Kann nur ein moderner Störtebeker Wilhelmshaven noch retten?
(noa) Kurz vor Weihnachten 1999: Wilhelmshaven blüht auf. Im Hinblick auf die EXPO am Meer wird investiert, gebaut, eröffnet wie nie zuvor. Ein anonymer Spender lässt für den Aufschwung ansehnliche Summen springen. Gleichzeitig in Lübeck, Hamburg, Bremen, Greifswald: Ein sehr geschickter Räuber gibt der Polizei Rätsel auf. Er erbeutet große Summen und verschwindet unerkannt. Neunzehn solcher Überfälle finden schnell nacheinander statt. Wilhelmshaven erlebt einen Aufschwung und erblüht. In den Hansestädten ist die Polizei ratlos. Der einzige Hinweis auf den Räuber ist eine Visitenkarte, mit Uhu festgeklebt, auf der zu lesen ist: „Störtebeker lebt“.
Ein Kriminalbeamter aus Lübeck, der aus privaten Gründen in Wilhelmshaven weilt, hat einen Riecher. Ihm fällt auf , dass alle Überfälle sich in Hansestädten ereignen, dass nur reiche Pfeffersäcke geschädigt werden, dass gleichzeitig das arme Wilhelmshaven reich bedacht wird. Wie damals zu Störtebekers Zeiten – den Reichen wird’s genommen, den Armen gegeben. Und so findet er einen Grund, bald nach seinem Wilhelmshaven-Ausflug wieder hierher zu kommen, zusammen mit seinem Untergebenen, den er stets die unangenehmen Arbeiten tun und die unerfreulichen Anrufe erledigen lässt, während er ordentlich isst und trinkt und seine Recherchen in der Störtebeker-Literatur durchführt.
Er ist mächtig beeindruckt von einem Bettler, der tagaus, tagein in der Marktstraße sitzt und Halbe-Halbe macht: Einen Teil seiner Einnahmen lässt er Wilhelmshavener Institutionen zukommen, und da die Menschen hier das wissen, geben sie ihm auch reichlich. Trotzdem – so viel kann kein Mensch erbetteln! Dem Polizisten aus Lübeck geht der Bettler nicht aus dem Kopf. Und als einer, der die einfache Küche schätzt und sich gerne auch mal eine Bratwurst gönnt, findet er bald auch ein Indiz: Der Bettler, der diese kulinarische Vorliebe mit ihm teilt, nimmt seine Wust mal mit Senf, mal mit Ketchup. Nachdem der Kommissar erst einmal Verdacht geschöpft hat, findet er weitere Hinweise, die sich endlich zur Gewissheit verdichten: Es gibt nicht einen, sondern zwei Bettler. Einer der beiden hält die Stellung in der Marktstraße, während der andere die Überfälle tätigt.
Ein Brief des modernen Störtebeker rechtfertigt die Spürnase und bestätigt seine Recherchen. Doch fassen kann der Kommissar den Täter nicht: Das Gute siegt. 1
Diese „Räuberpistole“ unseres Stadtpiraten Arend Roland Rath ist jüngst erschienen und für 14,90 DM zu kaufen. Wir wussten vorher nicht, dass Raths Piratenfanatismus sich inzwischen zur Monomanie gesteigert hat. In seinem Buch lässt er Wilhelmshavener Kaufleute und Taxifahrer in Störtebekers Geist handeln, legt ihnen gar Sätze in den Mund wie „Ein bisschen was von Störtebeker steckt in jedem hier“.
„WZ“-Chefredakteur Jürgen Westerhoff schlägt in seiner Besprechung des Bandes („Die entscheidende Frage: ‚Senf oder Ketchup?’“ in der „WZ“ vom 20.4.2000) vor, sich mit dem Buch für ein paar Stunden ans Wasser zu setzen und zum Schmunzeln bringen zu lassen. Ein paar Stunden braucht man zum Glück dafür nicht, und zum Schmunzeln kommt man nur, wenn man sich nicht an aufdringlicher Werbung für einige bestimmte Kaufleute und Gastronomen der Marktstraße und des Südstrandes (alle mehrfach namentlich genannt) stört.
1 Darf in einer Buchbesprechung – und gerade bei einem Krimi – der Ausgang verraten werden? Natürlich nicht! Viele von uns erinnern sich sicher noch an die genial-tragische Tat des Wolfgang Neuss, als er den Täter eines Durbridge-Fernseh-Krimis am Tag der Ausstrahlung verriet. Neuss’ Ziele waren dabei andere als unsere. Wer die Öffentlichkeit mit Schriften belästigt, die noch schlechter sind, als die Saucen auf seinen Pfannkuchen, hat bei uns keine Chance, als „Schriftsteller“ behandelt zu werden. (hk)
Sorry, the comment form is closed at this time.