Die große Enttäuschung
Durch die beantragte Raffinerieerweiterung kommen zusätzliche Schadstoff- und Lärmbelastungen auf die Nachbarschaft zu
(jm) Beim ersten Blick in die Antragsunterlagen des ‚Wilhelmshaven Upgrader Projekts‘ (WUP) der WRG schien es ja so, als ob sich die Umweltsituation durch den Ausbau der Raffinerie unterm Strich verbessert. Doch schon bei stichprobenartiger Durchsicht der 14 Ordner umfassenden Antragsunterlagen verblasst der schöne Schein: Die vom Raffinerieeigentümer ‚ConocoPhillips‘ propagierten Verminderungen von Schadstoffemissionen sind realitätsfern und kehren sich zuweilen gar ins Gegenteil!
So gibt ConocoPhillips z.B. an, dass die Schornstein-Emissionsfrachten der Schwefeldioxide (SO2) um ca. 64% abnehmen würden, weil in der Raffinerie nur noch Gas verfeuert werde. In Wirklichkeit werden nur rd. 16% eingespart. Bei Staubemissionen (PM10) verkehrt sich die im WUP-Antrag angegebene 3,5%ige Einsparung sogar in eine Zunahme von 23,5%, und bei den Stickstoffoxiden (NOx) wird aus 5,6% Einsparung eine Zunahme von rd. 40% (s. Tabellen 1 und 2)!
(Gem. Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Oldenburg vom 11.04.2006 hat die Fa. WRG für das Jahr 2005 folgende Schadstofffrachten gemeldet: Schwefeldioxid 1.623,8 t/a, Stickoxide 1.158,8 t/a und Staub 45,7 t/a.
Diese Diskrepanz lässt sich daraus erklären, dass der Ölmulti der Öffentlichkeit offensichtlich weismachen will, dass seine Prozessanlagen immer noch ausschließlich mit Schweröl befeuert werden. In Wirklichkeit darf die Raffinerie seit ihrer Wiederinbetriebnahme im Jahre 1991 jedoch nur mit einer Mischfeuerung, bestehend aus Öl und Gas, gefahren werden. Bei Schwerölfeuerung würden nämlich die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte weit überschritten. Das Rückstandsöl wird übrigens zum Teil an das Schifffahrtsgewerbe abgestoßen, das es als kostengünstigen Schiffstreibstoff verbrät und damit die Weltmeere – insbesondere die stark befahrenen Küstengewässer – verpestet.
Ein Lichtblick zwischendurch: Durch die ausschließliche Befeuerung der Prozessanlagen mit den bei der Raffinerieproduktion anfallenden Gasen sowie mit Erdgas soll durch keinen der drei bestehenden und die neun zusätzlich beantragten Schornsteine auch nur ein Gramm der Schwermetalle Nickel, Vanadium, Cadmium bzw. Arsen entweichen können. Bei den sog. diffusen Emissionen sieht das jedoch ganz anders aus.
Doch verweilen wir vorerst bei den Schadgasen aus den Schornsteinen. Bei fünfen der elf Schlote sind offensichtlich Grenzwertüberschreitungen vorgesehen:
♦ Für die Zwillingsschlote der zwei beantragten Wasserstofferzeugungsanlagen wurde eine Ausnahmegenehmigung für die Überschreitung der NOx-Emissionsgrenzwerte um rd. 20% beantragt,
♦ am so genannten ‚Kamin Ost‘ (das ist einer der beiden weithin sichtbaren Großschornsteine) kann der NOx-Emissionsgrenzwert nur bei weiterer Zulassung der beiden angeschlossenen 100 MW-Kesselfeuerungen als Altanlagen durch die Gewerbeaufsichtsbehörde Oldenburg eingehalten werden. Über diesen Schlot werden die Schadgase abgeführt, deren NOx-Gehalt fast 50 % höher liegt, als er für Neuanlagen zulässig ist,
♦ aus den Zwillingsschloten der beiden neuen Schwefel-Rückgewinnungsanlagen möchte ConocoPhillips gerne das 37-fache des erlaubten Emissionsgrenzwerts für Schwefeldioxide quellen lassen.
Da wird während der Erörterung am 3. März ab 10.00 Uhr im Gorch-Fock-Haus noch einiges klarzustellen sein.
Eine Reihe niedersächsischer Umweltverbände wirft hierzu die Frage auf, …warum das Unternehmen nun von den 2006 beantragten Heizkraftwerksplanungen abweichen will und warum jetzt – neben den drei bestehenden – acht zusätzliche Prozessfeuerungsanlagen beantragt werden. Baut man ein ‚Gas-und-Dampf-Kombikraftwerk‘ (GuD), so könnte man auf elf Schornsteine verzichten und müsste zudem keine Ausnahmegenehmigungen wegen nicht einzuhaltender Emissionsgrenzwerte beantragen. Bei einer zentralen Emissionsquelle wäre es außerdem einfacher, Platz für eine Anlage zur möglichen Abscheidung der jährlich anfallenden 2,8 Mio. Tonnen CO2 vorzuhalten.
(Aus der gemeinsamen Pressemitteilung der Umweltverbände BSH, BUND, LBU, NABU und NVN „Naturschutz und Technische Standards beachten“ vom 26.01.09
Die Antwort darauf könnte lauten: Wir haben es mit dem Bau eines ‚GuD‘ ja nicht so ernst gemeint, sondern ihn lediglich als virtuelle Verhandlungsmasse für eine Sonderkondition im Preispoker mit den Stromlieferanten eingesetzt (den die Kleinverbraucher natürlich ausgleichen müssen).
Solcherart Gefeilsche um Sonderverträge ist zwischen Stromlieferanten und ihren Großabnehmern seit langem üblich. Hierzu ein hautnahes Beispiel:
lautete die WZ-Schlagzeile am 23.12.94. Als Grund benannte Johan Anton van Weelden (Geschäftsführer der damals unter dem Firmennamen ‚Beta‘ firmierenden Raffinerie): Wir bezahlen im Vergleich zum Ausland zuviel. Und 15 Monate später machte er …keinen Hehl daraus, die EWE AG (seinen derzeitigen Stromlieferanten) unter Druck setzen zu wollen. Der Strompreis ist ihm 6 Pfennige zu hoch. (WZ, 29.03.96)
Eine weitere Möglichkeit, Prozesswärme für die Raffinerie (und das Chlorchemiewerk) bereitzustellen, wird ja angeblich von der Stadt untersucht, und auch das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg will sich eigentlich im Rahmen der Planung eines neuen E.ON-Kohlekraftwerks darum kümmern. Doch im WRG-Änderungsantrag sind diese Bemühungen um Alternativlösungen wie die
♦ Zentralversorgung der Prozessanlagen mit Dampf und Elektrizität aus einer werkseigenen GuD-Anlage oder
♦ Kraft-/Wärmekopplung mit den Kraftwerken nicht mal andeutungsweise wiederzufinden.
Lt. Antrag sollen stattdessen künftig 23 Großfeuerungsanlagen mit 1.220 MW Feuerungswärmeleistung auf dem Raffineriegelände betrieben werden, die ihre Schadgase über elf Abgasschlote entsorgen. Davon weisen neun nur eine Höhe zwischen 40 und 76 Metern auf, so dass sich die ausströmenden Schadstoffe nicht so weit ausbreiten und verdünnen können wie bei den beiden weithin sichtbaren 200-Meter-Schornsteinen. Während in rechnerischen Ausbreitungsmodellen für die beiden Hochschornsteine ein Umkreis von 10.000 Metern für die ‚Bodenlandung‘ zugrunde gelegt wird, kommen für die neun ‚kurzen‘ Schornsteine nur Kreisradien zwischen 2.000 und 3.800 Metern in Frage. Das hierzu rechnerisch zu simulierende Hauptniederschlagsgebiet erstreckt sich – je nach Windrichtung – bis in die nördlichen Stadtteile Wilhelmshavens bzw. bis nach Hooksiel.
Für den Anstieg der schadstoffhaltigen Abwassermengen von 1.800.000 auf 2.500.000 Kubikmeter jährlich hat sie einen Änderungsantrag beim Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) gestellt. Bei Auswertung der Antragsunterlagen wurde eine Steigerung der Schadstofffrachten – darunter diverse Schwermetalle und Kohlenwasserstoffe aber auch Sauerstoffzehrer sowie Stickstoff – von durchweg mehr als 60% errechnet.
Der Antrag liegt noch bis zum 13. Febr. im Technischen Rathaus aus. Einwendungen können dort bis zum 27. Febr. abgegeben werden. (jm)
Aber vielleicht finden der Antragsteller, die Stadt und die Gewerbeaufsicht doch noch gemeinsam eine Alternative zu den 23 – an elf Schornsteine angeschlossenen – Feuerstellen. Angesichts der Nachfrageschwäche auf dem Ölmarkt sollte den erforderlichen Untersuchungen und Verhandlungen dafür genügend Zeit zur Verfügung stehen.
Noch kleinräumiger verteilen sich die Schadstoffe aus den vielen diffusen Quellen der Raffinerieanlage
♦ beim Befüllen von Fest- und Schwimmdachtanks,
♦ bei der Tankschiff-, Kesselwaggon- und Tanklastzugverladung,
♦ durch die An- und Abfahrten auf dem Wasser sowie auf Schiene und Straße und – last not least
♦ beim ‚Koks-Handling‘:
Beim Abkühlen, Zerstückeln, Umlagern, Beladen und Abtransportieren des jährlich anfallenden Rückstandes von 762.000 Tonnen
In der letzten Gegenwind-Ausgabe (Nr. 241) wurde ein Petrolkoks-Rückstand von 2,5 Mio. t/a angegeben. Bei dieser Zahlenangabe handelt es sich jedoch um den Gesamtausstoß von Ölprodukten und Koksrückständen aus der Kokeranlage.
Petrolkoks aus der beantragten Kokeranlage werden jährlich Schadstofffrachten von 133.000 kg an Kohlenwasserstoffen, 54.800 kg an Feinstäuben sowie 15,8 kg an Benzolen freigesetzt. An Schwermetallen fallen an: 14,5 kg Nickel, 37 kg Vanadium, 0,05 kg Cadmium und 0,9 kg Arsen.
Da der Kokerbetrieb und das ‚Koks-Handling‘ gemeinsam mit vier Großfeuerungsanlagen in unmittelbarer Nachbarschaft des Naturschutzgebietes Voslapper Groden Nord stationiert werden sollen, dürfte ein Großteil des ‚Segens‘ die dort lebenden Pflanzen und Tiere treffen.
Was die Tiere und insbesondere die Vögel betrifft, dürfte schon der Baulärm von den 18 grenznah geplanten Anlagen und einer neuen Straße für erhebliche Störungen sorgen. Daran ändert sich auch nach Inbetriebnahme nichts, denn dann beginnt das stark staubende und geräuschvolle ‚Koks-Handling‘ und der Lärm der neuen direkt an der Grenze zum Naturschutzgebiet Voslapper Groden Nord entlang führenden Straße bis zur neuen Ausfahrt zur Straße „Am Tiefen Fahrwasser“.
Die Gutachter gehen denn auch wegen der Belastungen durch den Bau und Betrieb der neuen Anlagen und Transportsysteme davon aus, dass die Tierwelt dort Schaden erleidet. Für besonders geschützte Tiere – insbesondere Brutvogelarten, die auf der ROTEN LISTE stehen, die dort nicht weiter werden leben können, muss ‚Ersatz‘ geschaffen werden – wenigstens theoretisch! Deshalb schaut man sich schon mal nach Flächen in Ostfriesland um, die als ‚Ersatz‘ für die Unbewohnbarmachung eines Teils dieses Naturschutzgebietes dienen sollen. Ob auch für geschützte bzw. bedrohte Pflanzen – z.B. seltene Orchideenarten – Ersatz geschaffen muss, wird sich noch zeigen. Ob der Antragsteller mit seinen Kompensationsvorstellungen glatt durchkommen wird, ist keineswegs sicher: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind sehr kompliziert, und man kann sich leicht darin verfangen.
Foto: © GRUPPO|635.com|foto.hufenbach
Sorry, the comment form is closed at this time.