Raffinerie
Dez. 152010
 

Legal, illegal, scheißegal

Durch jahrzehntelange Verzögerungen bei der Umsetzung von gesetzlichen Bestimmungen zählt die WRG-Raffinerie derzeit bundesweit zu den schmutzigsten Anlagen.

(jm) Nachdem der texanische Ölmulti ConocoPhillips Maßnahmen getroffen hat, die WRG-Raffinerie einzumotten und seine dort Beschäftigten ‚freizusetzen’, machen sich die Abgemeierten auf die Suche nach einem neuen Investor, um ihre Arbeitsplätze zu retten. Dazu erhalten die Kollegen selbstredend eine breit angelegte Unterstützung aus Stadt und Land:
„Ein Netzwerk für den Erhalt der Wilhelmshavener Raffinerie hat gestern Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) mit Vertretern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sowie der Stadt Wilhelmshaven ins Leben gerufen.“ (WZ, 10.11.10) Es gibt wohl kaum jemanden, der diese Bemühungen nicht durch einen Erfolg gekrönt sehen möchte.
Inzwischen hat man jedoch peinlichst zur Kenntnis nehmen müssen, wie aufwendig die Raffinerie modernisiert werden müsste, um sie auf den in der ‚Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft’ (TA-Luft) vorgeschriebenen Stand der Technik zu bringen. Jahrzehntelang haben es die wechselnden Eigentümergesellschaften immer wieder geschafft, die vielen erforderlichen Maßnahmen hinauszuzögern. Diesmal geht es dabei insbesondere um die aus der Raffinerie und bei der Schiffsbeladung entweichenden hochgiftigen Benzoldämpfe. Für solche Stoffe besteht in der TA-Luft bereits seit 1986 (!!) ein Minimierungsgebot; was praktisch bedeutet, dass die Anlagen auf jeweils neuesten technischen Stand nachzurüsten sind.

In der Novellierung von 2002 heißt es hierzu: „Krebserzeugende, erbgutverändernde oder reproduktionstoxische oder Emissionen schwer abbaubarer, leicht anreicherbarer und hochtoxischer Stoffe sind soweit wie möglich zu begrenzen.“ Alles dies trifft auf Benzol zu. Doch geschehen ist jahrelang viel zu wenig!
Um die Jahreswende 2005/2006 wurden diese Versäumnisse zum wiederholten Male zum Problem, als der damalige Eigentümer – die britische ‚Louis Dreyfus Energy Holding Ltd.’ die Raffinerie weiter verkaufen wollte. Um den Interessenten den Einkauf schmackhaft zu machen, ließ man sich vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg (GAA) am 17.02.2006 die Erhöhung der Kapazität von 10,4 auf 15,1 Mio. Tonnen Rohöldurchsatz genehmigen. Und damit stand dem Verkauf an ConocoPhillips nichts mehr im Wege: Bereits am 02.03.2006 konnte die WZ stolz verkünden: „Verkauf der Raffinerie perfekt“
Über den Preis für Mensch und Umwelt schwieg man sich allerdings aus. Dass sich die GAA mit der Erteilung dieser Genehmigung wegen der darin enthaltenen Vertagung der Einhaltung von Emissionsgrenzen für das hochgiftige Benzol äußerst schwer getan hat, geht aus ihrem Inhalt hervor:

In die o.a. Genehmigung hat die GAA ganze Abschnitte aus der TA-Luft eingefügt, um sie dann doch nicht zu befolgen – z.B. folgende: „Entspricht eine Anlage nicht den in der TA-Luft vom 27. Februar 1986  festgelegten Anforderungen zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen, soll in der nachträglichen Anordnung eine Frist eingeräumt werden, soweit das zur Durchführung der Maßnahmen unbedingt erforderlich ist. Sind die Anforderungen im Einzelfall durch eine Auflage oder eine nachträgliche Anordnung konkretisiert worden, sollen sie unverzüglich umgesetzt werden.“

Doch das hat die GAA viele Jahre nicht gemacht. Diese Nichtbeachtung von Immissionschutz-Bestimmungen kann man getrost als traditionell bezeichnen: Schon beim Raffinerie-Transfer von Mobil Oil nach Bulkoil im Jahre 1990 hatte die Politik die Hände im Spiel, als die in der Großfeuerungsanlagen-Verordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte den Verkaufsbemühungen geopfert wurden. Für deren Überschreitung erteilte das GAA eine Ausnahmegenehmigung mit der unzulässigen Begründung, dass die Installation einer Rauchgasentschwefelungsanlage wirtschaftlich unzumutbar sei. Unter diesen Umständen konnte man natürlich auch nicht auf dem eigenen – bereits im Jahre 1973 (!) erteilten – Vorbescheid für den Bau der Raffinerie mit folgender Bestimmung bestehen: „Der Einbau einer Rauchgasentschwefelungsanlage muss erfolgen, sobald diese dem Stand der Technik entspricht, sofern nicht durch andere Maßnahmen eine Verminderung der SO2-Emissionen erreicht wird, die nach den jeweils geltenden Bestimmungen erforderlich ist.“

Jetzt ist es den Umweltschutzverbänden endlich auch gelungen, das gleichfalls jahrzehntelang missachtete Minimierungsgebot von diffusen Kohlenwasserstoffen (KW) und Benzol aus den Zirkeln der ‚Bescheidwisser’ ans Tageslicht zu ziehen. Lange wurde nicht wahrgenommen, dass mit jeder von der GAA genehmigten Produktionserhöhung auch die Emissionsfrachten dieser hoch gesundheitsgefährdenden Stoffgruppen anstiegen. Lagen sie bei der Wiederinbetriebnahme im Jahre 1991 bezüglich der KW bei jährlich schätzungsweise 2.100 Tonnen, so waren es zuletzt 2.700 Tonnen. Beim Benzol mutete man uns im gleichen Zeitraum eine Steigerung von schätzungsweise 75 auf zuletzt 97 Tonnen zu. Und in der Genehmigung der erneuten  Produktionserhöhung im Jahre 2006 sah sich das GAA wieder einmal genötigt, der Giftküche großzügige Fristen einzuräumen: Ein Teil der Emissionsminderungsmaßnahmen auf dem Werksgelände sollte drei Jahre später – also 2009 – abgeschlossen sein. Für die Tanks wurde der WRG gar eine Umsetzungsfrist bis 2014 (!!) eingeräumt – also stolze 28 Jahre nach Inkrafttreten der ‚TA-Luft 86′.

Bezüglich der bei den Beladungsvorgängen an den Schiffsanlegern entweichenden KW- und Benzol-Dämpfe wurden keinerlei verpflichtende Fristen festgelegt. Das GAA schlägt sich in der Genehmigung lediglich mit dem Hinweis an die eigene Brust, dass sie lt. BimSchG die Pflicht habe, die Einrichtung von Dämpfe-Rückgewinnungsanlagen durchzusetzen, wenn die genehmigte Produktionserhöhung auf 15,1 Mio. Tonnen ausgenutzt werden soll. Wobei dieser Hinweis – je nach Dafürhalten – als entschlossene Drohung oder eher als entschuldigendes Bedauern ausgedeutelt werden kann. Folgende Aussage führt das machtpolitische Dilemma, in dem die GAA steckt, recht deutlich vor Augen: „Die Umschlaganlagen auf dem Anleger der Raffinerie entsprechen nicht den allgemeinen Anforderungen der TA Luft 1986 und nicht denen der TA Luft 2002. Aus dem Genehmigungsbescheid vom 29.12.1988, der bereits die Forderung nach Errichtung der entsprechenden Anlagen enthält, kann gefolgert werden, dass in der Vergangenheit die Anforderungen technisch und auch nicht wirtschaftlich durchsetzbar waren.“

Man glaubt hier geradezu körperlich zu spüren, wie unwohl sich die mit der Umweltaufsicht betraute Behörde vor fünf Jahren bei Erteilung der Genehmigung gefühlt haben muss.
Es ist ja auch wirklich kein Pappenstiel, was die GAA gegen ihre offensichtliche Überzeugung genehmigt hat: Beim Ölumschlag an den Schiffsanlegern fällt mehr als die Hälfte der Emissionsfrachten an KW- und Benzol-Frachten an. Und bei Ausnutzung der genehmigten Produktionserhöhung würden die jährlichen KW-Frachten ohne Dämpferückgewinnung noch mal ansteigen, nämlich von 1.346 auf 1.701 Tonnen und die Benzolfrachten von 36,8 auf 48,3 Tonnen! Dabei ist es technisch seit langem möglich und gesetzlich vorgeschrieben, 99% davon zurückzugewinnen.

Nun versucht man also zum vierten Mal, einen neuen Eigentümer zu finden, und offenbar liegt wiederum die seit einer kleinen Ewigkeit zwingend erforderliche Nachrüstung mit Dämpfe-Rückgewinnungsanlagen als Stolperstein im Weg.
Dabei hatte ConocoPhillips der GAA seinerzeit bereits neben dem (bekanntlich abgebrochenen) Realisierungsvorhaben ‚Wilhelmshaven Upgrader Project’ (WUP) auch einen Terminplan für die Fertigstellung ihrer Umschlaganlagen mit Dämpfe-Rückgewinnungsanlagen genannt. Danach sollten diese Anlagen bis Oktober 2010 auf dem Küstenanleger und bis 2012 auf dem Inselanleger betriebsbereit sein. Zwar hat man die Rückgewinnungsanlage auf dem Küstenanleger dem Vernehmen nach inzwischen soweit hergerichtet, dass der Probebetrieb aufgenommen werden könnte. Geht aber nicht, weil dort keine Tanker mehr beladen werden können, weil die Raffinerie ja bekanntlich seit mehr als einem Jahr keine Ölprodukte mehr produziert und exportiert. Auf dem Inselanleger passiert bezüglich der Dämpferückgewinnung – wie zudem vertraulich berichtet wird – gar nichts. Daraus wird der Schluss gezogen, dass ConocoPhillips dafür kein Geld bereitstellt.
Es ist ja auch gar nicht so abwegig, dass der Multi darauf setzt, dass die o.a. ‚Netzwerker für den Erhalt der Wilhelmshavener Raffinerie’ nach bewährtem Muster schon dafür sorgen werden, dass dieser Stolperstein nochmals – wie gehabt – aus dem Weg geräumt wird. Schließlich hält er die Trumpfkarte ‚Arbeitsplätze’ in der Hand – und die sticht so gut wie immer. Die GAA-Beamten, die das ungesetzliche Geschacher mal wieder besiegeln sollen, können einem jetzt schon leid tun.
Das Fingerhakeln um Arbeitsplätze hat übrigens schon begonnen: Mit 400 zur Disposition stehenden Arbeitplätzen im RückenH hat ConocoPhillips den Verzicht „…auf die wiederkehrende Messung des Benzo[a]pyren-Gehaltes (B[a]P) in den eingesetzten Rohölen sowie im Vakuumrückstand“ beantragt.

Benzo[a]pyren gilt als Prototyp der polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe. In der Bestimmung der Umweltbelastung durch diese Stoffgruppe wird meist Benzo[a]pyren als Referenz verwendet. Es wird nach seinem Gefährdungspotential als giftig und umweltgefährlich bezeichnet. (Quelle Wikipedia)

Diese dem Multi nicht genehme Bestimmung ist jedoch eng mit der genehmigten Produktionserhöhung auf 15,1 Mio. Tonnen Rohöldurchsatz verzahnt, die ausschließlich für die Verarbeitung qualitativ hochwertiger (leichter) Rohöle, d.h. das Öl aus der Nordsee, gilt. ConocoPhillips hat aber darüber hinaus die Genehmigung für die Verarbeitung der schweren russischen Rohölsorte ‚REBCO’ bekommen, das sehr viel schadstoffhaltiger ist. Doch da man davon nur 10,4 Mio. Tonnen pro Jahr verarbeiten könne, wirke sich der Einsatz dieser Rohölsorte nicht auf die genehmigte Produktionserhöhung aus, heißt es seitens der WRG. Nicht ohne Grund will die GAA wissen, wie sich dessen Einsatz auf die Emissionen von Benzo[a]pyren auswirken würde. Und dafür sind Messungen erforderlich. Doch – aus welchen Gründen auch immer – das möchte ConocoPhillips nicht. Und die Netzwerker – allen voran der Nds. Wirtschaftsminister Jörg Bode – können sich aller Erfahrung nach fest auf dessen Ministerkollegen Hans-Heinrich Sander verlassen. Dieser Herr wird gegenüber der ihm in seiner Funktion als Umweltminister unterstellten GAA schon sein Interesse an einem reibungslosen Genehmigungsverfahren dezent zu verstehen geben.
Herr Sander kann auch jetzt schon ganz zufrieden sein, denn die GAA hat bereits bei der Prüfung des Antrags auf Verzicht der o.a. Messungen vorsorglich festgestellt, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung in diesem Verfahren nicht erforderlich sei. Damit ist – wie gehabt – schon mal ein möglicher ‚Störfaktor’ ausgeschaltet worden. So werden wieder einmal die wenig verkaufsfördernden gesetzlich geregelten Schutzansprüche von Mensch und Natur den Profiterwartungen eines Investors unterworfen.
Bei aller Erleichterung über eine Rettung der WRG-Arbeitsplätze könnte daher ein Wermutstropfen diese Freude vergällen: Dass nämlich beim Eigentümerwechsel wieder mal – was den Emissionsnotstand bei der Raffinerie betrifft – alles so bleibt, wie der Vorsitzende des Naturschutzverbands Niedersachsen (NVN) Dr. Christian Eberl den heutigen Betriebszustand der Raffinerie auf dem Voslapper Groden beschreibt: „Deutschlandweit gehört die WRG in dieser Hinsicht (mit Abstand!!!) zu den „schmutzigsten“ Anlagen, insbesondere bei Benzol und Benzo-Pyren.“

 

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