch, was durchaus sein Gutes hat. Und ich hatte mir schon ernsthaft Sorgen gemacht.

Vergnügt

zeigten sich die Ratsmitglieder, als Schmidt aus dem Privatleben des scheidenden (und jetzt Ehren-)Ratsherrn Walter Schulz plauderte: „Seine 50, 60 Rammler waren stadtbekannt.“ Das Kichern nahm kein Ende, bis Schmidt durchgriff: „Ehe hier Unruhe aufkommt – Rammler sind Kaninchen!“ Schulz selbst verzichtete auf salbungsvolle Worte. Er wies nur auf die eingangs erwähnten durchgesessenen Ratssessel hin und empfahl eine Neuanschaffung. Wir gratulieren ihm zum 42-jährigen Sitzvermögen und wünschen einen schönen Ruhestand und weiterhin viele gesunde Rammler.

Vermessen

klingt der Schluss der kurzen Laudatio, die Schmidt dem OB für 25-jährige Ratsmitgliedschaft widmete: „Wir wünschen Herrn Menzel für die nächsten 25 Jahre alles Gute.“ War das jetzt eine Drohung?

„Als Rebell gestartet, als Eingleiser gelandet“.
„Auch damals beim Fußball hat Menzel den Ball nicht immer getroffen, aber er war trotzdem ein guter Spieler.“
Norbert Schmidt in seiner Laudatio zur 25jährigen Ratsmitgliedschaft Eberhard Menzels
Verzockt

hat sich die SPD beim Griff nach den Ausschuss-Vorsitzen. Kurz erläutert: Nach dem sogenannten Höchstzahlverfahren wird berechnet, in welcher Reihenfolge die stärksten Fraktionen abwechselnd ihre Lieblingsausschüsse per Ansage auswählen dürfen. Den begehrten Bauausschuss hatte die Jamaica-Kooperation (CDU, FDP & Grüne) der SPD zuvor von sich aus angeboten. Der SPD schien das selbstverständlich – zu selbstverständlich, fand Jamaica, und nachdem die SPD als erstes den (ebenfalls mächtigen) Entsorgungsbetriebeausschuss geangelt hatte (inkl. Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Stadtwerke), griff sich Jamaica – zack – den Bauausschuss. Und, weil nun keine der vorgesehenen Strategien mehr aufging, auch noch den Finanz- und den Schulausschuss. (Die Zusammensetzung der Ratsgremien und die Verteilung der Gremienvorsitze sind im Detail dem Portal www.wilhelmshaven.de zu entnehmen.)

Verkorkst

haben alle miteinander die Wahl des Verwaltungsrates der Sparkasse. Und das kam so: Grundsätzlich ist der OB dort „geborener“ Vorsitzender und war das bisher auch. FDP-Sprecher Michael von Teichman hatte aber den Ausnahmepassus im Sparkassengesetz parat: Der Rat kann auch einen anderen Sparkassenvorsitzenden aus seiner Mitte wählen. Gesagt, getan: Jamaica warf Jörn Felbier (CDU) als Gegenkandidat ins Rennen. „Das könnt ihr nicht machen!“, entsetzte sich SPD-Sprecher Siegfried Neumann. Doch, konnten sie: Im zweiten Wahlgang hatte Felbier knapp die Nase vorn. Menzel selbst trug’s – äußerlich – mit Fassung. Es galt aber noch sieben weitere Vorstandsmitglieder zu wählen. Von denen dürfen höchstens drei Ratsmitglieder sein. Vorschlagen durften die SPD 3, CDU 2 und FDP und Grüne je 1 Kandidat/in. Neumann nutzte das Erstvorschlagsrecht der SPD zum Konter: „Neumann, Menzel, Adam.“ Witzige Idee. Es dauerte ein paar Sekunden, bis auf der anderen Seite der Groschen fiel und CDU-Sprecher Günter Reuter explodierte. Händeringend versuchte Verwaltungsrechtsexperte Jens Stoffers, die Streithähne zu einer einvernehmlichen Lösung zu bewegen.  Man müsste nur die drei Ratsvertreter gerecht auf die Fraktionen verteilen und Punkt. Vergebens, die SPD rückte nicht von ihrem Vorschlag ab.  So bleibt bis auf weiteres der alte Vorstand mit Menzel an der Spitze im Amt. Was nicht heißt: bis auf ewig. Denn, das machte Stoffers unmissverständlich klar: Die Neubildung dieses Gremiums dauerhaft zu verhindern, wäre Rechtsmissbrauch.

Verdammt

gute Arbeit hat die Verwaltung vor und während der Ratssitzung geleistet. Für jeden Teil des langatmigen Procederes aus Vorschlägen, Besetzungen und Wahlen gelten höchst komplizierte Vorschriften, die mit Fleiß in einem dicken „Drehbuch“ für den Ratsvorsitzenden zusammengetragen worden waren. Nicht planbar waren die kleinen und größeren Gemeinheiten, die sich die Fraktionen füreinander ausgedacht hatten. Da musste schon mal unterbrochen und am Verwaltungstisch geblättert und beratschlagt werden. Doch Regisseurin Claudia Wachenfeld hatte stets alles im Griff. Eindrücke können täuschen, aber viele erlebten den Auftritt der Verwaltung vor dieser neuen Ratskonstellation als freier, selbständiger und neutraler. Jedenfalls verdient das Team ein dickes .

Verkehrt

ist es, dem NDP-Vertreter im Rat Aufmerksamkeit zu schenken, in welcher Form auch immer. Dafür bedarf es zwischen den demokratischen Rats- und auch den Medienvertretern keiner besonderen Absprache. Die üblichen Kontrahenten müssen aber aufpassen, dass nicht die Pferde mit ihnen durchgehen. Auseinandersetzungen zwischen Neumann bzw. Wilfrid Adam (beide SPD) einerseits und Reuter bzw. von Teichman andererseits funktionieren nach einem stets gleich ablaufenden Reiz-Reaktions-Schema: Einer weiß, wo er den anderen ärgern kann, und der springt dann erwartungsgemäß darauf an. Das ist manchmal unterhaltsam, auf Dauer grottenlangweilig. Unzulässig und unverzeihlich wird es, wenn sie für dieses Spiel die no-go-area NPD betreten. Und nur, um die Gefahr zu verdeutlichen, folgende Erwähnung: Am Verwaltungsausschuss (VA) dürfen derzeit nur die gewählten sogenannten Beigeordneten teilnehmen. Jamaica beantragte, die Ratsöffentlichkeit im VA wieder zuzulassen: Alle Ratsmitglieder dürfen dann als Gäste in den VA. Vorteil (und Ziel des Antrags): Ein besserer Informationsgrad im gesamten Rat. Nachteil (den man nicht hätte thematisieren müssen): Auch der Rechtsextreme darf dann dort sitzen. Welcher Teufel ritt aber Wilfrid Adam, Jamaica vorzuwerfen, sie würden mit ihrem Antrag Letzteres beabsichtigen? Unklug und überflüssig. Leider sagte keiner: Das vergessen wir jetzt mal und lassen das Thema ruhen – nein, Jamaica spulte das volle Das-war-jetzt-aber-gemein-Programm ab.
Merkt ihr nix!?? Der Neofaschist darf nie, weder aktiv noch passiv, im Rat eine Rolle spielen. Für dieses wichtige gemeinsame Ziel sollten alle zum richtigen Zeitpunkt ihre Kriegsbeile stecken lassen.
Man kann den Ewiggestrigen zwar nicht hindern, Anträge zu stellen, aber der Rat kann laut Geschäftsordnung (GO) beschließen, sich damit nicht zu befassen. Drum stellte der, dessen Namen nicht genannt werden darf, gleich den Antrag, diesen Passus der GO abzuschaffen. Man befasste sich mit diesem Antrag, indem man ihn ablehnte. Neumann setzte den I-Punkt: „Stellt euch vor, als nächstes beantragt er die Wiedereinführung des deutschen Grußes!“ Man muss Neumanns Polemik nicht mögen, in diesem Fall war sie absolut angebracht. 

Verblüfft

hat es angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse nicht, aber einen Tusch ist es wert: Nach fünf Jahren im Rat hat die BASU erstmals einen Antrag durchgebracht! Nämlich den, sämtliche Protokolle aus den öffentlichen Rats- und Ausschusssitzungen online und im Rathaus auch zur Einsicht für alle Interessierten zugänglich zu machen. Ratsprotokolle liegen zwar bereits in der Stadtbücherei, die auch länger geöffnet hat als das Rathaus, aber die BASU wollte auch die Möglichkeit der Einsichtnahme „vor Ort“.

Verändert

wurde die Geschäftsordnung des Rates auf Initiative von Jamaica und BASU. Mit den neuen Mehrheiten konnte der lang gehegte Wunsch nach einer „aktuellen Stunde“ als Tagesordnungspunkt der Ratssitzung endlich durchgesetzt werden. Ausschüsse sollen nur noch nach Bedarf tagen. Das elektronische Ratsinformationssystem wird so schnell wie möglich eingerichtet. Für bestimmte Sachverhalte und Problemlösungen werden „Runde Tische“ mit betroffenen bzw. interessierten BürgerInnen eingeführt sowie Expertenanhörungen und „Planungszellen“, um Beschlüsse zu verbessern. Für ZuschauerInnen der Ratssitzung sollen Tagesordnung, Beschlussvorlagen und Anträge z. B. per Beamer auf einer Leinwand präsentiert werden, damit sie den Beratungen folgen können. Die technische Umsetzung dieses einstimmigen Beschlusses bereitet der Verwaltung etwas Kopfschmerzen – vielleicht ein Anlass, endlich die gruseligen Kronleuchter an der Decke des Ratssaals dem Museum für Völkerkunde zu vermachen.

Verhindert

wurde die Verkleinerung des Jugendhilfeausschusses. Um Kosten zu sparen, wollte die Verwaltung auf zwei beratende Mitglieder – in der Jugendhilfe erfahrene Personen – verzichten. Tatsächlich spart das nur ein paar Euro fuffzig, inhaltlich ist es, so Adam, „ein Bärendienst an der Jugendarbeit“. Das fand auch die LAW. Bei einer Enthaltung wurde die Beschlussvorlage durch Stimmengleichheit abgelehnt. 

Vermindert

wurde die Zahl der stellvertretenden Bürgermeister trotz entsprechenden Vorgeplänkels nun doch nicht. Als Argument wurden die zahlreichen Repräsentationstermine des Stadtoberhaupts angeführt. Hand aufs Herz: Wenn drei Fraktionen kooperieren, um Mehrheiten zu brechen, erhebt doch mehr als eine von ihnen Anspruch auf ein solches Spitzenamt. Ist ja auch nicht schlimm. Nur schade, dass keine Frau vorgeschlagen wurde. So wurden Fritz Langen (CDU) und Werner Biehl (Grüne) mehrheitlich zum zweiten und dritten Mann der Stadt gewählt.

Verreist

wird künftig nicht mehr so viel: Auf Antrag der BASU finden Haushaltsklausuren zukünftig grundsätzlich in Wilhelmshaven statt. Das schmälert zwar die Disziplin, durchgängig bei der Stange zu bleiben, spart aber Kosten für die städtischen Mitarbeiter, die dort Überstunden und Wochenenddienst schieben müssen.
In den Ferien darf aber weiterhin verreist werden: Der BASU-Antrag, auch in dieser Zeit Rat und Ausschüsse tagen zu lassen, fand nur drei Anhänger. Wär auch für Leute mit Kindern echt blöd gewesen. 

Verärgert

ist die Verwaltung über den Mehrheitsbeschluss, dass nun auch der Rat zu bestimmten Themen eine Einwohnerversammlung einfordern kann. Bislang durfte das laut Hauptsatzung nur der OB und nicht „der Rat nach seinem Gusto“. Antragsteller und Verwaltung berufen sich dabei auf verschiedene Gesetzeskommentare. Von Teichman beruft sich auf den von Thiele, der die Übernahme eines solchen Passus in die Satzung empfiehlt. Der Nds. Städtetag sieht das anders. Menzel wird den Beschluss nun durch die Kommunalaufsicht prüfen lassen. Fertig. Fertig? Das Gezänk nahm seinen Fortgang, bis Werner Biehl (Grüne) zur Stringenz mahnte: „Lasst uns einfach so verfahren.“

Verrannt

hat sich die SPD im Kampf um einen speziellen Vorstandsposten. Als Vorstandsmitglied der „Naturschutzstiftung Friesland-Wittmund-Wilhelmshaven“ schlug Jamaica die grüne Ratsfrau Erika Lach vor. Durchaus naheliegend, diesen Job einer ökologischen Fachkraft zu übertragen. Adam war anderer Ansicht und versuchte zu belehren: „Um das klarzustellen – in diesem Gremium geht es nicht um Naturschutz, sondern um Wirtschaftsförderung.“ Deswegen müsse Neumann unbedingt dort Vorstandsmitglied bleiben. Aha. Interessante Sichtweise. Tatsächlich ist es eine von fünf Aufgaben der Stiftung, einen Flächenpool vorzuhalten, um den Verlust von Naturflächen durch Industrie- und Gewerbeansiedlung auszugleichen. Das hat nur insofern mit Wirtschaftsförderung zu tun, als dass ohne Kompensationsflächen keine Naturzerstörung zulässig ist – so bestimmt es das Naturschutzrecht. Wesentlich ist dabei, die Ersatzflächen fachgerecht auszuwählen. Wer ist dafür am besten qualifiziert? Jemand, der die die Kompensationspflicht als notwendiges Übel sieht? Oder eher jemand, dem Naturschutz eine Herzensangelegenheit ist (ohne dabei Wirtschaft und Arbeitsplätze aus den Augen zu verlieren)? Gegründet wurde die Stiftung, um (Zitat aus der Selbstdarstellung) „für die Region sinnvolle und notwendige Projekte zu fördern und auch selbst durchzuführen, um in der Region die Natur und Umwelt um ihrer selbst willen, aber auch als Teil eines lebenswerten Umfelds zu erhalten und entwickeln.“ Die Sichtweise der SPD-Spitze zeugt gerade nicht von Kenntnis bzw. Akzeptanz des Stiftungszweckes. Um das klarzustellen: In dieser Stiftung geht es um Naturschutz und nicht um Wirtschaftsförderung. Vor diesem Hintergrund ist der Vorstandsposten bei Frau Lach in guten Händen – und so sah es auch die Ratsmehrheit. 

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