Pflege
Feb 071996
 

Ungeschickt?

‚Der schnelle Weg ins Pflegeheim’ ist nach dem Heimgesetz nicht zu verfolgen

(noa) So eine prompte Reaktion auf das Erscheinen einer GEGENWIND-Ausgabe erleben wir selten: Die letzte Nummer war kaum verteilt, da erreichte uns schon ein Anruf einer Mitarbeiterin des Seniorenpflegezentrums Neuengroden mit der Aufforderung, die Verfasserin des Artikels „Fast wie ein Krimi“ solle kommen und Informationen für eine Gegendarstellung entgegennehmen.

Nun müssen Gegendarstellungen von Zeitungen zwar veröffentlicht werden, schreiben muß der Leser sie jedoch selber, und so schlugen wir den empörten Pflegekräften einen Leserbrief vor, da die Zusammenkunft keinen einzigen Satz zutage förderte, der eine falsche Tatsachenbehauptung enthalten hätte. Tendenz der Redebeiträge war stattdessen: Die Nichte der Frau A., die im Juli in einer Blitzaktion von ihrer Wohnung ins Pflegeheim gebracht worden war, sei so laut rufend und geradezu hysterisch aufgetreten, daß es ihrem Mann geradezu peinlich gewesen sei. Frau A. habe sich im Heim wohlgefühlt und sei lediglich durch die Bemühungen ihrer Nichte, sie nach Hause zu holen, beeinträchtigt gewesen, mitnichten sei das eine Entführung gewesen, und der GEGENWIND hätte doch zuerst im Pflegeheim recherchieren müssen.
Daß Frau R. ob des Verschwindens ihrer Tante sehr erregt war und laut wurde, bestreitet sie selber nun auch nicht. Aus einem „hysterisch“ erscheinenden Auftreten angesichts einer solchen Aufregung den Schluß zu ziehen, daß sie eine für die Betreuung einer alten Verwandten ganz und gar ungeeignete Person sei, ist allerdings gewagt. Und vor der Aktion hatte außer der Mitarbeiterin des städtischen Besuchsdienstes, die bei dem Umzug ins Heim zugegen war, niemand der Beteiligten Frau R. jemals getroffen.
Frau Morgante, die Inhaberin des Pflegeheims, riet ihren Mitarbeiterinnen von einem Leserbrief ab und übergab stattdessen der GEGENWIND-Redakteurin eine Stellungnahme, die sie für die zuständige städtische Stelle verfaßt hatte: „Diese Stellungnahme sollten Sie veröffentlichen – Herr Mensen war damit zufrieden.“
Und aus dieser Stellungnahme geht folgendes hervor: Der Mitarbeiterin des städtischen Besuchsdienstes, die die alte Dame gelegentlich besuchte, sei aufgefallen, daß die Versorgung von Frau A. nicht ausreichend gewesen sei, und Frau A. habe schon häufiger den Wunsch geäußert, in ein Pflegeheim zu gehen, ihre Nichte dürfe aber davon nichts wissen. Die städtische Mitarbeiterin brachte deshalb Frau A. ins Pflegezentrum Neuengroden, damit diese es sich ansehen könne, und Frau A. habe sich zum Probewohnen für drei Tage entschieden. Am nächsten Tag habe deshalb Frau Morgante, begleitet von der Dame des Besuchsdienstes und einer Pflegerin, die sie als Zeugin mitgenommen habe, Frau A. abgeholt.
Die alte Dame habe dringend gebeten, die Nichte nicht zu informieren, und Frau Morgante habe „dann doch rasch ein paar Zeilen auf einen Zettel geschrieben, um Frau R. nicht ganz im Unklaren zu lassen“.
Es sieht nun so aus, als ob die ganze weitere Entwicklung durch die Entscheidung, sich nicht vorab mit Frau R. ins Benehmen zu setzen, vorbestimmt gewesen sei. Wer würde sich nicht erregen, wenn die Tante während einer zweistündigen Abwesenheit von zu Hause verschwindet und alle Hinweise wie auch Beobachtungen einer Nachbarin auf auffällige Eile beim Abholen deuten?
Die Frage, ob es bei einer Übersiedelung in ein Pflegeheim nicht üblich sei, sich mit den Angehörigen ins Benehmen zu setzen, wurde uns von Herrn Mensen nur ausweichend beantwortet. Die langjährige Übung, alte Herrschaften unterzubringen, wenn die Angehörigen dies wünschten, werde jetzt nicht mehr gepflegt; zu diesem umgekehrten Fall, in dem nun die Heimaufnahme erfolgte, obwohl die Angehörigen es nicht wünschten, nannte er uns keine Richtlinie.
Auch die Frage, ob die Stellungnahme von Frau Morgante ihn tatsächlich zufriedengestellt habe, beantwortete Herr Mensen ausweichend – er habe noch weitere Stellungnahmen bekommen, und in der Summe stelle er fest, daß da einiges „ungeschickt“ gelaufen sei, Pflichtverletzungen, die nach dem Heimgesetz zu verfolgen seien, jedoch nicht zu verzeichnen seien und die Angelegenheit jetzt ausgestanden sei.
Das ist in der Tat des Fall: Frau A. wohnt jetzt, wie schon berichtet, außerhalb in einem Pflegeheim, zu dessen Betreibern die Nichte Vertrauen hat, und nach ihrem Sturz im Oktober ist sie jetzt so verwirrt, daß man sie nicht mehr fragen kann, ob sie überredet wurde oder nicht, warum aus ihrer Sicht aus einem dreitägigen Probewohnen drei Monate wurden, während derer jedoch kein Vertrag zustande kam, ob ihr Wunsch nach einer amtlichen Betreuung ihrer eigenen Idee entsprang oder ihr etwa angetragen wurde und und und…

 

Kommentar:

Ungeheuerlich
„Ungeschickt“ ist das mindeste, was man über die Vorgänge in Sachen Heimunterbringung der alten Frau A. sagen kann. Die vagen Auskünfte lassen mehr Fragen offen als sie beantworten. Es mag ja sein, daß die alte Dame gegenüber dem Besuchsdienst den Wunsch nach Übersiedelung in ein Pflegeheim geäußert hat. Wer mit alten Menschen zu tun hat, weiß, daß sie oft unschlüssig sind und mal diesen, mal jenen Wunsch äußern.
Daß aber eine alte Person aus ihrer Wohnung abgeholt wird und die Bezugsperson, die bisher alle ihre Angelegenheiten geregelt hat, die täglich bei ihr war, für sie eingekauft, gekocht, gewaschen, geputzt und Amtliches erledigt hat, sie gepflegt hat und ihr zugetan war, erst nachträglich informiert wird, ist mehr als ungeschickt. Das ist schlicht ungeheuerlich.
Da man Frau A. nicht mehr befragen kann, ist eine lückenlose Aufklärung jetzt nicht mehr möglich. Ob Frau A. in dem drei Monate langen Tauziehen um ihren Aufenthalt glücklicher oder unglücklicher war als in ihrer Wohnung, ob ihr Sturz mit der dadurch bedingten Kopfverletzung durch diese Aufregung kam oder unvermeidlich war, ob sie sich von ihrer Nichte tatsächlich gegängelt gefühlt hat und sie gefürchtet hat oder ob sie das halt mal so gesagt hat, all das ist nicht mehr festzustellen. Insofern ist diese Sache tatsächlich „ausgestanden“.
Für Frau A. und ihre Angehörigen war „die Sache“ eine aufreibende und leidvolle Erfahrung, und die Schäden sind nicht wieder gut zu machen. Es bleibt jedoch für andere SeniorInnen und ihre Familien zu hoffen, daß der „Wirbel“ um diese Vorgänge wenigstens den Erfolg hat, dass so etwas nicht mehr geschieht.

Anette Nowak

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