Polizeigewalt
Feb 071995
 

Berührungsängste

Gewalt, Macht und Sexualität – unliebsame Themen auf der Bühne des Wilhelmshavener Stadttheaters

(iz) In den letzten Jahren häufen sich Vorwürfe der internationalen Gefangenenhilfsorganisation amnesty international gegen deutsche Polizeibehörden. Misshandelte Gefangene erhielten Entschädigungen – gegen die beteiligten Beamten wurde jedoch nie Strafanklage erhoben. Die Landesbühne greift das zeitkritische Thema in ihrer aktuellen Inszenierung „Diese Geschichte von Ihnen“ auf. Die Vorlage schrieb der englischen Krimiautor John Hopkins bereits Ende der 60er Jahre: Sergeant Johnny Johnson „verhört“ eigenmächtig den Immobilienmakler Kenneth Baxter, der unter dem Verdacht steht, minderjährige Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Stunden später stirbt der Untersuchungshäftling an den Folgen schwerer Verletzungen. In drei Akten wird nachvollzogen, was vorgegangen ist – in dieser Nacht im Revier und all die Jahre davor im Leben des Sergeant Johnson und der Gesellschaft, die ihn geprägt hat.

Johnson (dargestellt von Christian Vries), seit 17 Jahren Polizist, hat im Beruf wie im Privatleben nichts erreicht. Seine Frau Maureen (Manuela Brugger) war zuviel allein, als daß sie ihm ausgerechnet in dieser mißlichen Lage helfen könnte. Wenig hilfreich ist auch Chefinspektor Cartwright (Heinz-Josef Kaspar), der weder durch plumpe Vertraulichkeit noch durch autoritäres Gehabe die Wahrheit aus Johnson herausbringt. Johnson hat es nie gelernt, Konflikte wirklich auszutragen. Sein Vater löste Probleme durch Prügel, die, so Johnson selbst, „noch niemand geschadet haben.“ Ob Maureen, ob Cartwright und schließlich auch Baxter (Detlef Lux) – jede Auseinandersetzung, die seine Seele zu treffen droht, bringt Johnson in Autoritätskonflikte und Kontrollverlust.

Aber geht es eigentlich um Johnson? Baxter, hilflos der seelischen und körperlichen Gewalt Johnsons ausgesetzt, bleibt nur die Flucht nach vorn, und er bringt es auf den Punkt: „Nichts von dem, was ich getan hab, ist auch nur halb so schlimm wie das, was in ihrem Kopf abläuft.“ Es geht um die Gewalt in unser aller Köpfe, die letztlich ein Ausdruck ist von Hilflosigkeit, Sprachlosigkeit und Minderwertigkeitsgefühlen. Wir sollen alle funktionieren und mögen nicht zugeben, daß wir es nicht können oder nicht wollen. Deshalb brauchen wir Sündenböcke, die das Schwarze der menschlichen Seele nach außen gekehrt haben, auf die wir unsere eigene Fehlbarkeit projizieren können. Indem wir diese „Übeltäter“ seelisch oder körperlich töten, treiben wir symbolisch den Teufel aus, der in uns allen steckt.

Sexuelle Gewalt ist kein Bagatellverbrechen, wie oft weisgemacht werden soll, wenn den Opfern Mitschuld unterstellt und sie dadurch zu Täter/innen gestempelt werden. Doch wenn umgekehrt, unter dem Beifall aller braven Bürger, der Täter selbst Opfer behördlicher Gewalt wird, so heizt das den Teufelskreis gewaltsamer Konflikt“bewältigung“ noch an.

Trotz rigider Kürzung der Vorlage braucht Regisseur Adamec noch 2 Stunden, um viele Facetten dieses Themas anzureißen. Zu kritisieren sind dabei weniger Lautstärke und Fäkalsprache, die einige Zuschauer bewogen, in der Pause das Theater zu verlassen. Weniger wäre mehr gewesen. Wirklich spannend ist nur der 3. Akt, in dem sich der menschliche wie gesellschaftliche Konflikt im Dialog zwischen Johnson und Baxter zuspitzt. Da hat sich Christian Vries, der geborene Zyniker, richtig warmgespielt – brillant aber vor allem Detlef Lux, der die Handlung mehrfach kippen läßt und das Publikum aus dem Schwarzweiß-Denken herauszwingt. Dazu braucht es weder Manuela Brugger, die im 1. Akt die innerlich eingesperrte Hausfrau lustlos und viel zu klischeehaft spielt, noch den Auftritt des Chefinspektors, dem Heinz-Josef Kaspar in dandyhafter Maske und Kostüm schwer die äußerliche Korrektheit verleihen kann. Ein Plus hingegen das Bühnenbild – ein Stier als Ausdruck von Macht und Sexualität hinter zerrissener Fassade, sowie der eingespielte Videoclip vom kleinen Mädchen im Park, der die Zuschauer anfangs gegen den „bösen Onkel“ vereinnahmen soll – um am Schluß den Ausgang der Geschichte, Schuld, Unschuld und Mitschuld für sich selbst zu durchdenken – „die Geschichte von Ihnen“, den Zuschauern, bleibt letztlich unser aller Geschichte. Sind die Zuschauer in der Pause davor geflüchtet? Intendant Thomas Bockelmann, der mit dieser Reaktion plus vernichtender Kritik in der Tagespresse leidvolle Erfahrungen seines Vorgängers Immelmann nachvollziehen muß, sei ermuntert, deswegen nicht den Rückzug in „schöne“, oberflächliche Inszenierungen anzutreten.

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