Raffinerie
Jun 012006
 

Alles andere als Eau de Cologne

In Houston/Texas wird über einen grandiosen Ausbau der hiesigen Raffinerie nachgedacht

(jm) Von ursprünglich jährlich acht Millionen auf mehr als 15 Millionen Tonnen möchte die Wilhelmshavener Raffineriegesellschaft (WRG) die Rohölverarbeitung in ihrer Destille auf dem Voslapper Groden hochpuschen. Die erforderliche Genehmigung hat sie schon in der Tasche. Und das, obwohl sie diese Durchsatzmenge mit ihren gegenwärtig verfügbaren Produktions-Kapazitäten gar nicht bewältigen kann.

Auch die Veränderung der Palette an Ölprodukten wird ins Auge gefasst: Bisher wird z.B. die Giftpampe, die bei der Rohöldestillation übrig bleibt, teils unter den Raffinerie-Heizkesseln verbrannt, teils als schweres Heizöl vermarktet. Zukünftig soll sie in einem Hydrocracker erhitzt und, unter Einsatz von Sauerstoff, bis auf einen dreckigen Rest in leichtere Kohlenwasserstoffe wie Benzin und Diesel zerlegt werden.
Darüber hinaus möchte man die Raffinerie energieautark machen: Ein Heizkraftwerk mit einer Feuerungswärmeleistung von 980 Megawatt (MW) soll Prozessdampf für die Ölverarbeitung liefern sowie elektrische Energie, die wohl hauptsächlich für den Eigenbedarf benötigt wird. Zwei Kühltürme von bis zu 170 m Höhe sollen die Abwärme in die Atmosphäre überführen.
Insgesamt umfasst das Vorhaben zwölf neu zu errichtende Anlagen für den Produktionsablauf mit fünf neuen Schornsteinen von 50 bis 75 m Höhe. Eine neue Abgasfackel wird benötigt und die Abwässerkläranlage muss erweitert werden. Außerdem sollen sechs neue Lagertanks für Rückstandsöl, Butan und Schwefel gebaut werden.
Mit dem Bau möchte man am liebsten schon im Herbst 2007 beginnen und zwei Jahre später – im Herbst 2009 – den Probebetrieb aufnehmen. Was der Betrieb dann an Gewerbesteuer für die verschuldete Stadt bringt, ist nicht bekannt und dürfte auch nur bekannt gemacht werden, wenn es sich um eine erhebliche Summe handelt. Möglicherweise zahlt auch ConocoPhillips seine Steuern lieber an einem Firmenstandort in Billigsteuerland.
Aber immerhin wird durch die Erweiterung das knappe und damit kostbare Gut Arbeitsplätze gesichert und 50 bis 80 zusätzliche könnten – fasst man die Aussagen von Werks- bzw. Konzernvertretern zusammen – hinzukommen.
Dass „…4000 bis 5000 Arbeiter, die für die Errichtung der neuen Anlagen für mehrere Jahre in die Region kommen, erst mal untergebracht und verpflegt werden (müssen)“, wie die WZ in ihrer Ausgabe vom 24. Mai meint, wäre ganz toll. Es ist jedoch auch eine Version von 1.000 bis 5.000 Menschen in Umlauf gebracht worden, die rund um den Globus an dem Projekt arbeiten werden, weil wegen der boomenden Länder China und Indien die Fachkräfte knapp seien. Wenn in der Spitzenzeit allein 1.000 nach Wilhelmshaven kommen würden, wäre das doch auch ganz schön! Allerdings hat die Konzernzentrale des Öl-Multis ConocoPhillips mit Sitz in Houston/Texas noch kein grünes Licht für die mal mit 5 Milliarden, mal mit 2 Milliarden US-Dollar gehandelte Erweiterungsinvestition gegeben.
Einer Genehmigung des Vorhabens dürfte wohl kein unüberwindliches Hindernis im Wege stehen. Die Vergangenheit lehrt jedoch, dass die interessierte Öffentlichkeit die zuständigen Genehmigungsbehörden nicht allein lassen darf, wenn es um die Formulierung strenger Umweltschutzauflagen und die strikte Anwendung einschlägiger Umweltschutzgesetze geht. Von den Genehmigungsbehörden ist anzunehmen, dass sie dem Vorhaben mit wohlwollender Neutralität gegenüber stehen und – notfalls durch Druck von oben – darum bemüht sind, dem Antragsteller durch ideenreiche Gesetzesinterpretationen Kosten sparende Wünsche zu erfüllen.

Gewohnheitsrecht?

So war es jedenfalls bislang: Am 9. April 1973 hat die Mobil AG den Genehmigungsvorbescheid für die Errichtung und den Betrieb der Raffinerie erhalten. Darin hat der damalige Präsident des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Oldenburg dem Betreiber u.a. folgende Auflage erteilt und damit den Forderungen von 4.250 Einwendern Rechnung getragen:
An geeigneter Stelle der Anlage ist Platz für eine Rauchgasentschwefelungsanlage freizuhalten. Der Einbau einer Rauchgasentschwefelungsanlage muß erfolgen, sobald diese dem Stand der Technik entspricht, sofern nicht durch andere Maßnahmen eine Verminderung der SO2-Emissionen (Schwefeldioxid-Abgase – der Verf.) erreicht wird, die nach den jeweils geltenden Bestimmungen erforderlich ist.
Im Jahre 1985 – die Raffinerie war ein Jahr zuvor stillgelegt worden – wurde das 720 MW-Kraftwerk auf dem Rüstersieler Groden mit einer Rauchgasentschwefelungsanlage ausgerüstet. Dies geschah in der Periode öffentlicher Erregung über das Waldsterben. Durch die Filter wurde es möglich, den Emissionsgrenzwert von 400 Milligramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter Rauchgas einzuhalten, der für Großfeuerungsanlagen mit einer Feuerungswärmeleistung von mehr als 300 MW galt.
Nicht für die Raffinerie! Die konnte 1992 nach Übernahme durch die Beta Raffineriegesellschaft ohne Rauchgasentschwefelung wieder ihren Betrieb aufnehmen, weil das Waldsterben durch andere Probleme aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt wurde. Im Vorfeld der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erhob eine Handvoll übrig gebliebener Einwender Fachaufsichtsbeschwerde, die von der Bezirksregierung Weser-Ems am 12. März.1991 wie folgt beantwortet wurde:
Es trifft zu, dass die Firma Beta Raffineriegesellschaft Wilhelmshaven mbH befristet von der Verpflichtung zur Errichtung und zum Betrieb einer Abgasentschwefelungsanlage freigestellt werden soll. Dies ist eine Entscheidung der Landesregierung, sie entspricht den Regelungen in anderen Bundesländern für Raffinerieanlagen.
So bekam „Beta“ die Genehmigung, mit jedem Kubikmeter Abgas 1.200 mg Schwefeldioxid in die Luft zu pusten, statt der erlaubten 400 mg. Zwar wurde diese Genehmigung laut Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 08.07.1993 „…abweichend von den allgemeinen Vorgaben der Großfeuerungsanlagenverordnung…“ erteilt. Dazu erklärte sie jedoch unmissverständlich, dass „…die Vorschriften der Verordnung keine drittschützende Wirkung (haben), auf die sich ein Nachbar berufen könnte(…)“. Soll heißen: Ihr Bürger habt vor Gericht sowieso keine Chance, da ihr nicht klageberechtigt seid.
Damals hat die Beta die Genehmigung für 8 Millionen Tonnen Rohöldurchsatz von der Mobil Oil übernommen. Letztere hatte nur noch 5 Millionen verarbeitet und einen Dampfkessel stillgelegt, um die Bestimmungen der Großfeuerungsanlagenverordnung einhalten zu können. Die Beta (die nach nochmaliger Änderung der Eigentumsverhältnisse als Wilhelmshavener Raffineriegesellschaft firmierte) nahm den stillgelegten Dampfkessel wieder in Betrieb und steigerte die Verarbeitungskapazität auf 8 Millionen Tonnen pro Jahr. In den Jahren darauf folgten weitere Genehmigungen zur Produktionserhöhung, so im Jahre 1997 auf 10,3 Millionen Tonnen. Im Jahre 2003 wurde eine Vakuumdestillationsanlage in Betrieb genommen, und zu den zwei vorhandenen Schornsteinen kam ein dritter hinzu.
Inzwischen darf die Raffinerie 15,1 Millionen Tonnen verarbeiten, obwohl die dafür erforderlichen Anlagen erst noch gebaut werden müssen. Erbrachte die Raffinerie am Ende der Mobil Oil-Ära noch 476 MW Feuerungswärmeleistung, stieg diese bis heute auf 675 MW an. Wie viel es nach dem avisierten Ausbau sein werden, ist noch nicht bekannt – sie dürfte aber deutlich über 1.200 MW liegen. Hinzu kommt, dass statt des schwefelarmen Nordseeöls zukünftig immer mehr schwefelreiches russisches Öl verarbeitet werden soll, weil die Nordseefelder in einigen Jahren ausgesaugt sein werden.
Zwar ist davon auszugehen, dass im neuen Kraftwerk überwiegend schwefelärmere Gase verbrannt werden, die im Rohölverarbeitungsprozess anfallen. Doch mit den gewaltig gesteigerten Abgasmengen aus den insgesamt fünf zusätzlichen Schornsteinen wird sicher alles andere als Eau de Cologne in die Umwelt gesprüht.
Neben dem Schwefeldioxid wird die Umgebung noch mit weiteren Schadstoffen begast bzw. bestäubt: Stickoxide, Kohlenmonoxid, Feinstaub, Schwermetalle, Benzo(a)pyren, Dioxine usw. – nicht zu vergessen das Klimagas Kohlendioxid!
Aber das ist noch nicht alles, was auf den Prüfstand muss, wenn das Planfeststellungsverfahren anläuft: Es geht um Anlagensicherheit, Katastrophenschutz und Störfallvorsorge, um Vergiftungs- und Krebsgefahr, Schall- und Lichtemissionen, um den Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen, Luft, Boden, Grundwasser, Gewässer und vieles mehr. Es wird darum gehen, die 250 bis 350 Arbeitsplätze der Raffinerie zu sichern und die von dem Betrieb ausgehenden Risiken und Belastungen auf ein Mindestmaß zu beschränken.

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