vom 28.11.2008
aufgefegt von Imke Zwoch
Geht doch! Diesmal hatte Ratsvorsitzender Norbert Schmidt seinen Haufen gut im Griff. Oder waren die Ratsleute nur deshalb so brav und diszipliniert, weil er an diesem Tag Geburtstag hatte?♥
Fast einstimmig wurde Klaus-Dieter Kottek für weitere acht Jahre als Baudezernent wiedergewählt. Nur OB Menzel war dagegen. Der wollte die Dezernentenstelle ganz streichen und damit für die nächsten 5 Jahre 800.000 Euro einsparen. “Aus Gründen der Fürsorge” hatte Menzel Kottek allerdings eine andere Führungsposition in Aussicht gestellt, was das Sparen natürlich verteuert. Zuletzt versuchte der OB, mit einem offenen Brief eine Mehrheit für seinen Vorschlag zu gewinnen. Dabei zog er den Vergleich mit Städten wie Oldenburg, Osnabrück und Delmenhorst, die bei mehr Einwohnern mit weniger Dezernenten auskommen. Die bauen aber auch keine Containerhäfen, Kohlekraftwerke etc.
„Ich habe den Eindruck”, schrieb der Oberbürgermeister, “dass die notwendige Auseinandersetzung über das Beste für unsere Stadt …sehr stark personalisiert wurde”. Mit Sicherheit, nur von welcher Seite? Nach dem emotionalen Vorgeplänkel gab es im Rat eine schnelle und klare Entscheidung ohne jegliche Debatte. Damit wird Kottek den 2011 scheidenden OB im Rathaus “überleben”. Offene Häme ist aber nicht Kotteks Art. Er bedankte sich, auch bei seinen Mitarbeitern, die sich “über die normale Arbeitszeit hinaus” für das Gelingen einsetzten. Oops, so geht das auf Dauer aber nicht. Da sollte sich der alte und neue Baudezernent auch eine angemessene Stellenplanung ganz oben auf den Zettel schreiben! ?
Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze, Steuereinnahmen – all das soll die neue “Jade Wirtschaftsförderung GmbH” schaffen. Es ist nicht der erste Versuch der Stadt, durch interkommunale Zusammenschlüsse endlich den großen Wurf zu schaffen. Da gibt es schon die “Regionale Innovationsstrategie Weser-Ems” (RIS – gegründet 1998, im Vorstand: Menzel), die Metropolregion Bremen-Oldenburg (2005), die Regionale Strukturkonferenz Ost-Friesland (Beitritt WHV 1991), die Strukturkonferenz Land Oldenburg (1990), die Regionale Arbeitsgemeinschaft Bremen/Niedersachsen (RAG, 2002), dazu die eigene Wirtschaftsförderung in Wilhelmshaven GmbH (WFG) … bisher ohne den großen Durchbruch. Die FDP lehnte den neuen Zusammenschluss – diesmal mit den Landkreisen Friesland, Wittmund und Wesermarsch – ab. Auch sei der Vertrag schlecht vorbereitet, bzw. “suboptimal”, so CDU-Sprecher Reuter, der mit seiner Partei trotzdem “vorbehaltlos” (?) zustimmte. Es seien “keine Nachverhandlungen möglich”. Stimmt nicht – die Gesellschafterversammlung kann den Vertrag jederzeit ändern. Auch ist sichergestellt, dass die kommunalen Gründungsmitglieder immer die Mehrheit behalten.
Den Erfolg kann natürlich kein Vertrag garantieren. Wie gehabt setzt man auf Hafen, Industrie und gleichzeitig Tourismus, die altbekannte Wilhelmshavener eierlegende Wollmilchsau, von allem etwas ohne klares Profil. Man erhofft sich den “Einzug internationaler Dynamik …durch den Rückgriff auf die durch den JadeWeserPort sich ergebende generelle Internationalisierung”. Aha. SPD-Sprecher Neumann drückt die Zielvorgaben etwas bodenständiger aus: “Wir müssen möglichst viele Container hier öffnen und den Inhalt verarbeiten, sonst schaffen wir keine Arbeitsplätze.” Bis dahin verursacht die neue GmbH der Stadt erst einmal Kosten: Für 2009 sind 100.000 Euro veranschlagt, für die Folgejahre 150.000 Euro (= 50% der Personal- und Sachkosten). Weitere Kapitalzuschüsse können erforderlich werden. Hinzu kommt der Aufwand für drei städtische Vertreter in der GmbH.
Die BASU begrüßt, dass mit dem Vertrag ein “Signal an die Umlandgemeinden” gesandt wird, die so auch von Hafen und Industrie profitieren sollen. Nach Ansicht der Grünen enthält das Schriftstück “viele Worthülsen”, doch auch sie stimmten dem Beschlussvorschlag zu, nachdem feststand, dass die vom Rat entsandten Vertreter in der Gesellschafterversammlung gegenüber dem Rat berichtspflichtig sind und der Rat gegenüber diesen Vertretern weisungsbefugt ist.
Durch Ausfälle in der Gewerbesteuer sowie gestiegene Aufwendungen für Transferleistungen und Personal hat sich die Liquidität der Stadt weiter verschlechtert. Der Rat beschloss einstimmig, als Nachtrag zum Haushalt 2008 den Höchstbetrag der Liquiditätskredite von 15 auf 30 Mio Euro zu erhöhen.
Die Steuersätze sollen trotz des Haushaltsloches nicht angehoben werden, dafür aber diverse Gebühren. Bei diesem Thema witterte der Ratsvorsitzende nicht zu Unrecht ausschweifende und wenig sachbezogene Wortbeiträge: “Ich schlage vor, Haushaltsreden jetzt einmal zu führen und nicht zu jedem einzelnen Beschlussvorschlag”.
Jedenfalls kam heraus, dass im Einzelfall die Kosten, die die Umsetzung der Erhöhung mit sich bringt (neue Formulare, Systemumstellungen etc.), die erwarteten Zusatzeinnahmen übersteigen.
SPD-Sprecher Neumann will bei Haushaltslöchern lieber Ausgaben drücken als “eine Masse von Minierhöhungen” und kennt auch eine bessere Einnahmequelle: “Der Bürger zahlt mehr für die Gasrechnung und so gleichen wir das aus”. Das erklärt natürlich, warum der städtische Energieversorger gerade wieder die Gaspreise erhöht, obwohl der Ölpreis weiter sinkt und selbst die EWE, wenn auch geringfügig, die Preise gesenkt hat.
Erstmals seit dem Jahr 2000 wurde der Taxentarif erhöht. Der Spritpreis hat sich seitdem verdoppelt, insgesamt sind die Kosten um 40% gestiegen. Die Grundgebühr wurde von 1,90 auf 2,30 Euro angehoben und liegt damit etwas höher als in anderen Landkreisen und Städten in Weser-Ems (außer Oldenburg und Norderney), wobei andernorts teilweise auch Erhöhungen beantragt sind.
“Parkraumbewirtschaftung” ist der vornehme Ausdruck für das, was andere “Abzocke” nennen: Die Erhebung von Parkgebühren durch die Kommune, bevorzugt in besonders stark frequentierten Straßenzügen – inkl. “Knöllchen” für jene, die keine Gebühr entrichten oder die Parkzeit überziehen. Jedenfalls sollten nun weitere Parkflächen an Straßen im Umfeld von City und “maritimer Meile” gebührenpflichtig werden. Für FDP-Ratsherr von Teichman stehen dabei die Einnahmen im Vordergrund. Ratsherr Biehl (Grüne) sieht darin auch das Potenzial einer Verkehrslenkung, vermisst aber das dafür erforderliche Gesamtkonzept. J In der Tat: Wer die stehende Blechlawine aus der Stadt fernhalten will, muss auch Alternativen anbieten, seien es Park-and-Ride-Systeme, Anreize zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder sichere Fahrradstellplätze, wie sie z. B. Oldenburg bietet. Auch müssen die Interessen der Anwohner berücksichtigt werden. Für die wird es im Umfeld der maritimen Großveranstaltungen so schon oft eng, wenn sie mit dem Wochenendeinkauf oder der gehbehinderten Oma vorfahren und ein Knöllchen riskieren, weil sie nur noch ordnungswidrig wohnungsnah parken können.
Biehl verriet noch eine putzige Lücke im bestehenden Parkgebühren-System: Wer gar kein Ticket zieht, zahlt weniger Strafe als jemand, der bezahlt und seine Parkgebühr um ein paar Minuten überzieht! Die Erweiterung des “bewirtschafteten” Parkraums wurde mehrheitlich abgelehnt, auch, um Touristen nicht zu vergraulen.
Seit 2006 beteiligt sich die Stadt (mit GEW und Stadtwerken) am “European Energy Award”, einem europaweiten Management- und Zertifizierungssystem für kommunale Energiepolitik. Für die Umsetzung wurde jetzt ein energiepolitisches Arbeitsprogramm beschlossen. Damit sollen Energiekosten gesenkt und klimaschädliche Emissionen erheblich verringert werden. “Der Konzern Stadt nimmt dabei eine Vorbild- und Vorreiterrolle ein”, heißt es in der Begründung. Mitarbeiter/innen und Bevölkerung sollen zu einem ressourcen- und klimaschonenden Verhalten hingeführt werden. 37 verschiedene Maßnahmen sollen von 2009 bis 2012 umgesetzt werden. Hier ein Auszug: Förderung des Radverkehrs, Ziel Erhöhung am Gesamtverkehr auf 18% (u. a. Ausbau Radwegenetz, Fahrradspuren an Hauptverkehrsstraßen, Radparkplätze am Rathaus und weiteren Bushaltestellen, Aufwandsentschädigung für Dienstwege mit eigenem Fahrrad); Qualitätsverbesserung ÖPNV; kombinierte Mobilität; energetische Vorgaben im Bauwesen auch privatrechtlich (z. B. Südorientierung von Gebäuden); Beratung von Bauherren (und -damen?), z. B. über Bauherrenmappe, Baubroschüre; Schulung und Belohnungssystem für Hausmeister; Einsatz von Solarthermie und Photovoltaik für öffentliche Gebäude; 50% Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch öffentlicher Gebäude (bis 2012); Biogasanlage am Fleischzentrum; GEW: Erhöhung Verkauf Ökostromanteil auf 1%; Kapazitätserhöhung Blockheizkraftwerk beim “Nautimo”; Schulung von städtischen Mitarbeiter/innen, Schüler/ innen, Lehrkräften; Informationskampagnen; neue Beschaffungsrichtlinien (Aspekte Energie-/Klimaschutz, Umweltverträglichkeit); Haushalt: 40.000 Euro jährlich für energiepolitische Kommunalarbeit; regelmäßige “Energietage Jade-Weser” mit Wirtschaft. Nach erfolgreicher Zertifizierung soll mit der “Energiestadt” Standortmarketing betrieben werden.
Vieles davon klingt ambitioniert, manches ist in anderen Kommunen schon ein 20 Jahre alter Hut. Wir stimmen Hans Hartmann (SPD) zu: “Auf die Umsetzung kommt es an – bisher ist Wilhelmshaven nicht preiswürdig”. Die Gebäude- und Energiebewirtschaftung sei hier “weit unterdurchschnittlich”. Auch Solartechnikexperte Claus Westerman (Grüne) fürchtet, Wilhelmshaven sei “von der Plakette weit entfernt”.
Der Ausbau von Steinzeittechnologien wie der Kohlekraft steht den einstimmig beschlossenen guten Vorsätzen diametral entgegen. Da müssen die BürgerInnen ordentlich in die Pedale treten, bis sie die damit verbundenen Emissionen wieder raushaben. Aber besser spät als nie.
Den Beschlussvorlagen ist jetzt ein Formular beigefügt, in dem die finanziellen und personellen Auswirkungen des zu entscheidenden Vorhabens aufgeführt sind. Löblich – so wissen die Ratsmitglieder, welche weitreichenden Folgen ihre Beschlüsse haben. Noch besser wäre es, auch die Auswirkungen auf Natur, Umwelt und Klima zu beleuchten, denn die sind noch weitreichender und fundamentaler als ein Haushaltsloch. Was nützt z. B. ein Beschluss über die Teilnahme am European Energy Award, wenn andere Beschlüsse, z. B. für ein weiteres Kohlekraftwerk, oder nur ein neues Baugebiet am Stadtrand (mehr Zersiedelung und Versiegelung von Natur und Landschaft, mehr Verkehre) dem entgegenstehen?
Die Agnes-Miegel-Schule soll ab dem nächsten Schuljahr “offene Ganztagsschule” werden. An drei Wochentagen wird es dann freiwillige Nachmittagsangebote für die SchülerInnen geben. Das wäre doch eine gute Gelegenheit, die Schule endlich umzubenennen. Seit längerem wird aus verschiedenen Kreisen darauf hingewiesen, dass die Dichterin Agnes Miegel begeisterte Nationalsozialistin war, der man kein Denkmal als Vorbild für junge Menschen setzen sollte.
Die schwarz-gelbe Landesregierung hat seit 2003 die Behördenlandschaft ganz neu geordnet. Was sie “Bürokratieabbau” nennt, empfinden die Akteure vor Ort im Flächenland als schmerzlichen Verlust von Ansprechpartnern, meint auch Christine Will (SPD, Schulausschuss). Nun soll auch die Außenstelle der Landesschulbehörde in Wilhelmshaven geschlossen werden. Die zwei Dezernenten betreuen mehr als 17.000 SchülerInnen in WHV, Friesland und im Ammerland. Überall stehen Veränderungen der Schulstruktur an, die fachliche Unterstützung benötigen. Der Rat verabschiedete auf Antrag des Stadtelternrates einstimmig eine Resolution für den Verbleib der Außenstelle.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragte, eine Resolution zu verabschieden für den Erhalt des Baumbestandes beim Fliegerhorst Upjever. Dort sollen 60 ha des einmaligen Waldes gerodet werden, um die Einflugschneise zu verbreitern (siehe GEGENWIND 238). Alle Umlandkommunen haben gleiche Resolutionen einstimmig verabschiedet. Die CDU wollte nicht zustimmen: Schon viele Resolutionen, so Heinz Weerda, hätten “nix geholfen und nix gebracht” und außerdem käme das jetzt “zu spät”. Michael von Teichman (FDP) widersprach: So lange kein Baum gefällt sei, wäre es überhaupt nicht zu spät. OB Menzel meinte, “wenn es um die Sicherheit der BRD geht, werden keine Resolutionen helfen”. Diese hier wurde mehrheitlich beschlossen.
Johann Janssen (LAW) fragte an, ob an die Ereignisse der Novemberrevolution, die in den letzten Wochen im Blickpunkt standen, auch dauerhaft im Stadtbild erinnert werden könnte. Auch für Stadtrat Jens Graul ist das “kein Minderheitenthema”, er sieht jedoch “zurzeit keinen Handlungsbedarf”. Es gäbe bereits öffentlich zugängliche Gedenkstätten zum Thema, z. B. auf dem Ehrenfriedhof. Er schlug vor, das Thema “mit den Besitzern der Deutungshoheit” im Kulturausschuss zu erörtern.
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