Raffinerie
Nov 191990
 

Leiche im Keller

Vertrauensbruch und fragwürdige Gesetzesinterpretationen ermöglichen Raffinerie-Betriebsaufnahme

(buw/jm) Der von interessierter Seite entfesselte Sturm um die Wiederinbetriebnahme der alten MOBIL OIL Raffinerie hat sich wieder gelegt. Die rot/grüne Landesregierung hat ihr Plazet für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Betrieb der seit mehr als fünf Jahren eingemotteten Öldestille gegeben.

Den Grünen ist es zu verdanken, dass die Emissionsgrenzwerte gegenüber der ursprünglichen von dem Verwaltungsapparat erarbeiteten Ministervorlage drastisch herabgesetzt wurden. Das bedeutet aber noch nicht, daß das Erkämpfte rechtlich koscher ist und gewiß nicht, daß sich die vereinbarten Grenzwerte am ‚Stand der Technik‘ orientieren.

Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg im Betrieb erprobt worden sind.
BlmSchG § 3.6
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Zeichnung: Erwin Fiege

Stand der Technik ist z.B. die Rauchgasentschwefelung. Bereits am 09.4.73 (Neunzehnhundertdreiundsiebzig) hat die Genehmigungsbehörde der MOBIL OIL auf Grund von 4250 (viertausendzweihundertfünfzig) Einwendungen im Genehmigungsvorbescheid u.a. den Einbau einer Rauchgasentschwefelung auferlegt, sobald das dem Stand der Technik entspricht.

An geeigneter Stelle der Anlage ist Platz für eine Rauchgasentschwefelungsanlage freizuhalten. Der Einbau einer Rauchgasentschwefelungsanlage muß erfolgen, sobald diese dem Stand der Technik entspricht, sofern nicht durch andere Maßnahmen eine Verminderung der SO2 -Emissionen erreicht wird, die nach den jeweils geltenden Bestimmungen erforderlich ist.
Genehmigungsvorbescheid / Errichtung einer Erdölraffinerie in Wilhelmshaven vom 09.April 1973, Teil II Punkt 54.

Die Ersetzung dieser erteilten Auflage durch eine Ausnahmegenehmigung stellt eine Brüskierung der damaligen Einwender dar und kann nur als eklatanter Vertrauensbruch der Bezirksregierung gegenüber den an der Jade lebenden Menschen gewertet werden. Dafür trägt die Landesregierung die politische Verantwortung.

Doch damit nicht genug!

Noch immer sind die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausnahmegenehmigung zur Wiederinbetriebnahme der Raffinerie nicht ausgeräumt! Wie bereits von der BUW in der letzten GEGENWIND-Ausgabe berichtet, wird es den neuen Raffineriebetreibern gestattet, den gesetzlich festgelegten Emissionsgrenzwert für Öldestillen mit einer Feuerungswärmeleistung von mehr als 300 Megawatt (MW) bei Schwefeldioxid (SO2) um 50% zu überschreiten.
Um den Schein der Rechtmäßigkeit zu wahren, hat man die Raffinerieanlage in ein 165 MW Kraftwerk und eine 170 MW Prozeßfeuerungsanlage uminterpretiert. Für die Winkeladvokaten steht somit gar keine Raffinerie auf dem Voslapper Groden. Erklärungsbedürftig bleibt allerdings, wie ohne das Zusammenwirken beider Werksteile überhaupt Ölprodukte hergestellt werden sollen!?
Indem die Schlaumeier beschlossen haben, daß es sich bei der Raffinerie nicht um eine Hose, sondern um zwei Büxenpiepen ( hochdeutsch: Hosenpfeifen und in der Umgangssprache: Hosenbeine) handelt, ist der Weg frei für deren Eingruppierung in die Kategorie der 100 – 300 MW Anlagen. In dieser Gruppe ist nämlich ein vierfacher SO2-Emissionsgrenzwert erlaubt.
Doch das ist lt. BImSchG unzulässig!

Die im Anhang bestimmten Voraussetzungen liegen auch vor, wenn mehrere Anlagen derselben Art in einem engen räumlichen Zusammenhang stehen (gemeinsame Anlage) und zusammen die maßgebenden Leistungsgrenzen oder Anlagengrößen erreichen oder überschreiten werden. Ein enger räumlicher und betrieblicher Zusammenhang ist gegeben, wenn die Anlagen

  1. auf demselben Betriebsgelände liegen,
  2. mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden sind und
  3. einem gemeinsamen technischen Zweck dienen.

Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen § 1.3

Dies wird aus einer vorläufigen Stellungnahme deutlich, die der bundesweit renommierte Anwalt Reiner Geulen zu Beginn der Auseinandersetzung mit der SPD-Fraktion für die Grünen angefertigt hat. Selbst der Staatssekretär im Umweltministerium, Peter Bulle, war ursprünglich der Ansicht, daß der ‚Aus Eins mach Zwei-Trick‘ nicht gerechtfertigt sei. Wie Peter Bulle heute darüber denkt, ist nicht bekannt. Doch Reiner Geulen, der nach Ablieferung seiner Stellungnahme weder mit weiteren Unterlagen bedient noch im Entscheidungsprozeß des rot/grünen Koalitionsausschusses weiter zu Rate gezogen wurde, bleibt bei seiner ‚vorläufigen‘ Beurteilung. Ohne Erwähnung dieses Faktums behauptet die Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen Thea Dückert, daß ihr Juristen versichert hätten, daß das Aufsplitten der Raffinerie in zwei Anlagen rechtlich nicht zu beanstanden sei. Doch wessen Juristen waren das?
Es wäre zu wünschen, daß die Landtagsgrünen endlich ihren Umweltkeller zur Besichtigung freigeben und interessierten Personen die Möglichkeit geben, sich von der rechtlichen Unbedenklichkeit der Betriebsgenehmigung zu überzeugen. Oder wollen sie in Geruch kommen, dort ihre erste Leiche verwesen zu lassen?

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