Radio Jade
Mrz 171999
 

Bürgerradio

Bei “Radio Jade” wurden die Weichen gestellt – fragt sich nur, in welche Richtung

(noa) Ein gutes Viertel der 393 Mitglieder von “Radio Jade” konnte am 23. Februar mitstimmen, wie es weitergeht mit dem lokalen Radio. Bestimmen allerdings nicht – das hatte der alte Vorstand im Vorfeld schon erledigt.

Wie die scheidende 1. Vorsitzende Tina Schindler im Bericht des Vorstandes sagte, ging es vor zwei Jahren darum, “Ruhe zu kriegen” in den Verein. Damals “putschte” die Mitgliederversammlung gegen einen Vorstandsbeschluss bezüglich des Standortes des Senders und wählte den Vorstand ab, woraufhin der abgewählte 1. Vorsitzende den Verein verließ.
Diesmal gehe es darum, die Weichen dafür zu stellen, über das Jahr 2002 hinaus auf Sendung bleiben zu können, so Schindler weiter, und dafür hatte der alte Vorstand besondere Sorgfalt darauf verwandt, festzulegen, wer nach ihm den Verein führen sollte. Für sämtliche Vorstandsämter hatte man “jemanden ausgeguckt” (was durchaus üblich ist in Vereinen) und die Namen der ausgeguckten Personen schon auf die Stimmzettel gedruckt (was alles andere als üblich ist).
Doch bevor Konrad Grünberg, der schon bei der letzten Vorstandswahl die Wahlleitung innegehabt hatte, zur Stimmabgabe aufrufen konnte, gab es ein wenig Verwirrung über die korrekte Reihenfolge der Tagesordnungspunkte und ein Hin- und Hergeschiebe, was Tina Schindler zu der Aussage veranlasste, es sei ein “Tag der Pannen”.

Radio JadeDie richtigen “Pannen” kamen allerdings erst später. Nach der Präsentation der designierten 1. Vorsitzenden Susanne Mose, die wenige Tage vorher Mitglied geworden war, wurde als Gegenkandidat der bisherige 2. Vorsitzende Dr. Ulrich Fischer vorgeschlagen. Wie Frau Mose vor ihm, setzte er an, sich vorzustellen, konnte jedoch nicht aussprechen, weil Mitglieder des alten Vorstandes ihn unterbrachen. Zum einen sollte er, so hieß es, keine Äußerungen über seine Ideen zur inhaltlichen Gestaltung des Senders machen, zum anderen habe man Gründe gehabt, ihn nicht als Kandidaten für ein Vorstandsamt auszuwählen. Fischer habe nämlich, so Holger Locherer, alter und neuer Schriftführer, ein Schreiben, das der Vorstand in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber erhalten habe, an Unbeteiligte und Unbefugte weitergegeben und sich also als nicht vertrauenswürdig erwiesen.
Fischers Entgegnung, er habe “eine Intrige platzen lassen”, führte nicht dazu, die “vorstandsinternen Querelen” (wie das “Jeversche Wochenblatt” vom 25.3.99 in seinem Bericht über die Mitgliederversammlung es nannte) der Versammlung offenzulegen.
So schritt man denn zur Wahl, und Susanne Mose bekam gerade mal 45 von 89 abgegebenen Stimmen, 13 mehr als ihr Gegenkandidat Fischer.

Gegen den ausgeguckten 2. Vorsitzenden Christian Glanz, Center-Manager der Nordseepassage, trat Wilm Müller an und sorgte für Heiterkeit, indem er als einzigen Grund dafür, dass man ihn wählen sollte, angab, dass er grundsätzlich pünktlich zu Sitzungen komme. Da er mit 11 Stimmen gegen Glanz unterlag, ist diese Kandidatur nicht als Panne zu werten.
Ohne Gegenkandidaten gingen die Wahlen für vier weitere Ämter über die Bühne. Pannenfrei verliefen diese Wahlen allerdings nicht. Nachdem eine größere Anzahl von Mitgliedern sich entgegen dem Vorschlag des Wahlleiters klar für eine geheime Wahl des 3. Vorsitzenden ausgesprochen hatte, machte Grünberg einen vergeblichen zweiten Versuch. Bei den vorgedruckten Wahlzetteln waren Nein-Stimmen nicht möglich, so dass unklar blieb, wie viele der 19 Enthaltungen als Ausdruck des Missmutes gegen die Manipulationen durch den alten Vorstand oder als Voten gegen den ausgeguckten Gero Pürwitz zu verstehen sind. Für die beiden folgenden Wahlgänge verzichtete die Versammlung auf das Ritual mit den Stimmzetteln, und bei der offenen Wiederwahl Holger Locherers zum Schriftführer verhinderte Grünberg eine weitere Panne, indem er sich nach dem Auszählen der fünf Nein-Stimmen zu sagen beeilte: “Die Enthaltungen brauchen wir nicht zu zählen.” Das beste Wahlergebnis des Abends (ein Nein, keine Enthaltung) erzielte Stefan Deeters bei seiner Wiederwahl zum Kassierer. Bei Heiko Iwersens Wahl zum 1. Beisitzer enthielten sich lediglich fünf Mitglieder der Stimme.

Die Wahl des 2. Beisitzers geriet nun wieder zur Panne für die Regisseure des Abends. Hartmut Tammen-Henke, 1. Bevollmächtigter der IG Metall, wurde aus der Versammlung vorgeschlagen und setzte sich gegen den ausgeguckten Kandidaten Rolf Eskuchen mit 51 : 36 Stimmen deutlich durch.
An der Rede von Michael Diers, Redaktionsleiter des Senders und Vorsitzender des Programmausschusses, war neben seiner Einschätzung, Radio Jade sei einer der “bestgehörtesten” nichtkommerziellen Lokalradios (NKL) in Niedersachsen, vor allem das Lob für das “souveräne Abstimmungsverhalten der Mitglieder” bemerkenswert.
Soweit die Vorkommnisse auf der Mitgliederversammlung, “bei der es stellenweise turbulent zuging” (JeWo, 25.2.99). Über die Hintergründe der Turbulenzen wurden die Mitglieder nicht informiert. In ihrer einführenden Rede hatte Tina Schindler zwar angedeutet, dass es in den letzten Monaten Störungen innerhalb der Gremien und zwischen den Gremien gegeben hatte, weswegen man einen Supervisor bemüht hatte, und dass der Tumult anlässlich Ulrich Fischers Kandidatur damit zusammenhinge, konnten die Anwesenden sich denken.

Hinter den Querelen im Vorstand und im Programmausschuss von Radio Jade stecken gegensätzliche Vorstellungen davon, wozu ein nichtkommerzielles Lokalradio gut ist. Regelmäßigen aufmerksamen HörerInnen wird aufgefallen sein, dass im Programm von Radio Jade Sendungen mit Biss und äußerst lahme Sendungen sich abwechseln. HörerInnen, die auf Stimmen und Namen achten, werden auch bemerkt habe, dass die zwei redaktionellen Strömungen von den beiden von Anfang an tätigen Redakteuren, die übrigens beide auch Gründungsmitglieder des Vereins sind, vertreten werden. Während Rüdiger Schaarschmidt seinen Gesprächspartnern aus der Lokalpolitik und anderen lokalen und regionalen Zusammenhängen kräftig auf den Zahn fühlt, ist Michael Diers sehr darum bemüht, unsere Lokalgrößen mit Samthandschuhen anzufassen. Wie aus dem Kreis freier Mitarbeiter zu hören ist, verhalten diese beiden Redakteure sich nicht nur in ihren eigenen Sendungen so gegensätzlich, sondern behandeln die Beiträge, die die freischaffenden RadiomacherInnen planen und abliefern, ebenso unterschiedlich.

Die kaum zu vereinbarenden Auffassungen von den Aufgaben des Senders finden sich auch im Vorstand und im Programmausschuss wieder. Mal setzt die eine Seite sich durch, mal die andere. Eine Auseinandersetzung drehte sich um die Frage der Länge von Wortbeiträgen. Nach spätestens drei Minuten Rede sollten mindestens zwei Musiktitel kommen, war die eine Position; in dieser Frage setzte sich die Gruppe derer durch, die ein Format von vier Minuten und zwanzig Sekunden für gesprochene Beiträge hörbar fand.
Die Turbulenzen um Dr. Ulrich Fischer sind auf dem Hintergrund dieser Differenzen zu verstehen.
Die Honorarordnung für freie Mitarbeiter war nicht eindeutig formuliert. Diers und Schaarschmidt legten sie unterschiedlich aus. “Es war nicht der Fehler von Diers oder von Schaarschmidt, es war ein Fehler von uns allen”, so Fischer. Niemandem war aufgefallen, dass die Honorarordnung unterschiedliche Bezahlung ähnlicher Leistungen zuließ, und keiner der beiden Redakteure kam auf den Gedanken, den anderen zu fragen, wie dieser sie handhabe. Irgendwann fiel jemandem die Ungleichheit auf, die Sache wurde geklärt, und es hätte gut sein können. Doch dann erhielt der Vorstand einen Brief einer Mitarbeiterin, in dem Rüdiger Schaarschmidt als der Schuldige bezeichnet wurde.
Dies war der in der Mitgliederversammlung von Holger Locherer genannte Brief. Ulrich Fischer setzte den darin beschuldigten Rüdiger Schaarschmidt davon in Kenntnis, damit dieser sich gegen Versuche, ihn aus der Redaktion zu mobben, wappnen konnte.


Kommentar

Mit Dudelfunk überleben

Bei den Querelen im alten Vorstand und im Programmausschuss von Radio Jade ging es um mehr, als mit Hilfe von Supervision geklärt werden könnte. Man könnte es auf das Begriffspaar “Dudelfunk” oder “kritisches Bürgerradio” bringen. Die Gründungsmitglieder des Vereins “Radio Jade Lokalfunk e.V.” hatten mehrheitlich den Wunsch, der einseitigen Berichterstattung der “WZ” etwas entgegenzusetzen. Nichts gegen Kaninchenzüchterverein und Marine-Musikkorps, doch ein bisschen vielseitiger und anspruchsvoller als das Lokalblatt sollte Radio Jade doch werden. Das Konzept des von der Landesmedienanstalt finanziell geförderten und wissenschaftlich begleiteten nichtkommerziellen Lokalfunks sprach die Aktiven von “Radio Überleben”, gewerkschaftlich Tätige und in anderen gesellschaftlichen Bezügen engagierte Menschen an und eröffnete ihnen die Aussicht, die Medienlandschaft Wilhelmshavens anzureichern.

Diejenigen, die das damalige Ziel, hier ein kritisches Bürgerradio ins Leben zu rufen und auf Sendung zu halten – über den 31. März 2002 hinaus, wenn der Versuch abläuft und die Förderung aus Hannover ausbleibt – weiterhin im Blick haben und bereit sind, sich dafür einzusetzen, sind auf den Mitgliederversammlungen regelmäßig in der Minderheit. So war es bei der Hauptversammlung vor zwei Jahren, und so war es jüngst. Der vor zwei Jahren gewählte Vorstand hat sich offensichtlich für eine andere Zielrichtung entschieden: Radio um jeden Preis. Man will niemandem auf die Füße treten, der über Geld verfügt. Das Gespann Mose (CDU-Vorsitzende Süd)/Glanz (Vertreter der “heimischen Wirtschaft”) stand gewiss deshalb zuoberst auf Tina Schindlers Liste.

Die GründerInnen wollten demokratische Strukturen schaffen. (Ein Beispiel soll das dokumentieren: Die ersten Satzungsentwürfe enthielten drei gleichberechtigte Vorsitzende; nur für das Amtsgericht wurden die Vorsitzenden nummeriert.) Von demokratischen Vorgehensweisen war auf der Mitgliederversammlung nicht mehr viel zu merken. Stimmzettel mit vorgedruckten Namen manipulieren die WählerInnen. Wenn dann auch noch inhaltliche Diskussionen niedergebügelt werden, ist klar: Die Mitglieder dienen nur als Stimmvieh.

Im (alten) Vorstand, im Programmausschuss und in der Redaktion wird (wurde) die Auseinandersetzung um das Profil des Senders nicht geführt. Wenn das, was vom senderinternen “Flurfunk” gelegentlich nach außen dringt, zutrifft, fallen da höchstens mal Worte wie “Das kann man doch nicht sagen!” und u.U. ein “Machtwort” des Redaktionsleiters Michael Diers. Es wäre wünschenswert, wenn die Auseinandersetzung in der Mitgliedschaft stattfände.

Wer weiß – vielleicht werden die unterschiedlichen Positionen im neuen Vorstand offen diskutiert…

Anette Nowak

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