Ratssitzung
Mrz 261997
 

Februar 1997

Kein Bein an Deck

bekamen „Die Republikaner“ auf der Ratssitzung im Februar. Auf der Tagesordnung standen verschiedene Beratungs- und Beschlußanträge ihrer Partei, u. a. zur Abschiebung der Kosovo-Albaner bis zum Jahresende, weil „dort kein Krieg herrscht“, sofortige Abschiebung der Bosnier und abgelehnter Asylbewerber … Diese Punkte sind so eindeutig ausländerfeindlich, daß klar war: der Rat würde sich nicht damit beschäftigen. Nun enthält die Gemeindeordnung keine ethisch begründeten Vorgaben, um gewählten. Ratsvertretern mehrheitlich bestimmte Themen zu verwehren. Aber sachliche, wie der juristische Berater Stoffers herausfand: Fehlende Zuständigkeit des Stadtrates.

Die anderen Themen wie Öffnungszeiten der Aidsberatung, Sozialpaß, Wiedereinführung des Hol- und Bringedienstes bei der Müllabfuhr waren nicht pauschal menschenverachtend und hätten auch von anderen Parteien stammen können. Auch hier wurde festgestellt: zuständig ist der Oberstadtdirektor bzw. der Verwaltungsausschuß, womit eine Beschlußfassung des Rates juristisch unzulässig wäre. So wurde schließlich für die Rep-Anträge ein Antrag auf Nichtbefassung gestellt, der mit zwei Gegenstimmen angenommen wurde, worauf die Inhaber dieser Stimmen ihre Anträge zurückzogen.
Abgelehnt wurde auch ein Dringlichkeitsantrag der Reps zur Senkung der Aufwandsentschädigungen der Ratsmitglieder mit der Begründung, Dringlichkeit sei nicht gegeben.
So konnten die anderen Parteien ihr Wahlversprechen, es den unerwünschten Newcomern möglichst schwer zu machen, vorerst einhalten. Fraglich bleibt, ob und wann die Reps das Instrument der juristischen Bewertung im Einzelfall einer genaueren Prüfung unterziehen lassen, und ob im Zweifelsfall auch ein ethisch begründeter Konsens der anderen Parteien nicht erst im Beschluß, sondern schon in der Ablehnung der Beratung zum Tragen kommt. (iz)

Falsche Bürgernähe

nannte Ratsfrau Marianne Fröhling die neue Regelung, die Sitzungen der Ratsgremien statt wie bisher um 15 erst um 17 Uhr beginnen zu lassen und eine anschließende Bürgerfragestunde abzuhalten. Damit soll auch Berufstätigen (davon soll es doch noch einige in Wilhelmshaven geben, Anm. d. Red.) ermöglicht werden, den Sitzungen beizuwohnen – in vielen Kommunen schon lange eine Selbstverständlichkeit.
Fröhling sieht das anders: bestimmte Berufsgruppen, z. B. Beschäftigte der Landwirtschaft und des Einzelhandels, blieben auch bei der neuen Regelung von der Zuhörerschaft ausgeschlossen. Zweitens müssten die teilnehmenden städtischen Bediensteten Überstunden schieben, die sie später abfeiern, statt in ihren Büros zu sitzen und zu arbeiten. Und drittens sei nicht mehr gewährleistet, daß die Beteiligten – Ratsmitglieder, Stadtbedienstete und Bürgerinnen – rechtzeitig ihr regelmäßiges Abendessen bekommen, was sich nachteilig auf die Gesundheit auswirke.
Richtig ist es, Beschlüsse auf ihren sachlichen Nährwert hin zu überprüfen und populistische Motivationen zu entlarven. Aber Fröhlings Erkenntnisse und Argumente waren so schwach, daß Vertreter der anderen Fraktionen sie umgehend zerhackten und der Lächerlichkeit preisgaben.
Bei jeder zeitlichen Regelung bleiben bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen – bei Sitzungsbeginn erst um 20 Uhr können Landwirte und Kaufleute kommen,
aber Beschäftigte der Gastronomie, des Pflegebereiches oder anderer Schichtdienste nicht. Zum zweiten bleiben Gleitzeitkonto und Bürozeit der anwesenden Stadtbediensteten immer gleich, egal ob sie von 15 bis 17 oder von 17 bis 19 Uhr im Ratssaal statt im Büro sitzen: Und ob nun „richtige Arbeit“ nur hinterm Schreibtisch stattfinden kann oder auch in Besprechungen, ob es sinnvoll ist, daß Herr Kottek, Herr Graul oder Herr Frank die ganze Ratssitzung absitzen müssen oder besser nur Tagesordnungspunkten aus ihrem Ressort beiwohnen, ist eine andere Entscheidung. Naja, und die regelmäßige Abendessenzeit kann individuell unterschiedlich zwischen 17 Uhr und Mitternacht liegen und auch beruflich oder familiär bedingten Schwankungen unterliegen – das „Argument“ Fröhlings war wirklich peinlich.
Merkwürdig auch die Formulierung des Antrags der Grünen, den Sitzungsbeginn wieder auf 15 Uhr zu verlegen, „wenn nicht großes öffentliches Interesse besteht“, und statt der Fragestunde „sachkundige Bürger in die Sitzungen zu berufen“. Wer kann und soll über das öffentliche Interesse entscheiden – die Öffentlichkeit selbst oder wieder nur die Ratsmitglieder? Und wenn nur drei BürgerInnen kommen, die mit sehr großem Interesse regelmäßig die Sitzungen verfolgen – zählt dann Qualität oder Quantität des Bürgerinteresses? Und wenn diese lieber selbst Fragen stellen wollen, statt sie an Mitbürger zu delegieren, die wiederum von der Obrigkeit als einzig Sachkundige bestimmt werden?
Der Antrag wurde bei Stimmengleichheit abgelehnt. (iz)
Dumme Bemerkung: Einen Nachteil erleiden berufstätige Ratsmitglieder durch den späteren Sitzungsbeginn: Eine Freistellung von der Arbeitszeit für die ehrenamtliche Verpflichtung ist nicht mehr nötig, wenn die Sitzung erst nach Dienstschluß beginnt.

Unmut

löst das Verhalten mancher Verwaltungsmitarbeiter regelmäßig bei Ratsmitgliedern aus. Anläßlich der Vorbesprechungen zur Änderung der Abwassersatzung kritisierten Mitglieder der Fraktion CDU/Grüne, dass die zuständigen Sachbearbeiter und Dezernenten schlecht vorbereitet seien und so den Ratsvertretern wichtige Informationen vorenthalten blieben.
Stadtrat Graul, in der Ratssitzung mit dieser Kritik an seinem Ressort konfrontiert, verlieh der folgenden Diskussion Kreisform, indem er die offen gebliebenen Fragen immer noch nicht zufriedenstellend beantwortete. Und obwohl die Kritik moderat vorgebracht wurde – keiner sagte, die Mitarbeiter hätten pauschal keine Ahnung, sondern seien auf die konkreten Fragestellungen schlecht vorbereitet – reagierte er aggressiv bis arrogant auf die Versuche der Ratsvertreter, zukunftsgerichtet ein besseres Verhältnis zwischen Verwaltung und bestimmten Ratsfraktionen herbeizuführen. (iz)

Generationen von Biologielehrern

haben sich darum bemüht, zivilisationsgeschädigten Kindern wieder ein vertrautes Verhältnis zur Natur und ihren ideellen Werten zu vermitteln: Ein Statement aus dem sehr poetischen Beitrag des grünen Ratsherrn Werner Biehl zur Änderung der Baumschutzsatzung. „Und plötzlich ist der Baum wieder ein Störenfried.“ Die Satzung soll nämlich aufgeweicht, nach Auffassung von Landwirt Weerda „entrümpelt werden“.
Biehls Rede war wirklich schön, das räumte auch OB Menzel ein. So, wie der Wähler sich Redebeiträge in Gremien vorstellt; so, wie wir es selbst aus dem Bundestag seit Herbert Wehners Zeiten nicht mehr kennen: gut vorbereitet, sprachlich ausgefeilt, mal pathetisch, mal polemisch, aber im Kern sachbezogen. Heutzutage konzentriert sich der Eifer auf verbale Schüsse unter die Gürtellinie der anderen Parteien, manchmal so eklig, daß der Ratsvorsitzende zur Ordnung ruft – und das schon so kurz nach der Wahl, wo sonst alle immer noch ganz lieb zueinander sind.
Genützt hat Biehls Rede nichts, Lag das daran, daß gegen Ende der Sitzung keiner mehr zuhörte, volle Harnblasen und leere Raucherlungen nach Erlösung schrien und die im Saal verbliebenen wie Schulkinder in der sechsten Stunde dazwischenquasselten? Oder weil Rats- und Gremiensitzungen nur noch Schattentheater sind für die festbetonierten Beschlüsse und Zwänge der Fraktionssitzungen?
Schade. Nicht nur um die Satzung, auch um Biehls Redebeitrag, von dem mancher hätte lernen können, wie anders sich Kommunikation unter den gewählten Ratsvertretern anhören kann. (iz)

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