Radio Jade
Nov 042009
 

Nicht mehr on air

Radio Jade hat Wolle Willig gekündigt

(iz) Wer Radio Jade hört, vermisst seit längerem eine vertraute Stimme. Wolle Willig, von Beginn an dabei beim Wilhelmshavener Lokalfunk und seit über 9 Jahren fest angestellt, wurde erst versetzt und dann gekündigt – für Hörer/innen und Kolleg/innen eine nicht nachvollziehbare Entscheidung und ein herber Verlust.

b_radiojadeSeit Bestehen von Radio Jade haben wir im GEGENWIND immer mal wieder Bilanz gezogen, wo unser Lokalsender gerade so steht, und dazu Gespräche mit den Verantwortlichen geführt. So interessierte uns für den Bericht in der vorletzten Ausgabe, was aus den Planungen vom Frühjahr für die Gründung einer gemeinnützigen GmbH geworden ist – eine mögliche Lösung für die finanzielle Notlage, gleichzeitig aber eine mögliche Gefahr für die inhaltliche Unabhängigkeit des Senders, je nachdem, wen man sich da ins Boot holt. Vorstandsvorsitzender Wolfgang Schmitz und Chefredakteur Michael Diers äußerten sich dazu sehr zurückhaltend, ebenso dazu, ob vielleicht an Einsparungen im Personalbereich gedacht sei.
Kurz darauf war es kein Geheimnis mehr, dass Redakteur Wolle Willig die Kündigung erhalten hatte. Aber was war der Grund dafür, sich ausgerechnet von einem altgedienten, erfahrenen und qualifizierten Mitarbeiter zu trennen? Vorm Arbeitsgericht – Wolle Willig hatte gegen die Kündigung geklagt – wurden die Gründe nicht diskutiert. Wenn ein Betrieb weniger als 10 feste Mitarbeiter hat, gibt es keinen Kündigungsschutz; die Kündigung bedarf keiner Begründung. Ob dieses Kriterium – weniger als 10 feste Mitarbeiter – zutrifft, war Hauptgegenstand des Gerichtstermins.
Der Sender hatte – mit Wolle Willig – vier hauptamtliche Redakteure, sechs VolontärInnen, zwei Verwaltungsleute und einen Techniker, 30 freie MitarbeiterInnen und 30 Ehrenamtliche.
Feste Mitarbeiter sind solche, die für die Aufrechterhaltung des Betriebs unabdingbar sind. Sind Volontäre nun feste Mitarbeiter oder nicht? Nach Auffassung der Beklagten, vertreten durch Schmitz und Diers nebst Anwalt, nicht. Sondern Auszubildende. Der Kläger hat es in seiner langjährigen Erfahrung anders erlebt: Nach seiner Schilderung sind von 2 Jahren Volontariat 1-2 Monate echte Ausbildung, u. a. durch Hospitation bei anderen Medien, ansonsten müssen die Volontäre als vollwertige Redakteure ran. Spannend wurde es, als es um eine freie Mitarbeiterin ging, die aber gleichzeitig als Chefin vom Dienst fungiert. Bei freien Mitarbeitern wird das abgelieferte Werk vergütet, nicht die Arbeitsleistung nach Stunden. „Chefin vom Dienst“ bedeutet jedoch eine zentrale Rolle im Arbeitsablauf des Senders, mit regelmäßigen festen Präsenzzeiten. Was die Beklagten nicht in Abrede stellen konnten. „Freie Mitarbeiterin UND Chefin vom Dienst – wie geht DAS denn?“ fragte die Vorsitzende Richterin halb belustigt, halb stirnrunzelnd. Auch weitere „freie“ Mitarbeiter nutzen die Betriebsräume mitnichten nur für die Fertigstellung und Veröffentlichung ihrer Beiträge, sondern laufen morgens dort auf und bleiben bis „Feierabend“ und sind für feste Sendeplätze, z. B. als Nachrichtensprecher, faktisch unabkömmlich. Sind sie und die Volontäre also in Wirklichkeit als feste Mitarbeiter einzustufen, so dass die Kündigung einer Begründung bedurft hätte? Das hatte das Gericht zu entscheiden.
Daneben ging es noch um die Möglichkeit einer gütlichen Einigung. Zur Diskussion stand eine zweimonatige Freistellung bis zum Inkrafttreten der Kündigung, sprich eine indirekte „Abfindung“ in Höhe von zwei Monatsgehältern. Des Weiteren war Wolle Willig, nachdem mehrere Fachmagazine gestrichen wurden, für andere Aufgaben im Studio Jever eingesetzt worden – ohne Erstattung von Fahrtkosten. Schmitz erklärte, wenn in der Hauptsache zu Gunsten des Beklagten entschieden würde – die Kündigung also rechtmäßig sei – würde man sich in Sachen Fahrtkosten (ca. 500 Euro) „nicht so anstellen“. Doch die angebotenen Summen wurden vom Kläger nicht akzeptiert.

Kurzer Prozess
Auch wenn einige Reaktionen der Richterin Anlass zu vorsichtigem Optimismus für den Kläger boten, wurde dann doch zu Gunsten des Beklagten entschieden: Die Kündigung ist rechtsgültig.
Die hinterbliebenen Hörer/innen fragen sich aber immer noch, WARUM Wolle Willig rausgeflogen ist. Nach Aussage von Schmitz, den wir dazu befragten, waren es reine Kostenüberlegungen. Nach Änderung der Programmstruktur hätte der Chefredakteur dem Vorstand erklärt, dass man eine halbe Stelle einsparen könnte. Und weil Wolle eine halbe Stelle hatte, habe es ihn getroffen. Doch warum deckelt man nicht zunächst im Bereich von freien Mitarbeitern die Ausgaben, statt einen festen, sozialversicherungspflichtigen Job zu vernichten und eine tragende Säule des Betriebs zu entfernen? Schmitz ist vom Sparkurs überzeugt. Nachdem ein weiterer Mitarbeiter in Rente gegangen ist und einer von sich aus gekündigt hat, sei man mit den Personalkosten auf einem guten Weg.
Sonst keine Gründe? Wolle vermutet, dass langjährige Differenzen mit Chefredakteur Michael Diers ein Kündigungsgrund waren. Michael selbst äußerte einmal, mit Wolle könne er „nicht planen“, wenn es darum ginge, über die vertragliche Arbeitszeit hinaus zu arbeiten. Schmitz räumte auf Nachfrage ein, es habe „hier und da geknistert“ zwischen den beiden, aber er selbst sah sich nicht in der Rolle des Vermittlers. Ärger gab es z. B. um die Erstattung der Fahrtkosten nach Jever. Schmitz hat das rechtlich geprüft, demnach gab es keinen Anlass zur Erstattung.

Heimlich solidarisch
Zwar bekundeten vielen Kolleg/innen Wut und Enttäuschung über die Kündigung, doch ein offener Aufstand blieb aus. Muss man bei Radio Jade Angst haben, seine Meinung zu äußern? Nicht mal die Ehrenamtlichen, die finanziell nun gar nicht auf den Sender angewiesen sind, trauen sich, gegenüber Chefredaktion und Vorstand ihren Unmut zu äußern. Ist der Bürgerfunk, der einmal aus links-gewerkschaftlichen Kreisen heraus geboren wurde, in der Kälte des Neoliberalismus angekommen?
Radio Eriwan, bitte antworten.

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